Thomas Silberberger klatscht vielleicht das nächste Wunder ein. Er genießt es, keinen Druck von außen zu haben. Den macht er sich lieber selbst.

Foto: APA/EXPA/STEFAN ADELSBERGER

"Ich bin in all meinen Rollen authentisch. Das schätzen die Spieler."

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Thomas Silberberger kennt die Liste. Sie geistert seit einigen Tagen durch die sozialen Medien und führt jene Fußballtrainer an, die am längsten beim jeweiligen Verein im Amt sind. Ausgewertet wurden nur die zehn europäischen Topligen, und ja, die österreichische Bundesliga gehört dazu, man soll nie in Bescheidenheit untergehen. Der 49-jährige Silberberger liegt auf Platz drei. Seit dem 1. Juli 2013 kümmert sich der Tiroler um die WSG Tirol, die einst Wattens geheißen hat. Auf Platz eins thront der Argentinier Diego Simeone von Atlético Madrid (seit 23. Dezember 2011), ihm folgt Freiburgs Christian Streich (29. Dezember 2011).

Silberberger hat den Franzosen Olivier Pantaloni (Ajaccio), den berühmten Jürgen Klopp (Liverpool) und Gian Piero Gasperini (Atalanta Bergamo) hinter sich gelassen, womit die natürlich leben können. "Die werden sich fragen, wer ist der Silberberger, den kennt ja wirklich niemand." Zur eigenen Verteidigung sagt er: "Von Pantaloni habe ich auch noch nie gehört, das beruht wenigstens auf Gegenseitigkeit." Wobei er nicht gänzlich ausschließt, "dass Streich meinen Namen zufällig einmal aufgeschnappt hat. Deutschland ist ja unser Nachbar."

Keine Nachfrage

Silberberger ist verwurzelt, seine Bodenständigkeit grenzt an Kitsch, der Begriff "bärig" hat ausreichend Platz in seinem Wortschatz. "Wenn ich keinen Kirchturm sehe, werde ich traurig. Ich brauche die Berge, bin nicht für die weite Welt geschaffen. Ich fühle mich privilegiert, da zu sein, wo ich bin." Er hat keinen Manager, der ihn anpreist, sein Name taucht wirklich nur auf dieser Liste auf. Die großen fünf in Österreich, also Red Bull Salzburg, Sturm Graz, Rapid, der LASK und die Wiener Austria, "würden nie im Traum dran denken, mich zu verpflichten. Das ist halt so, ich bin nicht vernetzt, stelle mich nicht in die Auslage."

Die WSG Tirol ist nach 20 Runden Sechster, hat also Chancen, die Meistergruppe zu erreichen. "Es ist momentan die Fortsetzung der Fortsetzung von der Fortsetzung eines Wunders." Es wird knapp und hart, am Sonntag steigt das Match bei Rapid, zum Abschluss des Grunddurchgangs wird Sturm Graz begrüßt. Zwei jener Vereine, die Silberberger nie und nimmer engagieren würden.

Die WSG Tirol ist im Gegensatz zu ihrem Trainer heimatlos, das Stadion in Wattens wird nie bundesligareif sein, die Stimmung im Innsbrucker Tivoli wäre durchaus ausbaufähig, es fehlt an jeglicher Fan-Unterstützung. Das Desinteresse hat Silberberger mittlerweile akzeptiert. "Der Druck kommt bei uns nicht von außen, wir machen ihn uns selbst. Das ist ein gewisser Luxus. Es ist schön, wenn dich niemand auf der Rechnung hat. Genau darin liegt unsere Chance."

Und es gibt einen weiteren Luxus. "Verlieren wir fünfmal hintereinander, bricht keine Panik aus, es wird nicht alles über den Haufen geworfen, sondern Ruhe bewahrt." In Hartberg, Ried oder Altach sei das nicht der Fall. "Dabei sind die ja auch nicht so viel anders als wir. Ich begreife nicht, wie schnell man dort den Mechanismen nachgibt."

Der 31. Mai 2020 war für Silberberger ein prägender Tag. Schwerer Motorradunfall, das linke Bein völlig zertrümmert, nach zehn Tagen saß (lag) er im Gipskorsett auf der Bank. "Ich bin über die Grenzen gegangen, ein völliger Irrsinn." Seit diesem Tag ist er nie wieder Motorrad gefahren. Wurscht, so bärig war es auch wieder nicht. "Seither bin ich total entschleunigt. Ich denke, ich habe die richtigen Lehren daraus gezogen."

Als Trainer beherrscht er "alle Tastaturen des Klaviers. Ich bin manchmal Kumpel, manchmal ein kleiner Diktator, manchmal Laisser-faire. Aber ich bin in all meinen Rollen authentisch, das schätzen die Spieler." Die drei bestverdienenden Kicker des LASK, sagt er, kassieren so viel wie alle 18 der WSG. Silberberger hat da eine verlässliche Quelle. Und der LASK ist bei weitem nicht Salzburg.

Keine Stars

Die Mannschaft funktioniert. Sie hat keine Stars, von Rapid wurde im Sommer Lukas Sulzbacher erworben, die Hütteldorfer hatten keinen Bedarf am 22-jährigen Mittelfeldspieler. "Bei uns ist er rechts in der Viererkette eine absolute Stammkraft."

Silberberger freut sich auf den Sonntag, es könnte bärig werden. "Tolle Kulisse, ein absolutes Highlight. Rapid dürften wir eher egal sein. Aber sie haben sicher Respekt und nur zwei Zähler mehr." Seit der Saison 2018/19 ist die WSG Tirol in ihrer Unauffälligkeit erstklassig. Vielleicht wird Silberberger den berühmten Simeone irgendwann überholen. Aber darum geht es dem Tiroler nicht. "Ich will die Fortsetzung der Fortsetzung der Fortsetzung." Es wäre ein Wunder. Ein bäriges. (Christian Hackl, 11.3.2023)

Rapid Wien – WSG Tirol (Wien, Allianz Arena, SR Hameter). Bisheriges Saisonergebnis: 5:0 (a)

Rapid: Hedl – Kasius, Sollbauer, Querfeld, Moormann – Kerschbaum, Petrovic – Zimmermann, Greil, Grüll – Burgstaller

Es fehlen: Auer, Pejic (beide gesperrt), Kühn, Gartler, Koscelnik, Druijf, Hofmann, Sattlberger (alle verletzt bzw. im Aufbautraining)

WSG: F. Oswald – Ranacher, Stumberger, Behounek, Schulz – Sulzbacher, Müller, Ertlthaler – Ogrinec – Sabitzer, Rogelj

Es fehlen: Bacher (gesperrt), Blume (Sprunggelenk), Okungbowa (Oberschenkel)