Johanna Mikl-Leitner und Udo Landbauer wollen nicht wirklich miteinander, wohl oder übel oder weil's nicht anders geht, müssen sie aber wohl miteinander regieren.

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Liebe ist natürlich ein großes Wort. Zumal, wenn es in der Politik Verwendung findet. Das tut es immer dann, wenn die Dinge irgendwie besonders kompliziert oder unübersichtlich sind. Wenn die Sache ein bisschen nach Irrwitz aussieht. Wo sich das p.t. Publikum die Augen reibt und fragt: Im Ernst? Nach allem, was die zwei miteinander aufgeführt haben, wollen sie es noch einmal miteinander versuchen? Na das schauen wir uns an.

Dazu müssen sie die Chose zuerst selbst einmal herunterrocken auf eine Dimension, die das ganze Vorhaben für Außenstehendn irgendwie nachvollziehbar macht. Dieses Stück wird gerade in Niederösterreich zur Aufführung gebracht. "Wenn wir zusammenkommen, dann wird das sicher keine Liebesbeziehung", ließ ÖVP-Landeschefin Johanna Mikl-Leitner, die bei der Landtagswahl aus dem Absolute-weichen Federbett herauskatapultiert wurde und nun jemanden sucht, der sie wieder Landeshauptfrau sein lässt, wissen.

Eine "professionelle Arbeitsbeziehung mit ganz viel Vertrauen" sucht sie am politischen Partnermarkt, nachdem sie Sven Hergovich am Donnerstag links weggewischt hat. Der designierte SPÖ-Landeschef hatte der ÖVP-Chefverhandlerin über ein Interview in der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT ausgerichtet, dass er sich "lieber die Hand abhacken" würde, als einen Ehe- , ähm, Koalitionsvertrag zu unterschreiben, in dem seine fünf wichtigsten Forderungen nicht drin wären. Damit war die kurze Zeit der zarten Annäherung zwischen Schwarz und Rot in Niederösterreich auch schon beendet. Zwischen ÖVP und SPÖ wird es also nichts. Hand drauf!

Die FPÖ kommt zurück zur "Moslem-Mama"

Mit "wir" meinte Mikl-Leitner also jemand anderen, nämlich Udo Landbauer. Ausgerechnet. Den Landesparteichef der FPÖ, der Mikl-Leitner nicht erst seit diesem Wahlkampf in inniger Abneigung zugetan ist. Schon vor der vorletzten Landtagswahl 2018 hatte er sie als "Moslem-Mama-Mikl" bezeichnet, die Niederösterreich "mit Multikulti-Wahnsinn beglücken" und "zwangsislamisieren" würde. Hintergrund für die Attacke war, dass laut niederösterreichischem Bildungsplan in Kindergärten Feste oder auch Speisen und Musik unterschiedlicher Kulturen behandelt werden sollen. Die FPÖ-Jugend brachte via Instagram ein retuschiertes Foto von Mikl-Leitner in Umlauf, auf dem sie einen schwarzen Tschador trug. Für Landbauer, den schon damaligen Spitzenkandidaten der FPÖ, dessen Mutter "persische Wurzeln hat", wie er kundtat, Grund genug, zu fordern: "Diese Mikl-Leitner-Partie ist rücktrittsreif und gehört am 28. Jänner abgewählt."

Wurde sie nicht. Es kam anders. Mikl-Leitner verteidigte die von Langzeitlandeshauptmann Erwin Pröll geerbte absolute Mehrheit. Einmal. Diesmal jedoch ging sie perdu. Und damit wurden die Dinge zwangsläufig komplizierter.

Zwei, die sich eigentlich, noch so ein großes Wort, hassen, wollen sich zusammentun. Ein Partner sagt zwar Ja zur Verbindung, will zur Partnerin selbst aber kein Bekenntnis ablegen, denn die FPÖ betont nach wie vor, Mikl-Leitner nicht als Landeshauptfrau zu wählen, auch wenn sie amtlich ihr alter neuer Koalitionspartner werden sollte. Und in Wirklichkeit ist das Ganze ja eine Ménage-à-trois, bei der der nicht als Partner erwählte Dritte trotzdem mit dabei ist, denn: Niederösterreich ist Proporzland.

