Im Gastblog schreibt Mittelschullehrerin Manuela K. über die besonderen Momente während des Schulalltags im Jänner.

Ja, eine Lehrkraft zu sein ist anstrengend. Es gibt – so denke ich – nur wenige Jobs, in denen man bis 10:00 Uhr früh so viele verschiedene Emotionen durchlebt hat, wie als Lehrkraft. Aber es sind nicht nur negative Emotionen, mit denen wir konfrontiert sind. Unsere Arbeit birgt so viel mehr. Sie birgt wunderschöne, lustige und stolze Momente.

Im Klassenzimmer passiert jeden Tag etwas neues - auch für die Lehrkraft.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Ich habe mich im Jänner jeden Tag gefragt, was ich an meinem Job eigentlich so liebe. Jeden Tag habe ich mindestens eine Situation gefunden, die in mir positive Gefühle ausgelöst hat. Und ich würde behaupten, dass wir Lehrkräfte alle solche Momente durchleben. Ich plädiere dafür, diese wieder in den Vordergrund zu stellen und wertzuschätzen, was für einen besonderen, wunderschönen, nervenaufreibenden und wichtigen Job wir tagtäglich machen.

Wochenende: Wissensverschränkung und Motivation

07.1.2023: Ich unterrichte Deutsch und Mathematik. Gerade verbessere ich die Deutscharbeitspläne. Die Aufgabe lautet: "Schreibe einen Satz mit dem Wort 'Viertel'." Die Antwort der Schülerin lautet: "Ein Viertel ist ein Bruch." Sie vereint beide Fächer – ich bin stolz.

08.1.2023: In drei Tagen ist Mathematik-Schularbeit. Letztes Jahr hat meine Schülerin Mathematik gehasst. Sie hatte regelrecht Angst davor und hat eine große Abneigung entwickelt. Sie entschied sich demonstrativ, nicht für die Schularbeit zu lernen. Ich habe die Klasse dieses Jahr in Mathe übernommen. Heute schreibt sie mir, dass sie das gesamte Wochenende für die Schularbeit gelernt habe und ob ich ihr noch eine Frage beantworten könne, da ihr nur mehr eine Sache unklar sei. 

Schulwoche: Über Gefühle reden können

9.1.2023: Es ist Montag nach den Ferien. S. ist am Vormittag wegen eines Termins nicht in der Schule, kommt aber vor der fünften Stunde. Ich stehe am Gang und warte darauf, dass sich meine Klasse für den Turnunterricht anstellt. Sie sieht mich, kommt mir entgegengerannt, umarmt mich und ruft: "Ich bin so froh wieder in der Schule zu sein. Ich hab' Sie vermisst." Ich bin wirklich froh, dass meine Schülerinnen und Schüler gerne zur Schule kommen und sich hier wohl fühlen. 

10.1.2023: Mein Schüler vertraut sich mir an. Er meint, ihm gehe es nicht gut und er macht sich immer große Sorgen über viele Dinge, sodass er nicht einschlafen kann. Ich schlage ihm vor, mit einer Psychologin oder einem Psychologin darüber zu reden und frage ihn, ob ich das mit seiner Mama besprechen soll. Er bedankt sich.

11.1.2023: Ich verbessere den Deutscharbeitsplan zum Thema "Gefühle". Die Aufgabenstellung lautet: "Besprecht gemeinsam, welche Gefühle ihr heute hattet. Habt ihr Gemeinsamkeiten? Schreibt diese auf und begründet." Als Antwort stand: "Wir sind beide glücklich, weil wir heimlich in der Pause Süßes gegessen haben."

12.1.2023: Ich bin seit gestern krank und mir fällt die Decke auf den Kopf. Auf einmal erhalte ich eine Nachricht meiner Schülerin: "Werden Sie bald wieder gesund, wir vermissen Sie!"

13.1.2023: Ich war die letzten beiden Tage krank. Als ich in die Schule komme, sehe ich meine Kollegin, die mich anlächelt und meint: "Schön, dass du wieder da bist und es dir besser geht."

Wochenende: Fittes Wissen

14.1.2023: Diese Woche behandelten wir in Mathematik das Thema "Dreiecke". Dieses Thema haben wir letztes Jahr schon besprochen. Sie mussten die Wochenpläne lösen, ohne viel Input in den Stunden darüber bekommen zu haben, da sie das Wissen noch von letztem Jahr haben sollten. 97 Prozent der Wochenplanaufgaben waren hervorragend gelöst. Stolz überkommt mich – sie merken sich wirklich viele Dinge. Ich bin beeindruckt!

15.1.2023: Es ist Sonntag. Ich freue mich schon auf morgen.

Schulwoche: Spaß und Begeisterung

16.1.2023: Meine Klasse arbeitet ganz oft selbständig an Arbeitsplänen. Ein Schüler kommt zu mir und fragt mich um Hilfe. Ich bin soeben mit der Beantwortung einer anderen Frage beschäftigt und meine nur, ich komme gleich. Als ich zu ihm komme, sitzt er schon mit A. zusammen, der ihm bei der Lösung des Problems hilft. Dieser ist schon fertig mit dem Beispiel, aber noch lange nicht mit dem Arbeitsplan. Trotzdem nimmt er sich Zeit und beantwortet ihm seine Fragen. Sie halten zusammen.

17.1.2023: Heute steht wieder eine Theoriestunde in Deutsch zum Thema Präsentationstechnik an. Ich spiele einen schlechten Vortrag ab. Die Kinder lachen und zeigen dann, wie es eigentlich gehen sollte. Wir haben viel Spaß miteinander.

