Christian Schmidt vor einem Denkmal der Opfer von Srebrenica.

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Der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister von der CSU, Christian Schmidt, sorgt abermals für Kritik in Bosnien-Herzegowina. Bei dem Budapester Balkanforum sprach er von einer "genocide-style situation" in Srebrenica, auf Deutsch kann man das mit einer "völkermordähnlichen Situation in Srebrenica" übersetzen. Christian Schmidt ist zuständig dafür, das Friedensabkommen von Dayton umzusetzen und die Institutionen des Staates Bosnien-Herzegowina, der im Krieg (1992–1995) von serbischen und kroatischen Nationalisten mithilfe der Staaten Serbien und Kroatien angegriffen wurde, zu schützen.

Die Leugnung oder Verharmlosung des Genozids und aller anderen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stehen in Bosnien-Herzegowina unter Strafe. Dies ist vor allem für die Opfer der Massenverbrechen, des Genozids und der Vertreibungen sehr wichtig. Denn diese Menschen, die deshalb vertrieben, entrechtet, vergewaltigt, gefoltert, eingesperrt und ermordet wurden, weil sie die "falschen Namen" hatten, leiden seit Jahrzehnten unter dem grassierenden Revisionismus und der Verherrlichung von Kriegsverbrechern wie dem Massenmörder Ratko Mladić.

Schwere Entgleisung

In und rund um Srebrenica wurden ab dem 11. Juli 1995 mehr als 8.000 Menschen mit muslimischen Namen gezielt von der Armee der Republika Srpska getötet und in Massengräbern verscharrt. Denn das Ziel serbischer Nationalisten war es, den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören und ein Großserbien zu schaffen, deshalb sollten die Menschen mit muslimischen Namen (Bosniaken und Bosniakinnen) vertrieben und ermordet werden.

Die Bezeichnung "genocide-style" von Schmidt zum Völkermord in Srebrenica sorgt nun für Verunsicherung und Kritik. Der Wiener Balkan-Experte vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) Vedran Džihić meint dazu zum STANDARD: "Das internationale Völkerrecht kennt keine Phrase von einer "genocide-style" Situation. Die Urteile der internationalen Gerichte sind in Bezug auf Srebrenica eindeutig, es war ein Genozid. Dass der Hohe Repräsentant in Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt, nun in Budapest die Ereignisse in Srebrenica als eine "genocide-style situation" beschreibt, ist in mildester Interpretation eine schwere rhetorische Entgleisung."

Opfer beleidigen

Džihić forderte eine "Entschuldigung oder Klarstellung" von Schmidt. Falls diese nicht schnell komme, "muss man feststellen, dass er mit dieser Aussage den Genozid in Srebrenica verharmlost, internationale Standards untergräbt und letztlich die Opfer des Genozids beleidigt. Diese jüngste Aussage reiht sich in ein in eine Kette von fragwürdigen politischen Entscheidungen, einer deutlich sichtbaren politischen Voreingenommenheit des Hohen Repräsentanten und von rhetorischen Ausfällen, die insgesamt das Amt des Hohen Repräsentanten und das Ansehen der internationalen Gemeinschaft beschädigt. Aus meiner Sicht hat Christian Schmidt sein politisches Kapital in Bosnien verbraucht und ist rücktrittsreif", so Džihić.

Am Freitag veröffentlichte das Amt des Hohen Repräsentanten tatsächlich ein Statement zu Schmidts Bemerkung in Budapest. "Die Haltung des Amtes des Hohen Repräsentanten (OHR) zum Völkermord von Srebrenica ist vollkommen klar und wurde viele Male geäußert. Wir werden Fehlinterpretationen nicht kommentieren, dieses Thema ist verantwortungsbewusst anzugehen. Der OHR ist in Kontakt mit dem Gedenkzentrum in Srebrenica und den Müttern von Srebrenica, um Missverständnisse zu vermeiden."

Wahlgesetz

Schmidt wird bereits seit vielen Monaten in Bosnien-Herzegowina kritisiert, weil er zugunsten der kroatisch-nationalistischen HDZ und auf Wunsch der kroatischen Regierung und von US-Diplomaten, das Wahlgesetz am Wahlabend änderte. Der Wille der Wähler und Wählerinnen wurde somit nach der Stimmabgabe modifiziert. Inhaltlich hat er die Proportionalität in einer der Parlamentskammern im Landesteil Föderation zugunsten der großen mono-ethnischen Parteien verändert und damit die multiethnischen, pro-europäischen Kräfte geschwächt.

Bereits in den Kriegsjahren und danach haben maßgebliche westliche Diplomaten und Politiker immer wieder mit den Nationalisten, die den gemeinsamen Staat Bosnien-Herzegowina untergraben wollen, "Deals" gemacht und damit die pro-bosnischen Kräfte geschwächt. Dieser Weg wird offenbar von der Internationalen Gemeinschaft weiter beschritten.

Am Freitag weilten auch der österreichische und der italienische Außenminister Alexander Schallenberg und Antonio Tajani in Sarajevo. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem bosnischen Außenminister Elmedin Konaković, einem Bosniaken von der nationalistischen Partei NIP, betonte Schallenberg die Wichtigkeit des EU-Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina.

Wirtschaftsprojekte und Migrationseindämmung

Schallenberg sagte, dass die "EU nicht geliefert habe", wenn es um die Integration der Westbalkan-Staaten in die EU gehe. "Das Versprechen wurde vor zwanzig Jahren in Thessaloniki gegeben und wir haben den Job nicht gemacht. Jetzt haben wir eine neue Chance." Auch Italien unterstützt den Weg Bosnien-Herzegowinas in die EU. Tajani sprach vor allem von Wirtschaftsprojekten, die italienische Firmen in Bosnien-Herzegowina machen wollen. Beide Minister betonten die Wichtigkeit, dass die Migration eingedämmt werde.

Tajiani und Schallenberg stellten sich auch hinter Schmidt. "Herr Schmidt hat einen der schwierigsten Jobs, und es liegt an den Menschen dieses Landes, es ihm leichter zu machen", sagte Schallenberg. In Bosnien-Herzegowina sei Konsens erforderlich, alle sollten auf dem gleichen Weg gehen. Wie dies zu bewerkstelligen sein könnte, wenn nationalistische Parteien wie die SNSD von Milorad Dodik den Staat zerstören wollen und mit dem Kreml kooperieren, erwähnte Schallenberg nicht. Schallenberg fügte zum Thema Schmidt hinzu: "Es ist schwierig für ihn, er hat unsere Unterstützung und muss die Bonner Befugnisse nutzen." Auch von der deutschen Bundesregierung kommt keine Kritik an Schmidt. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 10.3.2023)