Im Gastblog gibt der Afrikahistoriker Clemens Gütl einen Einblick in weltanschauliche und politische Aspekte des Ägyptologen.

Wilhelm Czermak wurde am 10. September 1889 in Wien in eine Gelehrtenfamilie hineingeboren. Er war der Sohn des Augenarztes Wilhelm Czermak sen. (1856–1906) und von Adelheid Czermak, Tochter des Rechtswissenschafters und Herrenhausmitglieds Leopold Pfaff (1837–1914). Czermaks Großvater wiederum war der Psychiater Joseph Czermak (1825–1872), sein Großonkel der Physiologe Johann Nepomuk Czermak (1828–1873) und sein Onkel der Physiker Paul Czermak (1857–1912).

Schüler, Student und Soldat

Nach der Matura am Wiener Schottengymnasium im Jahr 1907 studierte Czermak an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien indogermanische Sprachwissenschaft, Ägyptologie, Afrikanistik, Semitistik, Arabisch und Geographie Afrikas. Zu seinen Lehrern zählten unter anderen Hermann Junker, Rudolf Eugen Geyer, Joseph von Karabaček und Paul Kretschmer. 1911 promovierte er mit einer Dissertation über "Die Nominalform Fu'lûl im Altarabischen" im Fach Orientalische und Ägyptische Sprach- und Altertumskunde.

Wilhelm Czermak als Rektor der Universität Wien, Porträt von S. Pauser (1954).
Foto: Archiv der Universität Wien

1911 und 1912 war er Einjährig-Freiwilliger im k. u. k. Dragonerregiment Nr. 7. Nach archäologischen Assistenzarbeiten 1912/13 für den Ägyptologen Junker bei den Pyramiden von Gizeh war er im Ersten Weltkrieg in Russland und im osmanischen Vilâyet Aleppo im Militäreinsatz und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet.

Terrasse des österreichischen Grabungshauses in Gizeh (1913). Von links: Maria Junker, ihr Bruder Hermann Junker, Wilhelm Czermak und seine Schwester Paula.
Foto: KHM-Museumsverband

Habilitation und Professur für Ägyptologie

Auf Basis einer phonetischen Analyse, für die er mit dem jungen katholischen Konvertiten Samuel Fadl el Maula zusammengearbeitet hatte, konnte Czermak erst nach dem Krieg seine Habilitationsschrift "Kordufānnubische Studien" publizieren (1919). Sein Betreuer Junker bezeichnete das Werk als "wirkliches Kabinettstück philologischer Akribie", während andere Fachkollegen es scharf kritisierten. Mit seiner Ernennung zum Privatdozenten erhielt Czermak die Lehrbefugnis für "hamito-semitische und afrikanische Sprachen". Im Jahr 1925 erfolgte seine Bestellung zum außerordentlichen Professor für Afrikanistik.

Das Unterrichtsministerium genehmigte 1923 Hermann Junkers Antrag auf Gründung eines selbstständigen Universitätsinstituts für Ägyptologie und Afrikanistik, für das Räume in der heutigen Albertina zugewiesen wurden. Als Junker 1929 die Stelle des Direktors des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo antrat, schied er als Lehrstuhlinhaber für Ägyptologie in Wien aus. Die Wiederbesetzung der Lehrkanzel erfolgte 1931 mit seinem ehemaligen Studenten und Assistenten Czermak, der bis zu seinem Lebensende 1953 auch Institutsvorstand war.

Die "Wiener Schule der Ägyptologie"

Die Ausrichtung des Instituts unter Czermaks Leitung wird gelegentlich als "Wiener Schule der Ägyptologie" bezeichnet. Sie soll ganz "'anders' (…) als die Ägyptologie sonst auf der Welt" gewesen sein, weil sie die "metaphysische", "nicht irdische" Ebene mit einschloss, so die spätere Ordinaria Gertrud Thausing in ihren Lebenserinnerungen. Sie bezog sich wohl auch auf die Aktivitäten eines exklusiven Kreises von Ägyptologinnen und Ägyptologen, der sich ab den 1930er-Jahren regelmäßig mit Czermak zur Lektüre und Interpretation des altägyptischen Totenbuchs zusammenfand. Das Institut für Ägyptologie und Afrikanistik soll "ganz von (Czermaks) Geist erfüllt" gewesen sein. Typisch war die Anwendung einer "intuitiven" Unterrichtsmethode mit "ungewöhnlichen" Textanalysen unter seiner "behutsamen" und "anregenden Führung", die stets das Ziel hatte, zum jeweiligen "Sprachgeist" oder "Wesenskern" einer sprachlichen Äußerung vorzudringen.

Ehemalige Studierende erinnerten sich an Czermaks minutiös geplante Vorträge, sein charismatisches Auftreten und seine charakteristische "rauchige Stimme". Gelegentlich wurde er wegen seiner hageren Statur und auffallenden Physiognomie scherzhaft mit der Mumie von Pharao Ramses II. verglichen.

In seinen Publikationen setzte Czermak Schwerpunkte mit Texten über das "rhythmische Element", die "Lokalvorstellung" und den grammatischen Aufbau von Sprachen. Er behandelte aber auch sprach- und völkerpsychologische, sprachphilosophische und kulturhistorische Aspekte sowie Fragen zur altägyptischen Religion.

