Von Kirgistan hinüber in den Schwarzwald, wo Alexej Nawalny (li.) gesundete: Kameramann Niki Waltl.

Foto: Lorena Mühsam

Im Herbst 2020 war in der deutschsprachigen Filmbranche ein nicht ganz unheikler Job zu vergeben. Und zwar eher kurzfristig. Für eine amerikanische Produktion wurde ein Kameramann gesucht, man hörte sich in Berlin um, dort kannte jemand Niki Waltl, der sich bis dahin mit einem Expeditionsfilm nach Kirgistan oder einer Zusammenarbeit mit Conchita Wurst hervorgetan hatte.

Persönliche Kontake sind oft entscheidend, so war es auch hier, die Folge war, dass Niki Waltl sich auf den Weg in den Schwarzwald machte, wo damals eine sehr wichtige Persönlichkeit möglichst diskret auf einer Art Kur weilte: der russische Politiker Alexej Nawalny, der im August 2020 auf einem Flug von Tomsk nach Moskau mit Vergiftungserscheinungen zusammenbrach und nur mit knapper Not am Leben blieb.

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Deutschland hatte es geschafft, ihn für eine Behandlung freizubekommen, nun war er schon wieder halbwegs beisammen, und der kanadische Regisseur Dan Roher konnte endlich mit seinem Porträtfilm weitermachen. Er wollte den prominentesten Gegner des russischen Präsidenten Putin umfassend vorstellen, und die Tage im Schwarzwald sollten sich dafür als entscheidend erweisen.

Niki Waltl erinnert sich an die erste Begegnung mit Nawalny: "Ich war etwas nervös, weil es eine wichtige Geschichte war, die auch in Zeiten von Corona wirklich durchgekommen ist. Innerhalb von drei Minuten hat sich die Nervosität eigentlich gelöst, es entstand sehr schnell ein familiäres Verhältnis. Nawalny ist die Kamera auch gewöhnt." Das ist tatsächlich ein wichtiger Aspekt des Films Nawalny, der in der Nacht auf Montag zu den Kandidaten für einen Oscar in der Kategorie Bester Dokumentarfilm gehört: Es wimmelt darin geradezu vor Kameras.

Fast undercover

Niki Waltl fungierte als Director of Photography an zentraler Stelle, aber Nawalny wurde auch von seiner Familie und seinem Team ständig gefilmt. Eine intensive Produktion für die sozialen Medien war immer Strategie des politischen Projekts. Was blieb da noch für die Perspektive von Roher und Waltl? "Das große Interview, das der Kern vom Film geworden ist, haben wir im Endeffekt mit vier Kameras gedreht. Nawalny hatte im Schwarzwald, wo er eigentlich versteckt war, sehr wenig Polizeischutz, in Berlin wäre es mühsam und einschränkend gewesen, im Schwarzwald war er fast undercover. Wir haben das dann in einer Bar so gedreht, dass die Kamera quasi der Barkeeper war, der ihm zuhört – ein intimes Setting."

Hinter den Kulissen war die Stimmung auch locker. Für Waltl war Nawalny "sicher die größte Persönlichkeit, die ich bisher dokumentieren durfte". Die professionelle Distanz spielt in so einem Fall eine etwas andere Rolle als bei anderen Projekten. "Irgendwo verschwimmen sicher bei diesem Film die Grenzen, es verschwimmt die Objektivität, weil man sich so gut verstanden hat mit Nawalny. Es war aber von Anfang an klar, dass der Final Cut bei Daniel Roher und beim Filmteam liegt, und nicht beim Team Nawalny."

So hebt Waltl etwa einen Punkt hervor, der in der Propaganda gegen Nawalny oft eine Rolle spielt: "Im Film wird auch gezeigt, dass Nawalny in früheren Zeiten seiner Karriere mit einer relativ rechten Fraktion in Russland geliebäugelt hat, das wurde ihm besonders im Westen immer wieder vorgeworfen. Es war Daniel Roher sehr wichtig, dass das auch angesprochen wird, das Team Nawalny hätte das lieber nicht im Film gehabt."

Wieder inhaftiert

Die Tage im Schwarzwald neigten sich schließlich einem Ende zu, weil Nawalny sich zu einer Rückkehr nach Russland entschlossen hatte – wohl wissend, dass er sich damit großer Gefahr aussetzte. Hat Waltl damals mitgekriegt, dass im Team Nawalny kontrovers über diesen Weg gesprochen wurde? "Es hat darüber überraschend wenig Diskussion gegeben, es war immer klar, dass er zurückgeht. Er möchte in Russland etwas verändern, es wäre immer schwer gewesen, wenn er das von Freiburg aus macht. Er wusste, dass er ins Gefängnis geht, es war aber unklar, was genau passieren würde."

Die Oscar-Nacht wird nun erneut einen Scheinwerfer auch auf den inhaftierten Nawalny werfen, der weiterhin via Instagram mit der Weltöffentlichkeit Kontakt hält. Für Niki Waltl kommt ein großes Abenteuer an ein aufregendes Ende. Er wird in der Oscar-Nacht vor Ort sein, hat sogar einen Platz im Auditorium. Keine kleine Auszeichnung, aber die größere war die Tatsache, dass er überhaupt zu diesem Projekt kam.

"So etwas lässt deinen Horizont fast explodieren, die Gespräche, auch wenn die Kameras abgeschaltet sind, bringen einen enorm weiter. Der Film hat mich als Mensch sehr verändert."(Bert Rebhandl, 10.3.2023)