Diplomatie ist das beharrliche Bohren dicker Bretter – und an diesem Freitagnachmittag kann man das in Washington gut beobachten. Da steht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem anderthalbstündigen Gespräch mit US-Präsident Joe Biden buchstäblich im Nieselregen vor dem Weißen Haus und sagt: "Wir beginnen nun daran zu arbeiten, mit dem klaren Ziel einer Vereinbarung." Das klingt nicht sonderlich substantiell. Und doch ist es ein wichtiger Schritt im europäisch-amerikanischen Subventionsstreit.

Freundliche Stimmung zwischen Ursula von der Leyen und Joe Biden – offenbar nicht nur vor der Kamera.
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Die Materie, um die es geht, ist einigermaßen sperrig. Das beginnt beim Titel: Der "Inflation Reduction Act", den der US-Kongress im vorigen Sommer auf Drängen von Biden beschlossen hat, hat mit der Inflation allenfalls am Rande zu tun. Tatsächlich geht es um den Klimaschutz bei gleichzeitiger Sicherung der Industriearbeitsplätze in Amerika. Dazu werden 369 Milliarden Dollar (347,6 Mrd. Euro) Subventionen für klimafreundliche Produkte bereitgestellt – aber nur wenn diese aus den USA stammen oder überwiegend hier gefertigt wurden.

Wettbewerbsverzerrung

Aus europäischer Sicht ist das eine schwere Wettbewerbsverzerrung, weshalb sich Politiker vom alten Kontinent seit Monaten in Washington die Klinke in die Hand geben: Der grollende französische Staatspräsident Emmanuel Macron wurde Anfang Dezember mit einem pompösen Empfang besänftigt, bekam auf seinen Protest von Biden aber die Antwort: "Ich entschuldige mich nicht." Allenfalls "kleine Macken" bei seinem Vorzeige-Gesetz mochte der US-Präsident einräumen.

Hinter den Kulissen wurde derweil verhandelt. Ende Jänner dann schlug EU-Industriekommissar Thierry Breton in der US-Hauptstadt auf, der für eine robuste europäische Antwort warb. Kurz darauf folgte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck und gab sich vage zuversichtlich. In der vorigen Woche kam der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz.

"Sehr konstruktiv"

Über die Inhalte der Gespräche kann man nur spekulieren. Eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem US-Präsidenten blieb von der Leyen wie zuvor schon Scholz verwehrt. Doch nach dem Besuch der EU-Politikerin, den diese als "sehr konstruktiv" bezeichnete, zeichnet sich ab, wie ein drohender Handelskonflikt abgewendet werden soll: Das eigentliche Klima-Gesetz, soviel ist klar, wird dafür nicht verändert. Das wäre wegen der inzwischen republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus auch gar nicht möglich. Die Nachbesserungen sollen im Kleingedruckten der Ausführungsbestimmungen erfolgen, die der Präsident per Dekret erlassen kann.

Die nun in Angriff genommene Vereinbarung ziele darauf ab, dass kritische Rohstoffe wie Lithium und Nickel, die in Europa gefördert oder beschafft werden, "denselben Zugang zum amerikanischen Markt erhalten, als wären sie in den USA gefördert worden", erläuterte von der Leyen. Damit würde die EU faktisch den US-Nachbarländern Kanada und Mexiko gleichgestellt, die ein Freihandelsabkommen mit Washington haben.

Wichtig sind diese Rohstoffe vor allem bei der der Fertigung von Autobatterien. In der Praxis beziehen sowohl die USA wie Europa den Großteil dieser Materialien bisher aus China. Diese Abhängigkeit soll aber verringert werden. Am Ende des Prozesses könnte bestenfalls so etwas wie eine transatlantische Einkaufsgemeinschaft stehen, hoffen Optimisten.

Ein weiter Weg

Die Beschwerden vor allem der deutschen Autobauer über eine massive Benachteiligung in den USA waren schon zuvor durch einen anderen Kompromiss teilweise befriedet worden. Demnach gelten die Vorschriften für den Anteil der lokalen Produktion nicht für geleaste Elektrofahrzeuge, die nach Schätzungen mehr als die Hälfte der deutschen E-Auto-Ausfuhren in die USA ausmachen. Deren amerikanische Kunden erhalten also denselben Zuschuss wie beim Kauf eines US-Modells.

Die Gefahr eines transatlantischen Subventionswettlaufs ist damit freilich noch nicht gebannt. Immerhin hat die EU das amerikanische Paket gerade mit einem "Green Deal" gekontert. Damit die beiden Wirtschaftsräume von großen Konzernen nicht gegeneinander ausgespielt werden können, wollen sie künftig zumindest mit offenen Karten spielen. Biden und von der Leyen verständigten sich auf einen "Transparenz-Dialog", bei dem die finanziellen Anreize für grüne Technologien offengelegt werden sollen.

"Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um die sauberen Technologien voranzubringen", forderte von der Leyen in Washington. Man ahnt: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Doch mit der nun erzielten gemeinsamen Grundsatzvereinbarung, die Anreizprogramme für klimafreundliche Technologien "so zu koordinieren, dass sie einander stärken", scheinen zumindest die Weichen richtig gestellt. (Karl Doemens, 11.3.2023)