Es ist kompliziert...

Ein Fall für Peter Filzmaier. Herr Professor, wie soll das gehen? Was geht da vor sich? Was geht in den Beteiligten vor, die sich in solche Konstellationen stürzen wollen? Oder müssen sie vielleicht sogar?

Und siehe da, auch der Politikwissenschafter greift zu beziehungstechnischem Vokabular, um die Gemengelage zu entheddern: "Für Niederösterreich gilt im Moment. Status: Es ist kompliziert..."

  • Fangen wir mit der SPÖ und Beziehungskandidat Hergovich an. Hat er sich verkalkuliert oder zu hoch gepokert mit einer Forderung an jedem Finger seiner notfalls abgehackten Hand? Oder kann er sich ohnehin außerhalb einer formellen Koalition besser profilieren und dann vielleicht beim nächsten Mal der sein, der aussuchen kann und nicht ausgesucht werden muss (oder den Quer- und Aufstieg in die Bundesparteizentrale machen)? "Natürlich kann man sagen, es ist für die SPÖ irgendwie besser, hier Opposition zu sein", sagt Peter Filzmaier im STANDARD-Gespräch, "aber dazu bräuchte er die Skrupellosigkeit der FPÖ."

    Denn, und das ist die Crux, in einer Proporzregierung regiert ja gewissermaßen auch die Partei mit, die nicht formeller Koalitionspartner ist: "Er hat ja trotzdem zwei Ressorts in der Landesregierung", erklärt Filzmaier: "Sich völlig abzukapseln, geht bei seriöser Regierungsarbeit nicht. Man ist als Landesrat laufend zu Deals gezwungen in der Landesregierung, auch wenn man nur kleine Ressorts hat. Die Doppelrolle – in der Landesregierung und Opposition zugleich – ist kaum ausübbar." Mitgefangen, mitgehangen. Die ÖVP habe im vergangenen Wahlkampf nicht ohne Grund mit den vielen einstimmigen Beschlüssen in der Landesregierung geworben.

    Ob Hergovich bei den Verhandlungen überzogen habe, sei hingegen "von außen kaum zu beurteilen", sagt der Politikwissenschafter: "Es sind nicht die Forderungen als solche, aber wenn ich das über die Medien ausrichte, gebe ich dem oder der anderen gar keine Chance mehr, ohne Gesichtsverlust einen Kompromiss einzugehen – und mir selbst natürlich auch nicht. Das ist eine Faustregel bei Verhandlungen: Dem Gegenüber nie etwas über die Medien ausrichten."

  • Kommen wir zur FPÖ, die im Wahlkampf gegen Mikl-Leitner gewütet hat und jetzt mit ihr ein schwarz-blaues Arbeitsübereinkommen basteln möchte, sie aber trotzdem auch auf keinen Fall zur Landeshauptfrau wählen will. "Das ist eine Zwangsehe", sagt Filzmaier: "Denn eine Alternative ist für beide nicht wirklich gegeben." Die ÖVP will oder kann nicht mit der SPÖ "und die FPÖ weiß auch, die Sozialdemokraten als Juniorpartner, wenn die Roten das machen würden, dann können sie sich gleich spalten. Also beide haben jetzt nicht mehr wirklich eine Alternative."

