Gleichstellungsexpertin Sabine Wagner-Steinrigl tritt in ihrem Gastkommentar für eine generelle Arbeitszeitverkürzung und die Abschaffung des Alleinverdienerabsetzbetrages ein. Den Ruf nach "mehr Leistung" hält sie für unangebracht.

In Österreich gilt ein gesetzlicher Diskriminierungsschutz für Teilzeitarbeit, und zwar doppelt: So dürfen laut Arbeitszeitgesetz Teilzeit- nicht gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt werden; außerdem beurteilt der Europäische Gerichtshof Benachteiligungen wegen Teilzeit als – ebenfalls verbotene – mittelbare Geschlechterdiskriminierung: weil solche Benachteiligungen Frauen aufgrund ihrer viel höheren Teilzeitquote besonders treffen. Auch wenn diese gesetzlichen Regelungen auf individuellen Schutz abzielen, sind angedachte Leistungskürzungen für Teilzeitarbeitende eine verstörende Ansage.

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Die europäischen Gleichbehandlungsstellen arbeiten seit Jahren daran, die Gleichstellung von Teilzeitarbeit – und damit von Frauen – durchzusetzen: gleiche Stundenlöhne für Teilzeit, Behalten von Führungspositionen nach der Karenz, beruflicher Aufstieg auch in Teilzeit. Dass sich dies positiv auswirkt, ist erwiesen – so sind etwa in skandinavischen Ländern Führung in Teilzeit und die Zahl weiblicher Führungskräfte deutlich höher als in Österreich. Die "Teilzeitfalle" existiert nämlich vor allem dort, wo die "Vollzeitnorm" gilt, also nur Vollzeitarbeit als vollwertig gesehen und Teilzeitarbeit abgewertet wird.

Das bürgerliche Konzept der Vollzeitarbeit des 20. Jahrhunderts meinte männliche Vollzeit. In diesem "male breadwinner model" erhält der Ernährer die Familie, lagert jedoch sämtliche Versorgungs- und Reproduktionstätigkeiten an die nicht erwerbstätige Ehefrau aus: Vom Putzen, Kochen, Waschen und Bügeln bis zu Betreuungsarbeit, weibliche Vollzeitarbeit gab es fast nur in schlecht bezahlten Bereichen. Schließlich wandelte sich dieses Konzept in das "Eineinhalb-Verdiener-Modell", in dem Frauen "Zuverdienerinnen" wurden. Die unbezahlte Arbeit lastete weiterhin auf ihren Schultern – und tut dies überwiegend bis heute.

Alte Rollenbilder

Das Sozialversicherungssystem orientiert sich an diesem Konzept – volle Versicherungsleistungen erhält nur, wer sich fast ausschließlich der Erwerbsarbeit widmet. Das Modell impliziert, dass Sorgearbeit von anderen Personen erledigt wird, und beruht daher auf einem entlang von Geschlechterstereotypen verengten Menschenbild. Für die "Dazuverdienenden" (Frauen) bietet es Nachteile: Ansprüche gibt es nur gemäß ihrem Erwerbsausmaß. Aufgrund unbezahlter Arbeit und familiärer Auslastung können diese jedoch nicht mehr erwerbsarbeiten und landen zuletzt in der Altersarmut. Ebenso benachteiligt werden jene, die ganzheitlicher leben wollen und deshalb Teilzeit arbeiten – nun werden sie als "faul" gebrandmarkt.

Es ist daher höchste Zeit, Arbeits- und Sozialversicherungskonzepte so zu verändern, dass jedem Menschen Zeit für (Selbst-)Fürsorge, Erholung, Haushalts- und Familienarbeit bleibt. Herzstück dieser Veränderung kann nur eine generelle Arbeitszeitverkürzung (auf maximal 35 Stunden) bei vollem Lohnausgleich sein. Vollzeitarbeit würde mit einem Schlag für alle attraktiver werden; auch jene, die es sich nicht leisten können, auf Teilzeit zu reduzieren, wären einbezogen. Der Geldfluss ins Sozialversicherungssystem würde steigen, die Produktivität nicht sinken und die Löhne der Gewinnentwicklung angenähert – die Maßnahme wäre daher auch wirtschaftspolitisch fair.

"Es zynisch, von den im System Benachteiligten ‚mehr Leistung‘ für die Sozialversicherungsgemeinschaft zu verlangen."

Es gibt bereits staatlich unterstützte Teilzeit – die Wiedereingliederungs- und die Altersteilzeit. Damit wurde in der Sozialversicherung schon anerkannt, dass Vollzeitarbeit in bestimmten Lebensphasen nicht adäquat ist. Der Staat ersetzt die Einkommensminderung dabei zur Hälfte, der Pensionsversicherungsbeitrag wird (vom Arbeitgeber) wie bei Vollzeit weitergezahlt. Es kommt zu keinem Pensionsnachteil und zu keinem Minus für die Pensionsversicherung. Unverständlich ist, dass für die ersten Elternjahre keine solche Regelung vorgesehen ist – dies wäre wichtig und würde die Pensionssituation von Frauen deutlich verbessern.

Was aber ist nun mit dem Arbeitskräftemangel, der ja Auslöser dieser Debatte ist? Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage müsste er eine Angebotsverbesserung bringen: höhere Gehälter, bessere Arbeitsbedingungen, aber von all dem ist in der Beratung wenig zu sehen. Viel hingegen von Arbeitsstress und Verantwortungsverlagerung "nach unten"; Migrantinnen und Migranten, die massiv unterqualifiziert arbeiten (müssen) oder aus rassistischen Gründen ihre Jobs verlieren; Diskriminierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Elternpflichten; Frauen, die mit 60 in die Pension gedrängt werden. Offenbar funktioniert das "Marktgesetz" hier nicht von alleine.

Gute Gründe

Teilzeitarbeit hat, wie gezeigt, gute Gründe oder ist als Gegenpart zum vollzeiterwerbstätigen Menschen (Mann) systemimmanent erforderlich. Insofern ist es zynisch, nun von den im System Benachteiligten "mehr Leistung" für die Sozialversicherungsgemeinschaft zu verlangen, wo diese mit ihren Erwerbsbiografien nie ein vollwertiger Teil dieser Gemeinschaft waren. Sinnvoll ist es dagegen, Anreize zu "Wenig-Arbeit" wie den Alleinverdienerabsetzbetrag abzuschaffen, der im Prinzip eine Belohnung des "male breadwinner" ist, oder Steuerstufen fließender zu gestalten. Dies hätte schon längst umgesetzt werden können.

Die Arbeitswelt, deren Defizite auch die Corona-Pandemie offenbart hat, muss sich ändern. Der richtige Weg dahin ist eine politisch initiierte, ganzheitliche und geschlechtergerechte Umgestaltung, um mehr Balance und Zufriedenheit in die Arbeitsbeziehungen zu bringen. Nur dann werden auch mehr Menschen gerne mehr arbeiten. (Sabine Wagner-Steinrigl, 11.3.2023)