Am 10. März entlud sich in München während dreieinhalb Minuten der Gemütszustand des Giovanni Trapattoni.

Foto: IMAGO/Thomas Exler

Der Bayern-Trainer schrie....

Foto: imago images/Fred Joch

...deutete...

Foto: IMAGO/Thomas Exler

....polterte...

Foto: IMAGO/Thomas Exler

....und brüllte. Die mitunter wütende Rede ging in die Geschichtsbücher des deutschen Fußballs ein.

Foto: IMAGO/Thomas Exler

Fertig.

Foto: imago/Fred Joch

Dienstag, 10. März 1998, Säbener Straße, München, Pressezentrum FC Bayern, es ist kurz nach 15 Uhr: Der damalige Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni fragt in die Runde:

Sind Sie bereit?

Hinter ihm hängt ein großes, unscharfes Bild an der Wand, weißer Rahmen. Vor dem Italiener stehen zehn Mikrofone mit den Logos deutscher TV-Anstalten. Markus Hörwick ist noch nicht bereit. Der Medienverantwortliche der Bayern fummelt am Kabel des elften Mikros herum, Trapattoni wirft ihm einen etwas mahnenden, aber nicht unbedingt vorwurfsvollen Blick zu. Er hilft kurz mit, wirkt konzentriert, im allerletzten Moment schnellt noch eine Hand an den Tisch und knallt ein Diktiergerät auf die Ablage.

FC Bayern München

Hörwick erzählte später, dass er schon im Vorfeld ein schlechtes Gefühl hatte. Er ahnte, konnte aber nicht wissen, was kommen sollte: ein Feuerwerk. Noch während Hörwick das letzte Mikrofon in den Ständer fädelte, begann Trapattoni mit der vielleicht berühmtesten Rede, die der deutschsprachige Fußball je gesehen hatte.

Stellen mir die Frage, wenn hören oder verstehen schlecht meine Wörter, bitte.

Eines vorweggenommen: Trapattoni war grantig. Oder wie man in Italien sagt: "Ha un diavolo per capello." Er hatte einen Teufel auf jedem Haar. Zwei Tage zuvor, am Sonntag, hatten die Bayern eine 0:1-Niederlage bei Schalke kassiert. Man lag bereits sieben Punkte hinter dem Sensationsaufsteiger Kaiserslautern auf Rang zwei. Das ist am 25. Spieltag noch kein Beinbruch. Und dennoch rumpelte es gewaltig bei den Bayern.

Es gibt im Moment in diese Mannschaft, oh, einige Spieler, vergessen ihnen Profi, was sie sind.

Der FC Bayern war schon damals das Nonplusultra im deutschen Fußball, alles, was kein Start-Ziel-Sieg im Meisterrennen ist, wäre nahe an einer Blamage. Am Ende der Saison 1997/1998 wurde man hinter Kaiserslautern Zweiter, Trapattoni musste Ottmar Hitzfeld weichen. Trotz des Titels im DFB-Pokal. Aber schon während der Saison war es unruhig, Kritik kam aus mehreren Richtungen: Trapattonis System sei zu defensiv, darüber hinaus beklagten sich mit Mario Basler und Mehmet Scholl zwei Nationalspieler öffentlich über ihre Nichtaufstellung. Man nennt die Bayern auch den FC Hollywood.

Es gibt keine deutsche Mannschaft spielt offensiv o dynam-offensiv wie Bayer.

Es wird hitzig in diesem Presseraum an der Säbener Straße. Immer wieder entgleiten dem Mann mit den blitzblauen Augen und den grauen Haaren Mimik, Gestik und vor allem Lautstärke. Er deutet in den Raum, schreit, zupft sich am Ohr, hämmert auf den Tisch, wird leiser, kurzer Blick auf den Zettel, dann wieder Gebrüll. Es ist eine Flutwelle an Emotionen, die da über die Anwesenden hereinbricht. Heute unvorstellbar, aber auch schon vor 25 Jahren eine absolute Besonderheit.

Ein Trainer ist nicht ein Idiot! Ein Trainer sehen, was passieren in Platz! In diese Spiel, wie zwei oder drei oder vier Spieler waren schwach wie eine Flasche leer!

Es war Trapattonis zweite Amtszeit in München. Noch heute ist er einer der erfolgreichsten Trainer in jenem Geschäft, dem er 2013 mit 74 Jahren den Rücken kehrte. 21 nationale und internationale Titel holte "Trap", vorwiegend mit Juventus, aber auch mit Inter, den Bayern und Benfica Lissabon. 2007 führte er Salzburg zum ersten Titel in der Red-Bull-Ära.

Aber: Bei seinem ersten Engagement in München scheiterte er. In der Saison 1994/1995, es war Trapattonis erste Auslandsstation, belegten die Bayern nur Platz sechs. Und dennoch erhielt mit dem eleganten Trainer aus Cusano Milanino eine Welt in München Einzug, die ein wenig fremd und gleichzeitig aufregend aufreizend war: Scala statt Hofbräuhaus, Giorgio Armani statt C&A, Alfa Romeo Spider statt BMW E31. Trapattoni brachte ein Stück italienische Eleganz in eine Liga, die zwar erfolgreich, aber auch irgendwo eindimensional regional war.

"Er hat mit hunderten Spielern gearbeitet, und ich würde wetten, dass er heute noch alle kennt. Trapattoni hatte einen enorm respektvollen Umgang", sagt Carsten Jancker dem STANDARD. Heute ist Jancker Trainer des steirischen Regionalligisten DSV Leoben, 1998 stürmte er für die Bayern. "Wir waren damals natürlich überrascht, besonders über die Emotionalität", erinnert er sich. Es sei aber völlig falsch, den Trainer und Menschen Trapattoni auf die "Wutrede zu reduzieren. Er war viel mehr." Neben Jancker stand auch Thomas

Struuunz!

im Kader. Dem deutschen Teamspieler räumte Trapattoni einen prominenten Platz in seiner Rede ein. Jahre später traf man sich in einer TV-Talkshow wieder, das Gespräch wirkte freundschaftlich, respektvoll. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erinnert sich Strunz an das Erdbeben: "Zunächst war es unangenehm. Aber tatsächlich wurde der Bekanntheitsgrad meines Namens dadurch erhöht." Deutschland verliebte sich in die Rede des emotionalen Italieners. Mitunter uferte der Klamauk aus, der erfolgreiche, elegante und respektvolle Coach Trapattoni drohte zum Clown Trapattoni zu werden. Das dürfte dem heute 83-Jährigen in seiner Fußballpension aber ziemlich egal sein. Denn:

Ich habe fertig!

(Andreas Hagenauer, 10.3.2023)