Die Mehrheit der Französinnen und Franzosen lehnt die Pensionsreform ab.

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Paris – Blockierte Schulen, leere Schienen und Menschenmassen auf den Straßen: Schon seit Wochen hält der Kampf um die Pensionsreform Frankreich in Atem. Die Gewerkschaften haben am Samstag erneut zu Protesten mobilisiert. Größere Kundgebungen gab es in Städten wie Paris, Nizza und Toulouse. Die Behörden gingen Berichten zufolge von landesweit bis zu einer Million Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus. Durch Streiks gab es erneut Ausfälle und Störungen im Flug- und Zugverkehr.

Am Samstag brachten Gewerkschaftsvertreter nun eine Volksbefragung ins Spiel. "Wenn er sich so sicher ist, muss der Präsident nur die Bevölkerung befragen", sagte Philippe Martinez von der Gewerkschaft CGT. In Umfragen hatte sich immer wieder eine große Mehrheit gegen die Reform ausgesprochen.

Pensionseintrittsalter soll angehoben werden

Im Senat wird währenddessen weiter hitzig über die Reform debattiert. Einer bleibt bei all dem auffällig ruhig: Präsident Emmanuel Macron. Zentraler Punkt des Streits ist der Kern der Reform: Frankreichs Mitte-Regierung will das Pensionseintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben, um das drohende Loch in der Pensionskasse zu stopfen. Auch derzeit beginnt der Ruhestand im Schnitt aber später als mit 62: Wer nicht lang genug eingezahlt hat, um Anspruch auf eine volle Rente zu haben, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Pension ohne Abschlag – dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahlungsjahre für eine volle Pension schneller steigen soll.

Die Gewerkschaften nennen das Vorhaben brutal und ungerecht. Tatsächlich lehnt die Mehrheit der Französinnen und Franzosen die Reform ab, auch um vom Leben mehr haben zu können. Trotz der Ablehnung sind die meisten überzeugt: Die Reform wird kommen. Und sie gehen dennoch auf die Straße. Wohl auch weil soziale Bewegungen in Frankreich historisch immer wieder Erfolg hatten.

Auch im Pensionsstreit gibt es erste Gewinne: Angesichts der Massenproteste stehen wohl selbst innerhalb der Macron-Partei Renaissance nicht alle geschlossen hinter dem Vorhaben. Fraktionschefin Aurore Bergé drohte jüngst mit dem Ausschluss aus der Fraktion, sollten sich Abgeordnete enthalten oder es gar wagen, gegen die Reform zu stimmen.

Macron hält sich bedeckt

Noch bevor die Regierung ihren Reformplan vorgelegt hat, hatte Premierministerin Borne sich etliche Male mit Vertretern von Gewerkschaften und der Opposition getroffen. Ein Kompromiss blieb aus. Als einzigen Partner an ihrer Seite sieht die Regierung, die in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit hat, die konservativen Républicains. Eine unbequeme Situation, denn in dieser Machtposition versuchen die Konservativen, der Pensionsreform ihren eigenen Anstrich zu verpassen. Im Senat haben sie bereits eine Regelung zur Beschäftigung älterer Menschen durchgebracht, die die Regierung lieber nicht umgesetzt sehen will. Noch dazu kommt, dass weiterhin unklar ist, ob in der Nationalversammlung ausreichend Républicains für die Reform stimmen.

Auch wenn es seine persönliche Wahlkampfankündigung war, das Pensionseintrittsalter anzuheben, hält sich Präsident Macron nun bedeckt. Die Kämpfe lässt er seine Premierministerin Élisabeth Borne und Arbeitsminister Olivier Dussopt ausfechten. Die Gewerkschaften aber wollen ihn zur Verantwortung ziehen und mit Monsieur le Président persönlich sprechen. Seine Stille sei ein "schwerwiegendes demokratisches Problem". Macron aber sitzt es weitestgehend aus, antwortet zwar in einem Brief, lädt aber nicht zum Gespräch. Möglicherweise, weil der polarisierende Liberale kein Öl ins Feuer gießen will, vielleicht auch, um nicht selbst von den Flammen angesengt zu werden.

Entscheidung Ende März

Die Regierung hofft, dass der erbittere Streit um die Reform schon bald zu Ende ist. Am Mittwoch soll eine Kommission einen Kompromiss zwischen den beiden Parlamentskammern suchen. Das Parlament hat bis zum 26. März Zeit, über das Vorhaben zu entscheiden. Die Regierung verspricht sich, dass sobald die Reform angenommen ist, auf der Straße wieder weitgehend Ruhe herrscht. Die gemäßigteren Gewerkschaften dürften den Protest dann aus Respekt vor dem Gesetzgebungsverfahren einstellen. Radikalere Gruppen könnten mit verlängerbaren Streiks bei der Bahn oder in den Raffinerien versuchen, auf eine Aufhebung der Reform hinzuarbeiten.

Für Macron und die Regierung hängt mehr an der Reform als bloß die Rettung der Pensionskasse. Für sie ist es ein politischer Streit, den sie gewinnen müssen, um nicht das Gesicht zu verlieren. Zwar könnte die Regierung die Reform einfach anordnen, sollte sie im Parlament scheitern, doch ihre Autorität geriete ins Wanken. Ein Debakel, liegen doch noch vier Jahre Amtszeit vor ihnen. (APA, 11.3.2023)