Johanna Mikl-Leitner setzte die Verhandlungen mit der SPÖ am Donnerstag aus. Sie hat aber kaum eine andere Möglichkeit, als sie irgendwann wieder aufzunehmen.

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Sven Hergovich stellte medial Bedingungen für die Zusammenarbeit mit der Volkspartei – sonst gehe man auch gerne in Opposition. Wer dann das Land regieren soll, ist unklar.

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Die Amputationsfantasie soll dann den Ausschlag gegeben haben. "Bevor ich ein Übereinkommen unterzeichne, in dem nicht alle diese Punkte enthalten sind, hacke ich mir die Hand ab", drohte Niederösterreichs designierter SPÖ-Chef im Interview mit der deutschen Wochenzeitung Die Zeit. Sven Hergovich meint jene fünf Projekte, die er in der Vorwoche bereits öffentlich zu Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der niederösterreichischen Volkspartei genannt hat. Für Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) war das zu viel: "Damit sind die Gespräche mit der SPÖ gestoppt", erklärte sie am Donnerstagnachmittag. Hergovich baue "unüberwindbare Hürden" auf, Verhandlungen seien kein "Wettbewerb der markigsten Sprüche".

Ein Scheitern der Gespräche stand schon länger im Raum – spätestens bei der konstituierenden Landtagssitzung am 23. März müssen in Niederösterreich aber stabile Verhältnisse herrschen.

Doch trotz der jüngsten Verhandlungspause bleibt eine schwarz-rote Koalition die wahrscheinlichste Variante in Niederösterreich. Mehr noch: Realistisch ist kaum eine andere Konstellation denkbar. Genau das ist paradoxerweise der Grund, warum es zwischen den beiden Parteien so kracht.

Einfach komplexe Lage

Die Ausgangslage ist an sich schlicht, aber für niederösterreichische Verhältnisse kompliziert: Die ÖVP hat ihre absolute Mehrheit im Landtag und in der Landesregierung verloren. Sie ist auf eine Partnerin angewiesen, um die Geschäfte zu ordnen, Gesetze zu beschließen, nicht zuletzt um die Landeshauptfrau zu wählen.

Es braucht also eine Koalition. Wobei die Regierung in St. Pölten schon steht: Vier Landesräte stellt die ÖVP, drei die FPÖ, zwei die SPÖ. Das Proporzsystem hat das fixiert, nun muss innerhalb der Regierung eine Mehrheit gefunden werden.

Aufgelegte Variante

Wobei eine Variante eben "aufgelegt" ist: Schwarz-Rot. Denn die FPÖ hat sich schon im Wahlkampf selbst aus dem Spiel genommen: Sie versprach ihren Fans, Johanna Mikl-Leitner nicht wieder zur Landeshauptfrau zu wählen, Parteichef Udo Landbauer stellte die Menschenrechte infrage, zuletzt beleidigte Landesrat Gottfried Waldhäusl eine Schulklasse rassistisch. Mit dieser FPÖ eine Koalition zu bilden wäre für die SPÖ ein unüberlebbarer Tabubruch. Von der ÖVP würde es den Abtritt Mikl-Leitners erfordern, ist also faktisch ausgeschlossen. Auch wenn Landbauer am Donnerstag der ÖVP das Angebot zu exklusiven Verhandlungen machte, wird es dazu kaum kommen.

Warum geraten die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ also derart außer Kontrolle? Genau deshalb: weil es keine realistische Alternative zu einer Koalition der beiden gibt.

Die Roten haben noch am ehesten das, was Verhandlerinnen und Verhandler einen "Hebel" nennen. Sie könnten die Verhandlungen jederzeit beenden und sagen: Mit der ÖVP sind wir uns eben nicht einig geworden. Mikl-Leitner hätte dann de facto keine Optionen mehr. Genau darauf baut die Eskalationsstrategie der SPÖ auf: Sie versucht mit ihren Druckmitteln, der Volkspartei möglichst viele Zugeständnisse abzuringen. Hergovich definierte also ungewöhnlicherweise rote Linien in der Öffentlichkeit: eine Regionaloffensive, die Anstellung pflegender Angehöriger, eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose, einen Heizkostendeckel und Gratiskindergärten.

Leaks, Appelle, Show

Die ÖVP ist aufgrund der politischen Lage zu Zugeständnissen gezwungen – kann das aber nicht einfach passieren lassen. Ein Showkrach muss also her. Zuerst ein Leak roter Forderungen aus den (vertraulichen) Gesprächen, später ein Appell der Landeshauptfrau persönlich: Man möge an das Land denken.

Der Theaterdonner beider Parteien dient einerseits natürlich dazu, inhaltlich möglichst viel herauszuholen. Gleichzeitig gilt es auch, die eigene Basis zufriedenzustellen. Rote Parteimitglieder dürften Hergovichs Härte mit Wohlwollen betrachten, schwarze goutieren umgekehrt womöglich, dass sich die Landeshauptfraupartei nicht auf der Nase herumtanzen lässt.

Überraschungen möglich

Es könnten dem Land in den kommenden zwei Wochen also noch Überraschungen bevorstehen: Was sich ÖVP und SPÖ wohl noch an Showeffekten einfallen lassen? Das Ende der Geschichte bleibt aber erwartbar: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die zwei Parteien nicht zueinanderfinden.

Denn, das ist die Pointe im Koalitionstheater: Die beiden Landesparteien sind an sich eher unideologisch, die großen inhaltlichen Sollbruchstellen gibt es gar nicht.

Sven Hergovich dürfte seine Hand wohl behalten. (Sebastian Fellner, 9.3.2023)