Miley Cyrus im kalifornischen Ist-Zustand. Auf ihrem Album "Endless Summer Vacation" ergibt sie sich dem mythischen Lebensgefühl des Golden State.

Foto: Sony Music

Der Titel verweist auf eine Tradition. Miley Cyrus’ neues Album heißt Endless Summer Vacation und ist ein Kalifornien-Album. "Endless Summer", der nie endende Sommer, ist eine Chiffre für den südlichen Teil des Golden State, die die Beach Boys der Popmusik in den 1960ern eingeschrieben haben. Es meint einen Zustand aus mildem Klima, von Palmen gesäumten Straßen, Fun in the Sun, Erholung am Strand, Surfen und Müßiggang, gekrönt von atemberaubenden Sonnenuntergängen. Ein Idealbild, dem die Wirklichkeit hinterherhinkt, aber das kratzt natürlich einen Mythos nicht.

Cyrus’ Album erfüllt das Klischee und bricht es zugleich. Im Video des vorab veröffentlichten Liedes Flowers stelzt sie zu Fuß durch einen der reichen Vororte von Los Angeles, kommt in eine Villa, die einst Frank Sinatra gehört hat, und rekelt sich bald darauf Sex-positiv gekleidet am Pool.

Flowers gilt als Abrechnung mit ihrem Ex-Mann Liam Hemsworth und wurde je nach Sichtweise als öffentliches Schmutzwäsche-Waschen oder total starke Ansage gedeutet. Flowers eröffnet Endless Summer Vacation und legt dem Album die Latte: Der lässige Popsong mit einnehmendem Bass plus Geplucker erinnert an die klassische Madonna-Schule.

MileyCyrusVEVO

Zweigeteilt soll das Album sein, in eine AM- und eine PM-Atmosphäre, also ein Morgen- und ein Abendgefühl, was nicht immer nachvollziehbar, aber egal ist. Was manche Titel sehr wohl vermitteln, ist eine Mischung aus Coolness und gereizter Langeweile im Sinne des Bret Easton Ellis.

Leicht sediert

So wie der US-Romancier sein Aufwachsen an den Swimmingpools reicher Eltern mit den Kindern anderer wohlbestallter Eltern in L.A. beschreibt, plätschert Cyrus’ Musik dahin. Früh abgebrüht, zart gelangweilt, immer schick, nie ganz anwesend, meist leicht sediert: das Leben als ein Yin und Yang aus Valium und Speed in erlauchter Umgebung.

Cyrus erfüllt darin das Klischee des Glamourgirls und versucht gleichzeitig zu reflektieren, was davon echt und erstrebenswert und was Schein und Trug ist. Das ergibt hübsche Disconummern wie River, dem der herbe Gesang der 30-Jährigen gut ansteht. Doch die den Albumtitel am besten erfüllenden Songs sind jene, die höhepunktlos vor sich hin pumpen wie Island oder das mit Brandi Carlile eingespielte Thousand Miles.

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Im Kontrast dazu steht ein relativ konventionelles Lied wie Rose Colored Lense, das an die familiären Wurzeln erinnert: Cyrus’ Vater ist Country-Musiker, ihre Patentante eine gewisse Dolly Parton. Da in Kalifornien Cowboys hauptsächlich in den Filmstudios vorkommen, spielen sie auf dem Album keine Rolle. Das plätschert wie ein Dekorbrunnen im Garten. Ein ganz normaler Sonntagnachmittag in der Sonne, am Pool. Ein Drink geht noch. Dann könnte man sich zu irgendetwas aufraffen. Oder auch nicht. (Karl Fluch, 11.3.2023)