    Nicht wirklich eine Alternative, aber doch eine allerletzte: Neuwahlen. Aber, jede Hochzeit, ähm, Wahl kostet Geld, viel Geld: Oder wie Peter Filzmaier sagt: "Neuwahlen will niemand. Die haben ja alle grad ihr ganzes Geld ausgegeben. Und für Landtagswahlen gibt es keine Wahlkampfkostenrückerstattung." Also fretten sie sich irgendwie zusammen. "Insofern ist es eine Zwangsehe. Es kommt irgendwas heraus, aber wie die meisten Zwangsehen voll gegenseitiger Widerwilligkeit. Und das Dilemma ist: Das Einzige, was so etwas kitten kann, ist in wirtschaftlichen Blütezeiten, dass man sich wahnsinnig viel aufteilt, was man verteilt. In Krisenzeiten, wo es sehr viele undankbare Dinge gibt, ist es fünf Jahre lang natürlich eine wacklige Geschichte und wird eigentlich dadurch zusammengehalten, dass das andere noch unattraktiver ist – wie eben Neuwahlen und überraschenderweise für die ÖVP jetzt die SPÖ."

    Denn etwas verstehe er an der jetzigen Partnerpräferenz der ÖVP nicht, sagt Filzmaier: "Was immer sich hinter den Kulissen abgespielt hat, ich muss einer ebenfalls geschwächten SPÖ mit zwei Landesräten ja viel weniger abtreten, als einer FPÖ, die jetzt drei Landesräte hat und eher vor Selbstvertrauen strotzt ... auch wenn sie mit der in manchen Bereichen, Mitte-rechts, mehr Schnittmenge hat. Das ist schon verwunderlich. Jetzt sind sie in der Zwangsehe zum Verhandlungsergebnis verdammt. Und sie stehen noch dazu unter Zeitdruck, weil am 23. März ist schon die konstituierende Sitzung im Landtag. Bis dahin müssen sie ein Regierungsprogramm haben."

  • Und was ist mit der ÖVP und Johanna Mikl-Leitner? Ist das nicht die ultimative Demütigung und Blamage, wenn sie mit einer Partei ein Koalitionsabkommen schließen muss, die zwar mitregieren, sie aber nicht als Landeshauptfrau wählen will? "Das ist halt wider Willen, da ist man zu einem Ergebnis gezwungen. Die Frage für Mikl-Leitner ist viel mehr: Wie legt sie ihr Image, ihre Rolle in den nächsten fünf Jahren an? Sie muss eine Rollenneudefinition machen", sagt der Politik-Professor: "Eine über allem stehende Rolle als Landesmutter, in die sie, das muss man ja fairerweise sagen, nach dem Abgang von ,Überlandesvater' Pröll recht gut hineingefunden hat, wird sie nicht mehr geben können."

    Welche dann? "Sie ist in einer Zwangsehe und hat eine große Unbekannte noch dazu: In eineinhalb Jahren gibt es nach der Nationalratswahl vielleicht auch im Bund Blau-Schwarz oder dann Rot-Schwarz oder in welcher Reihenfolge auch immer, mit Grün ja wohl nicht mehr. Das beeinflusst ja auch. Wenn sie jetzt sagt, Niederösterreich mit Schwarz-Blau ist jetzt die wahre Achse, ist das ein Problem, wenn im Bund noch die ÖVP mit den Grünen regiert. Skrupellos den Bund – und damit die eigene Partei – schlecht und zum Gegner machen, kann sie auch schlecht, weil halb Niederösterreich sitzt in der Bundesregierung."

    Was also tun? Filzmaier deutet eine Art Ehe auf Probe an. "Ein Jahr irgendwie mal schauen, wie's läuft, auf Zeit spielen und nach der Nationalratswahl eine Neupositionierung vornehmen. Die kommt ja als verschärfter Faktor noch dazu, weil sie damit rechnen muss, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl im nächsten Jahr um sich schlagen wird gegen die ÖVP. Mikl-Leitner wird also aus der Zwangsehe eine Vernunftehe machen müssen."

    Zuerst aber muss sie noch den Ehevertrag aushandeln. Am Samstag verkehrten ÖVP und FPÖ zum Thema "Verkehr" miteinander. Bis Wochenmitte soll der schwarz-blaue Beziehungsstatus in Niederösterreich final geklärt sein. (Lisa Nimmervoll, 11.3.2023