Schwere Vorwürfe gegen Karol Józef Wojtyła, besser bekannt als Papst Johannes Paul II. (1978–2005): Er soll schon in seiner Zeit als Bischof von Krakau und dann als Kardinal von pädophilen Priestern in seiner Diözese gewusst haben. Wie viele andere Bischöfe habe auch er "Sexualstraftäter in der Soutane" geschützt: Dies geht aus Dokumenten hervor, die zwei Investigativjournalisten diese Woche in Polen aufdeckten und nun in einem Buch mit dem Titel "Maxima Culpa" veröffentlichten.

Die Skandalaufarbeitung in Buchform und als TV-Dokumentation sorgt in Polen für Aufregung.
Foto: Reuters / KACPER PEMPEL

Statt die Täter an die Staatsanwaltschaft auszuliefern oder zumindest aus der katholischen Kinderseelsorge auszuschließen, habe Wojtyła (1920–2005) sie lediglich in eine andere Gemeinde versetzt – eine in der katholischen Kirche jahrzehntelang und international geübte Praxis.

Starke Österreich-Tangente

Ein Krakauer Geistlicher, den Mütter sexuell missbrauchter Kinder auf offener Straße attackierten und ihm Rache schworen, tauchte plötzlich in Österreich auf – mit einem Empfehlungsschreiben Wojtyłas an den damaligen Wiener Erzbischof Franz Kardinal König (1905–2004). Im Brief, der nun öffentlich wurde, findet sich freilich kein Wort zu den Missbrauchsvorwürfen gegen den Priester.

Die Fernsehdokumentation "Franciszkanska 3" – das ist die vielen Gläubigen in Polen bekannte Adresse der Krakauer Erzdiözese – und die Publikation des Buches "Maxima Culpa. Johannes Paul II. wusste es" lösten eine hitzige Debatte in ganz Polen aus.

Marcin Gutowski, der für das Dokumentarfilmprogramm "Schwarz auf Weiß" des Privatsenders TVN24 arbeitet, und der niederländische Korrespondent Ekke Overbeek, der sich seit Jahren mit dem Thema "Pädophilie in Polens katholischer Kirche" beschäftigt, mussten sich anhören, die falschen Dokumente gelesen zu haben; sie seien naiv und inkompetent und wollten als "Linke" angeblich die "Werte der katholischen Kirche" zerstören.

Wütende Reaktionen aus der Politik

Polens Außenminister Zbigniew Rau bestellte sogar den US-amerikanischen Botschafter ein, da TVN dem Medienkonzern Warner Bros / Discovery in den USA gehört. Dem offiziellen Kommuniqué zufolge seien "die potenziellen Folgen der Aktivitäten des Senders mit den Zielen eines hybriden Krieges gleichzusetzen, der zu Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellschaft führen" solle.

Damit nicht genug, verabschiedete am Donnerstagabend auch noch der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, eine Resolution zur "Verteidigung des guten Namens des Heiligen Johannes Paul II". Tatsächlich wurde der 2005 verstorbene Wojtyła 2011 zunächst selig- und 2014 sogar heiliggesprochen – ein unüblich schneller Vorgang.

Die Kinder, die laut den Kirchen- und Geheimdienstdokumenten zu Zeiten des damaligen Kardinals Wojtyła zu Opfern pädophiler Priester wurden, kommen in der Sejm-Resolution nicht vor. Vielmehr werfen die zumeist konservativen Parlamentarier und Parlamentarierinnen den Reportern vor, Johannes Paul II. kompromittieren zu wollen. "Wir lassen uns unsere Würde nicht wegnehmen", rief etwa Sejm-Marschallin (Vorsitzende) Elżbieta Witek in den vollbesetzten Saal.

Empfehlungsschreiben an Kardinal König

Der Fall des Priesters Sadus spielt sowohl in der Fernsehreportage als auch im Buch "Maxima Culpa" eine große Rolle. Denn zunächst – im Frühjahr 1972 – hatte Wojtyła den Priester als Seelsorger der St.-Florian-Gemeinde in Krakau suspendiert, da dieser – so geht aus dem Bericht eines Krakauer Priesters an den kommunistischen Staatssicherheitsdienst (SB) hervor – immer wieder von Müttern der sexuell missbrauchten Kinder auf der Straße angehalten worden sei und diese ihn laut verflucht hätten.

Monate später, am 6. November 1972, richtet der spätere Papst ein Empfehlungsschreiben an Kardinal König in Wien. Der Krakauer Priester Boleslaw Sadus begebe sich ins Ausland, um Material für seine Studien zu sammeln, schrieb Wojtyła, der den Brief handschriftlich unterzeichnete: "Er interessiert sich für Entwicklungspsychologie (Einfluss der technischen Zivilisation auf die Psyche des Kindes), Entstehung religiöser Begriffe."

Spur führt nach Niederösterreich

Sadus habe sich bereits am 8. September mit einem Brief an den Wiener Kardinal gewandt und um eine Aufenthaltserlaubnis in der Diözese gebeten sowie um die Zuteilung eines Postens. "Nun befürworte ich seine Bitte und würde Ew. (Ehrwürdige) Eminenz dankbar sein, wenn sie seinen Plänen entgegenkommen würden", heißt es im Brief, der im Film gezeigt wird. Kardinal König kommt dem Wunsch Wojtyłas nach und ernennt Sadus zum Seelsorger der katholischen Gemeinde Gaubitsch im Bezirk Mistelbach, Niederösterreich.

Es gibt im Dokumentarfilm sowie im Buch weitere gut belegte Beispiele. Die Autoren haben mit Opfern wie auch ehemaligen Kurienmitarbeitern gesprochen, Akten des kommunistischen Geheimdienstes wie auch Kirchendokumente ausgewertet, wenn auch – wie Gutowski beklagt – die Diözese Krakau den Zugang zu ihren Archiven verweigert habe.

In einer ersten Reaktion der katholischen Kirche Polens auf die Vorwürfe gegen Karol Wojtyła fordert nun aber Adam Zak, Jesuit und Koordinator der Bischofskonferenz für den Schutz von Kindern und Jugendlichen, weitere Archivrecherchen. Ob Journalisten nun Zugang zu den Kirchendokumenten erhalten, lässt Zak allerdings offen. In der Stellungnahme heißt es lediglich: "Heute haben wir zweifellos ein viel größeres gesellschaftliches Bewusstsein für die Auswirkungen sexuellen Missbrauchs." (Gabriele Lesser, 10.3.2023)