Mitten in Tel Aviv, an einer äußerst belebten Ecke der Stadt, eröffnete ein 23-jähriger Palästinenser in den Abendstunden des Donnerstags das Feuer auf den Außenbereich eines Cafés. Es ist der schnellen Reaktion eines Zivilpolizisten zu verdanken, dass der Attentäter gestoppt werden konnte. Drei miteinander befreundete Männer in ihren Dreißigern wurden verletzt, zwei von ihnen liegen auf der Intensivstation im Tel Aviver Ichilov Krankenhaus. Der Schütze wurde getötet. Wenig später bekannte sich die Terrororganisation Hamas zu dem Attentat.

Proteste in Tel Aviv gegen den Kurs der Regierung im Justizbereich.
Foto: AP Photo/Oded Balilty

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der sich auf einem Besuch bei der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni befand, ließ per Aussendung seine Betroffenheit ausdrücken und versicherte: "Wir stärken die polizeilichen Einsatzkräfte."

Führungsvakuum

Das Gegenteil ist der Fall: Während Netanjahu in Rom weilte, hat sein Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir den Polizeikommandanten von Tel Aviv, Ami Ashad, gefeuert. Das war kurz vor dem blutigen Attentat in Tel Aviv. Ashad begab sich trotzdem an den Tatort, stand der anwesenden Presse Rede und Antwort – in Uniform. Die Medien hätten sonst auch niemanden gehabt, den sie interviewen könnten: Minister Ben Gvir war nicht da. Er wusste wohl, dass ihn in Tel Aviv vor allem wütende Demonstranten empfangen würden, keine wohlwollenden Fans.

Es ist ein brutaler Machtkampf, der sich seit mehreren Monaten in Israels Sicherheitskreisen abspielt, und er begann schon vor der Regierungsbildung. Ben Gvir, ein radikaler Siedler, der mehrmals wegen Hetze gegen Araber und Immigranten, aber auch wegen Terrorunterstützung verurteilt worden war, will die Polizei in eine rechtsextreme Leibgarde verwandeln.

Dass der Polizeichef von Tel Aviv da nicht mitspielt und dabei auf seine Befugnisse als Bezirkskommandant pocht, stößt Ben Gvir übel auf. Am Donnerstag, als Hunderte Demonstranten 90 Minuten lang die Ayalon-Autobahn in Tel Aviv blockierten, eskalierte die Lage. Zwar löste die Tel Aviver Polizei die Blockade auf, aus Sicht Ben Gvirs ging sie dabei aber zu sachte vor. Die Folge: Im Auftrag Ben Gvirs entließ Israels Polizeichef Kobi Shabtai den Tel Aviver Kommandanten aus dem Amt und versetzte ihn auf eine andere Stelle – wohl mit der Absicht, ihn durch einen rechts gesinnten Polizeikommandanten zu ersetzen.

"Ernste Bedenken"

Das letzte Wort scheint in der Causa aber noch nicht gesprochen zu sein. Wie schon öfter, schob Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara der ultrarechten Regierung einen Riegel vor. Sie erklärte die Personalentscheidung für eingefroren: Es gebe "ernste Bedenken, was die Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs betrifft", erklärte die mächtige Juristin, die ein Prüfverfahren eingeleitet hat. Sollte dabei herauskommen, dass der Vorgang tatsächlich gesetzeswidrig war und dies vom Höchstgericht bestätigt wird, muss der Kommandant wieder ins Amt gesetzt werden.

Es ist nur eine von vielen Fronten im Machtkampf zwischen Regierung und Justiz, die nun in Ben Gvirs Ministerium und dem Polizeikörper ausgefochten wird. Netanjahus ultrarechte Koalition will die Justiz entmachten und ohne demokratische Kontrolle regieren können. Es ist eben dieser Demokratieabbau, gegen den seit Monaten hunderttausende Israelis auf die Straße gehen, Streiks ausrufen und Autobahnen blockieren.

Nachdem die Generalstaatsanwältin erklärt hatte, was Sache ist, zog Ben Gvir seine eigenen Schlüsse aus der Affäre. Die Causa Ashad, so erklärte der Minister, sei nur ein weiteres Beispiel dafür, wie notwendig die Entmachtung der Justiz sei. (Maria Sterkl, 10.3.2023)