Das ORF-Zentrum in Wien.

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Am Freitag, 37 Minuten nach 12 Uhr, dürfte ORF-General Roland Weißmann aufgeatmet haben. Der ORF, vor wenigen Wochen noch Punchingball des Kanzlers in der ZiB 2, blieb in der Rede zur Zukunft unerwähnt. Und das muss noch nicht bedeuten, dass Karl Nehammer keine Zukunft für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sieht. Auch wenn ihn kritische Fragen vom Küniglberg immer wieder sichtlich nerven – und mit einer neuen ORF-Haushaltsabgabe für alle eher wenig Sympathiepunkte zu machen sind.

Zeitungen hatten zuvor unter Berufung auf ÖVP-Kreise über Überlegungen für eine Volksbefragung über die ORF-Finanzierung spekuliert. Und darüber, ob der vom ORF genervte Kanzler die Volksbefragung nicht in seine Zukunftsrede einbauen werde.

Der Schweizer Rundfunk schaffte 2018 in einer Volksabstimmung eine Mehrheit für seine Rundfunkgebühren. Das könnte auch der ORF schaffen, hört man selbstbewusst auf dem Küniglberg. In repräsentativen Umfragen etwa des STANDARD sprach sich zuletzt eine Mehrheit gegen Gebühren aus.

Nun muss sich der ORF einem solchen Volksentscheid vorerst nicht stellen. Ein Volksbegehren gegen die GIS schaffte 2022 364.346 Unterstützer, das waren 5,73 Prozent der Wahlberechtigten.

Deadline Ende März

Und dennoch wird es in den nächsten Tagen für den ORF existenziell spannend. Denn nur noch bis Jahresende gibt es die GIS, die zwei Drittel des ORF-Budgets von gut einer Milliarde Euro einspielt. Der Verfassungs gerichtshof hat sie aufgehoben. Dass für Streaming keine GIS zu zahlen ist, wider spreche der Verfassung. Es wird schon recht knapp für eine neue Finanzierung.

Am Donnerstag präsentierte ORF-Chef Weißmann seinen Publikumsräten den Zeitplan für eine neue ORF-Finanzierung.

Soll eine Haushaltsabgabe – wie von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) angekündigt – Österreichs weitaus größten Medienkonzern künftig finanzieren, dann bräuchte es zumindest definitive Klarheit über das passende Gesetz im ersten Quartal. Das endet bekanntlich in knapp drei Wochen. Und in zehn Tagen berät der Stiftungsrat, oberstes Entscheidungsorgan des ORF, wirtschaftliche Lage und Perspektive des Medienriesen. Die Stiftungsräte haften für ihre Entscheidungen für den ORF.

Grafik: DER STANDARD

"Notwehr" im Stiftungsrat

Heinz Lederer, von der SPÖ in den Stiftungsrat entsandt, will die übrigen 34 ORF-Räte mobilisieren. "Wenn wir es nicht bis Ende März schaffen, haben wir eine Haftungsproblematik auf dem Tisch", warnt er. Wenn die Finanzierung des ORF ab 2024 unklar sei, könne er keine weiteren Lieferver träge abschließen, Produktionen vergeben. Lederer sieht schon "rote Ampeln" leuchten, weit jenseits von "roten Linien". Lederer appelliert an Stiftungsrat und Geschäftsführung, einen "Plan B" zu entwickeln.

Der ORF und seine Räte müssten Gespräche mit den politischen Parteien aufnehmen, auch der Opposition, um die bestehende GIS-Gebühr an das Urteil des Verfassungsgerichtshofs anzupassen. Das würde bedeuten: Die Liste GIS-pflichtiger Geräte müsste um streamingfähige Geräte erweitert werden. Lederer ortet Bereitschaft dafür in der SPÖ.

Gebührenantrag vorbereiten

Tatsächlich stand in Weißmanns Zeitplan im Publikumsrat als nächste Option eine Erweiterung der GIS – die müsste erst bis zur Jahreshälfte fixiert sein, um 2024 eingehoben zu werden.

Als "Notwehrmaßnahme" müsste der Stiftungsrat ORF-Chef Weißmann zudem auffordern, einen Antrag auf GIS-Gebührenerhöhung vorzubereiten. Einen Gebührenantrag zu stellen, "mag ich natürlich am wenigsten", betont Lederer: "Aber in der wirtschaftlichen Verantwortung für den ORF muss sich der gesamte Stiftungsrat dazu durchringen, den Antrag zu stellen."

Die Gebührenerhöhung 2022 um acht Prozent für fünf Jahre wurde überholt von zehn Prozent Inflation im selben Jahr. Der ORF warnte schon vor 290 Millionen Verlust von 2024 bis 2026. Um einem "Kahlschlag" vorzubeugen, plädiert Lederer für einen solchen Antrag.

Der SPÖ-Stiftungsrat hat den Verdacht, dass die ÖVP den ORF "drastisch reduzieren" wolle, "zerschlagen" gar. "Das ist nicht mehr nur Dilettantismus, was die Bundesregierung mit dem ORF macht", sagt Lederer.

Kurs auf Haushaltsabgabe

Wenn nicht doch noch eine Volksbefragung auftaucht: In der Koalition indes klingt es derzeit nach einer relativ weit ausgearbeiteten ORF-Finanzierung über eine Haushaltsabgabe. Für die Verhandlungen mit den Grünen, auf die das Medienministerium bei jeder Frage verweist, soll es zumindest einen Fahrplan geben. Verhandelt wird parallel zur Haushaltsabgabe noch über eine Digitalnovelle. Der ORF will mehr Möglichkeiten für Streaming und auf Social Media;_er hat im Gegenzug angekündigt, Textangebote auf ORF.at zu reduzieren – die private Medienhäuser als existenzielle Konkurrenz kritisieren.

300.000 Haushalte mehr als heute die GIS sollen künftig eine Haushaltsabgabe unabhängig von Geräten und Empfang zahlen, erklärte ORF-Chef Weißmann im Publikumsrat. Im Report sprach er noch von 700.000, die heute "schwarzsehen" oder auf reine Streamingnutzung verweisen, um keine GIS zu zahlen. (Harald Fidler, 10.3.2023)