"Ich hoffe, wir leben in einer Welt, in der man nicht nur dann als ernsthaft gilt, wenn man schwarz angezogen ist."

Jan Windszus

Miss Piggy, eine Zentralgestalt der Muppet Show, hat sein Interesse an Operette geweckt. Aber bitte keine Missverständnisse! Der australische Regisseur Barrie Kosky lässt sich nicht auf das Heitere reduzieren. Er inszeniert auch das Ernste gerne und abgründig. In seinem demnächst erscheinenden Buch Und Vorhang auf, hallo! sind denn auch Strauss’ Salome und Puccinis Tosca ebenso einflussreiche Figuren wie auch Weills Mackie Messer oder Wagners Hans Sachs. Mozarts Oper Figaro gehört ebenfalls zum engeren Sympathiekreis Koskys. Er inszeniert die Oper schließlich bereits zum dritten Mal in seiner schillernden Karriere, die ihn nun wieder an die Staatsoper führt.

Standard: Es war offenbar sehr nahe dran, dass Sie die Wiener Festwochen übernehmen?

Kosky: Ich war längere Zeit auf dem Radar, und es kam die Anfrage, ob ich Interesse hätte. Ich habe gesagt, dass die Festwochen zwar neu gedacht werden müssen, aber dass es momentan nichts für mich ist. Ich möchte in den nächsten fünf Jahren freischaffend bleiben. Ich bin sicher, Milo Rau wird die anstehenden Fragen über die Identität der Festwochen beantworten. Es war ja übrigens auch das Gerücht im Umlauf, dass ich das Burgtheater übernehmen könnte. Da musste ich herzlich lachen, ich war nie im Gespräch.

STANDARD: Ihre Arbeiten scheinen aber sehr unterschiedliche Formen anzunehmen. Einen Einheitsstil haben Sie nicht?

Kosky: Im deutschsprachigen Raum herrscht darüber Konfusion, man meint, das Gegenteil sei der Fall. Ich habe über 160 Stücke inszeniert. Davon habe ich nur sieben Operetten gemacht, aber das pickt an mir! Ja, ich mag es manchmal bunt und lustig! Aber Katja Kabanowa, Macbeth oder Wozzeck? Das war nicht bunt. Und bunt heißt nicht oberflächlich. Ich hoffe, wir leben in einer Welt, in der man nicht nur dann als ernsthaft gilt, wenn man schwarz angezogen ist. Ich brauche es auch, verschiedene Projekte gleichzeitig zu machen. Meinen Kalender fülle ich dabei bewusst und streng. Ich würde nie Strauss, Wagner und Puccini nebeneinander machen. Ich schaue, dass dazwischen eben auch kleinere, leichtere Sachen da sind.

STANDARD: Dass man Sie auf das Lustige reduziert, ärgert Sie ein bisschen?

Kosky: Es irritiert mich. Es ist auch Ignoranz dabei. Da ist Max Reinhardt ein Vorbild für mich. Er hatte ein breites Spektrum, liebte Zirkus, Varieté, Operette.

STANDARD: Sie inszenieren "Figaro" zum dritten Mal. Muss man sich da noch vorbereiten?

Kosky: Ja, sehr sogar! Ich mache keine Wiederholungen meiner Arbeit, und bei der ersten Inszenierung war ich ja erst 21 ... Andererseits habe ich eine Liste in meinem Kopf, was bisher nicht funktioniert hat.

STANDARD: Zu viel vorbereiten ist aber wohl auch nicht gut ...

Kosky: Jede Probe sollte ein Abenteuer sein. Ich kenne Kollegen, die sich unglaublich vorbereiten, ich kann das nicht. Ich entwickle einen Raum, habe Ideen, die in Proben ausgearbeitet oder verworfen werden. Das finde ich so zauberhaft am Theater, dass die Ideen auch von den Darstellern und Darstellerinnen abhängig sind, das Stück nach und nach eine bestimmte Richtung nimmt. Das ist die Alchemie des Theaters! Ich fordere natürlich viel von meinen Kollegen und Kolleginnen, fordere Ideen, Impulse und die Bereitschaft, Dinge auszuprobieren. Ich bin kein Puppenspieler! Das bedeutet, dass ich mit machen Leuten nie arbeiten würde, weil sie nicht sechs Wochen proben wollen. Nur für eine Woche zu kommen geht nicht.

STANDARD: Je bekannter, desto weniger Lust auf Proben?

Kosky: Ja, das kommt vor.

STANDARD: Ihr "Don Giovanni" war räumlich sehr reduziert. Figaro wird ganz anders?

Kosky: Ja, weil der Raum eine zentrale Rolle spielt, er ist fast ein Charakter. Wenn man das Räumliche nicht klärt, ist man komplett in der Sackgasse. Im zweiten Akt sind wir etwa im Zimmer der Gräfin. Das ist eine private Sphäre, die in eine öffentliche verwandelt wird. Das ist eine Invasion. Und dann hat man im vierten Akt – wie bei Shakespeare – einen Garten. Das ist Natur, das ist Öffentlichkeit, das ist Demokratie, denn in der Dunkelheit des Gartens kann alles passieren.

STANDARD: Der Graf ist kein Jeffrey Epstein und kein Harvey Weinstein, aber doch übergriffig, wie gehen Sie damit um?

Kosky: Wenn man inszeniert, als wäre der Graf ein "sexual predator", so wie die Genannten, nimmt man nur einen Faden auf. Man muss aber hier einige Fäden zugleich aufgreifen. Graf und Gräfin sind nur eine von vier Beziehungen. Es ist unerträglich, was der Graf macht und erwartet. Aber am Ende lachen alle über ihn, er ist eine Lachnummer. Das ist es, was eine Komödie erlaubt. In der Realität kann man über Epstein und Weinstein natürlich nicht lachen.

STANDARD: Mit Philippe Jordan arbeiten Sie gut zusammen? Er hat sich ja kritisch über das Regietheater geäußert.

Kosky: Der Figaro ist unsere vierte Arbeit. Und obwohl ich ihn als Dirigenten und Menschen sehr schätze, bin ich nicht seiner Meinung, dass es eine Krise der Oper wegen des sogenannten Regietheaters gibt. Ich habe ihm gesagt, dass es komplexer ist. Ich bin auch kein Fan des Wortes Regietheater, Theater ohne Regie gibt es ja nicht. Natürlich gibt es problematische Regie. Es gibt aber auch Abende, an denen ich mich frage: Warum singen die, warum dirigiert der? Ich habe Philippe aber bei Proben als sehr offen erlebt. Er ist professionell, neugierig und kollegial. Natürlich hat er eine sehr starke Meinung, wir diskutieren, es ist dann ein bisschen wie im Basar. Ich gebe ihm etwas, er gibt mir etwas ...(Ljubiša Tošic, 10.3.2023)