18.1.2023: Die Klasse hat eine Freiarbeitsphase. Jedes Kind kann sich selbstständig aussuchen, welche Aufgabe es mit wem, wo und wann macht. Am Ende muss alles fertig sein. Ab dem Zeitpunkt, ab dem sie Arbeiten geschickt werden, arbeiten alle – ohne Ausnahme. Ich bin immer wieder erstaunt, wie großartig sie selbstständig arbeiten, konzentriert sind und sich gegenseitig unterstützen. Am Ende waren alle fertig.

19.1.2023: Sie bekommen eine Aufgabe. Mein Schüler, der von sich behauptet, Mathematik nicht zu können, einer, der oft länger braucht, um die Aufgabe zu Gänze zu verstehen, einer, der oft "ich kann das nicht" sagt und einer, der oft resigniert, erhält den heutigen Mathe-Arbeitsauftrag. Er schaut mich mit funkelnden Augen an und sagt: "Ich weiß es, heute schaffe ich das."

20.1.2023: Update zum 10.1.2023: Der Schüler kommt stolz zu mir und redet offen vor der Klasse darüber, dass er jetzt in psychologischer Behandlung ist und er glaubt, dass ihm das gut tue. Die Kinder verurteilen ihn nicht, sondern fragen nach und sind neugierig.

Über psychologische Hilfe zu sprechen, ist in unserer Gesellschaft noch immer tabuisiert. Aber sogar unsere Kinder können dies mittlerweile schon und gehen grandios damit um. Ich bin stolz auf sie.

Wochenende: Eine Klasse mit Empathie

21.1.2023: Ich genieße einen Tag ohne Korrekturen und Vorbereitungen.

22.1.2023: Draußen wird es immer kälter und ich denke an den Dezember zurück, als es das erste Mal geschneit hat und ich in der Schule die Mittagsaufsicht halten durfte, denn das heißt bei uns: Schneeballschlacht. Natürlich lautet das Motto: Alle gegen mich. Ich liebe diese Momente mit ihnen. Sie halten als Klasse zusammen, wir haben wahnsinnigen Spaß miteinander und sie zeigen Empathie, sobald es einmal zu wild wird.

Schulwoche: Füreinander da sein

23.1.2023: Ein Schüler erzählt mir in einem Einzelgespräch, wie es ihm gerade geht. Plötzlich sagt er: "Wissen Sie, Sie sind meine Vertrauensperson."

24.1.2023: Mathematik: Wir wiederholen mündlich kurz, was wir in der Vorwoche gelernt haben. 90 Prozent der Hände sind oben, jede und jeder will etwas beitragen und sie wiederholen gemeinsam die wichtigsten Dinge.

25.1.2023: Wir haben Lernzeit. Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten zu der Zeit ihre Wochenplanaufgaben (diese sind vergleichbar mit Hausübungen, aber sie sollen nicht zuhause gemacht werden). A. ist noch nicht mit seinen Wochenplanaufgaben fertig. Trotzdem setzt er sich zu einem Mitschüler, nimmt sich eine Stunde Zeit und erklärt ihm die Mathematik-Aufgabe.

26.1.2023: Heute waren wir eislaufen. Beide Klassen waren so glücklich und dankbar dafür, dass wir diesen Ausflug machen. Nicht viele können sich den Eintritt und das Ausborgen der Schuhe sonst leisten.

27.1.2023: Einer Schülerin geht es nicht gut. Sie trösten sie, sorgen für sie und halten zusammen, um sie zu beruhigen und für sie da zu sein. Diesen Zusammenhalt und die Empathie, die sie gezeigt haben, haben sie erst gelernt. Das ist so unfassbar wichtig für ihr weiteres Leben.

Wochenende: Nur positive Noten

28.1.2023: Eine Schülerin schreibt mir auf Microsoft Teams, dass sie nach langer Überlegung nun doch zu unserer Schulspsychologin gehen möchte. Der Junge aus ihrer Klasse hat ihre gezeigt, dass das gar nicht so uncool sei.

29.1.2023: Ich trage die Noten für die Schulnachricht in unsere Liste ein und sehe mir die restlichen Fächer genau an. Auch wenn man über die Wichtigkeit von Noten streiten kann, überkommt mich stolz: Niemand in der Klasse hat eine negative Beurteilung.

Schulwoche: Kleine Erwachsene

30.1.2023: Heute tragen sie ihre Präsentationen vor. Alle kommen im Business-Look mit Hemd oder Bluse, mit PowerPoint-Präsentationen und mit Karteikarten – sie haben sich top vorbereitet. 

31.1.2023: Heute haben wir gebastelt und dabei gesungen. Ich habe Last Christmas – etwas zu spät – abgespielt und leise dazu mitgesungen. C., der mir und meiner Kollegin gegenüber sehr reserviert ist und oft auffällt, stellt sich neben mich und beginnt laut den Text zu grölen und dazu zu tanzen. Die ganze Klasse ist im ersten Moment perplex. Danach konzentrieren sie sich wieder auf ihre Basteleien und singen lauthals den Text mit. Am Ende kommt er zu mir und sagt: "Ich liebe solche Stunden mit Ihnen."

Das waren Auszüge aus den Erlebnissen meines Monats. Schule kann stressig sein. Schule kann nervenaufreibend sein. Schule kann einen zum Zweifeln bringen. Aber Schule kann, wenn man es zulässt, vor allem eines sein: Unglaublich bereichernd und schön. (Manuela K., 17.3.2023)

Manuela* K. ist 26 Jahre alt und seit drei Jahren Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Weitere Beiträge im Blog