Bei der Pressekonferenz in Cutro zeigt Giorgia Meloni auf ihrem Handy Bilder der EU-Grenzschutzagentur Frontex, auf denen das später verunglückte Flüchtlingsboot zu sehen ist.

Foto: AFP/TIZIANA FABI

Zur Beratung und Verabschiedung des neuen Dekrets hat sich die Regierung an den Ort des Unglücks begeben: nach Cutro in Kalabrien, wo in der Nacht des 26. Februar ein aus der Türkei kommendes Flüchtlingsboot bei schwerer See auf einer Sandbank vor dem Badestrand zerschellt war. An Bord befanden sich 150 bis 200 Personen. 72 von ihnen wurden bisher tot geborgen, 80 konnten sich schwimmend an Land retten, alle anderen werden weiterhin vermisst.

Warum die Küstenwache dem Boot nicht zur Hilfe eilte, obwohl seine Position bekannt war und ein schwerer Sturm tobte, ist weiterhin unklar. Die Staatsanwaltschaft von Crotone hat in der Sache Ermittlungen eingeleitet. Die Regierung weist jede Schuld an der unterbliebenen Rettung weit von sich.

"Wer glaubt, das Drama ändere etwas an unserer Linie bei der Migrationspolitik, der täuscht sich gewaltig", erklärte Ministerpräsidentin Meloni, Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, nach der Regierungssitzung in Cutro beinahe trotzig. Für sie und ihr Kabinett sind weiterhin die Schlepper die Hauptverantwortlichen des Unglücks.

Bis zu 30 Jahre Haft

Für diese Menschenhändler werden die Strafen massiv verschärft: Wenn künftig bei einem Bootsunglück Menschen ums Leben kommen, sollen die Schlepper mit bis zu 30 Jahren Gefängnis bestraft werden können. Auch bei glimpflich verlaufenen Überfahrten sollen sie, sofern man ihrer habhaft werden kann, für mehrere Jahre ins Gefängnis wandern.

Aber auch gegen die Bootsflüchtlinge selbst wird die Schraube angezogen: Der provisorische Aufenthaltstitel der humanitären Aufnahme soll zurückhaltender erteilt und abgewiesene Asylbewerber konsequenter abgeschoben werden. Damit legt die Regierung Maßnahmen neu auf, die teilweise schon 2018 und 2019 unter der ersten Regierung von Giuseppe Conte beschlossen worden waren, mit Lega-Chef Matteo Salvini als Innenminister.

Damals wurden fast 100.000 Migranten, die in Italien zuvor humanitären Schutz genossen hatten, von einem Tag auf den anderen "illegal". Mangels Abkommen mit den Herkunftsländern konnten freilich die allerwenigsten von ihnen abgeschoben werden. Auch heute kann die Regierung nicht einmal jeden zehnten abgewiesenen Asylbewerber auch tatsächlich "nach Hause schicken", wie sich Salvini auszudrücken pflegt.

Leichtere legale Einreise

Im Gegenzug zur Verschärfung der Maßnahmen gegen die Schlepper und die illegal Eingereisten sollen die legale Einwanderung und der legale Aufenthalt in Italien erleichtert werden. Unter anderem will die Regierung die Einwanderungsquoten erhöhen und dabei Herkunftsländer bevorzugen, die bei der Bekämpfung der Schlepperbanden und bei der Rückübernahme abgelehnter Asylbewerber kooperieren.

Konkrete Zahlen hat die Regierung in Cutro nicht genannt, aber kurz nach dem Bootsdrama hatte Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, Schwager von Meloni und auch verwandt mit der kürzlich verstorbenen Filmdiva, erklärt, dass derzeit allein in der Landwirtschaft eine halbe Million Arbeitskräfte fehlten.

Dass sich Meloni fast zwei Wochen Zeit gelassen hat, ehe sie sich in Cutro blicken ließ, ist von der neuen Oppositionsführerin, PD-Chefin Elly Schlein, als "verspätet" kritisiert worden. Staatspräsident Sergio Mattarella hatte den Toten in der Sporthalle von Crotone schon vor einer Woche die Ehre erwiesen und sich bei der Gelegenheit – im Gegensatz zu Meloni – auch mit deren Angehörigen unterhalten.

Mit Plüschtieren beworfen

Andere Oppositionspolitiker sprachen im Zusammenhang mit der Regierungssitzung in Cutro von einem "heuchlerischen Schaulaufen", und auch im Ort selbst regte sich Protest: Einwohner riefen "Mörder" und "Schande über euch!" und bewarfen den ministerialen Autokorso mit Plüschtieren – in Erinnerung an die 15 Kinder, die bei dem Drama ertrunken sind. Meloni, die selbst Mutter eines sechsjährigen Mädchens ist, will nun die Angehörigen der Opfer in den Regierungspalast in Rom einladen. (Dominik Straub aus Rom, 10.3.2023)