Antisemitische Netzwerke

Czermak gehörte mehreren wissenschaftlichen Institutionen an, beispielsweise der Anthropologischen Gesellschaft in Wien oder dem International African Institute in London, agierte aber auch in (hochschul)politischen und antisemitischen Netzwerken. So war er etwa Profiteur und Akteur in jener geheim operierenden Clique aus christlichsozialen, deutschnationalen und antisemitischen Professoren der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, die ab den 1920er-Jahren unter dem Decknamen "Bärenhöhle" zum eigenen Vorteil Habilitationen und Berufungen jüdischer und linker Wissenschafterinnen und Wissenschafter verhinderte.

Im Geheimbund "Deutsche Gemeinschaft" (1919–1930) sowie im "Deutschen Klub" (1908–1939), dem bedeutendsten parapolitischen Verein im Zusammenhang mit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, engagierte sich Czermak ebenfalls. Außerdem leitete er zwischen 1927 und circa 1930 die "Akademische Legion", den Wehrverband der Wiener Hochschüler, in deren Verein nur "Jung- und Altakademiker deutscharischer Abstammung" als Mitglieder zugelassen waren.

Zweiter Weltkrieg

Als Professor legte Czermak 1938 den obligatorischen Eid auf Adolf Hitler ab. Wenngleich er selbst nie Mitglied der NSDAP war, hatte er einflussreiche Nationalsozialisten in seinem Kollegen-, Freundes- und Verwandtenkreis. Sie konnten gewisse Zweifel über seine politische Zuverlässigkeit für das neue Regime erfolgreich ausräumen. Solche sind in einem Gutachten für das Gaupersonalamt dokumentiert, das sich im Österreichischen Staatsarchiv findet. Darin hatten Zeugen eine besondere Nähe Czermaks zum christlichsozialen Lager – und damit zum austrofaschistischen Ständestaat – vermutet, unter anderem mit der Begründung, dass er häufig mit dem Priester und Ägyptologen Hermann Junker gesehen wurde und dass er sich während der Verbotszeit sehr bedeckt hielt. Junker war – das dürfte dem Amt damals unbekannt gewesen sein – übrigens selbst illegales Parteimitglied der NSDAP. Czermak behielt seine Stelle als Hochschullehrer.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften nahm Czermak 1939 unter der Leitung ihres Präsidenten Heinrich Srbik, eines einstigen Mitglieds der "Bärenhöhle" und des Deutschen Klubs, als korrespondierendes Mitglied im Inland auf.

Zur Löschung von Czermaks Namen aus der sogenannten Gegner-Kartei der NSDAP (1942) dürfte sein Engagement im Kontext von nationalsozialistischen Kolonialplänen beigetragen haben. Darunter fielen die Organisation von Lehrgängen in afrikanischen Sprachen für Offiziere und Wachtmeister der Ordnungspolizei an seinem Institut (1940/41), die Teilnahme an kolonialwissenschaftlichen Tagungen in Berlin und Leipzig und die Mitwirkung bei der Formulierung einer Stellungnahme für die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V. der SS an den Reichsforschungsrat zum möglichen Einsatz von einschlägig spezialisierten Wissenschaftern nach der geplanten Rückeroberung von deutschen Kolonien in Afrika.

Erster Dekan der wiedereröffneten Universität Wien

Am 8. Mai 1945 endete mit der vollständigen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht auch in Österreich offiziell der Zweite Weltkrieg. Schon am 15. April 1945 hatte Czermak mit fünf weiteren Mitgliedern des Lehrkörpers an einer Sitzung zur Wiedereröffnung der Universität Wien teilgenommen, die der erst 22-jährige Orientalist und spätere Doyen der österreichischen Judaistik, Kurt Schubert, als selbsternannter "Studentenrektor" einberufen hatte.

Diese Sitzung fand am Institut für Ägyptologie und Afrikanistik in der Frankgasse 1 im neunten Wiener Gemeindebezirk statt, woran noch heute eine 1995 am Gebäude angebrachte Gedenktafel erinnert. Auf die zahlreichen Vertreibungen von Lehrenden und Studierenden von der Universität Wien wird dort ebenso wenig hingewiesen wie auf Czermaks antisemitische Aktivitäten bereits vor dem Krieg und die Tatsache, dass die Wiedereröffnung der Universität in einer "arisierten" Wohnung des emigrierten Malers Armin Horovitz und dessen Frau stattfand, in der das Institut für Ägyptologie zwischen 1939 und 2014 untergebracht war.

Noch im April 1945 wurde Czermak zum Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien gewählt, eine Funktion, die er bis zum Studienjahr 1946/47 ausübte. Im Oktober 1945 erfolgte seine Wahl zum wirklichen Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Tod an der Spitze der akademischen Pyramide

Mit seiner Wahl zum Rektor der Universität Wien für das Studienjahr 1952/53 stand Wilhelm Czermak schließlich im Zenit seines Ruhms.

Bundespräsident Körner gratuliert Czermak anlässlich seiner Inauguration als Rektor, Großer Festsaal der Universität Wien, 27. November 1952.
Foto: Bildarchiv Austria

Doch nur wenige Monate nach seiner Inauguration wurde im großen Festsaal der Universität Wien sein Leichnam aufgebahrt: Er war am 13. März 1953 unmittelbar nach der Abhaltung einer Promotion in seinem Amtszimmer an der Universität zusammengebrochen und erlag vor Ort einem Herzinfarkt. Den Sarg flankierte unter anderem eine Totenwache der katholischen akademischen Verbindung Bajuvaria, deren Ehrenmitglied Czermak war – unter dem Couleurnamen "Cheops". (Clemens Gütl. 14.3.2023)