Christian Schmidt ist seit 2021 Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina.

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Der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister von der CSU, Christian Schmidt hat abermals für Kritik in Bosnien-Herzegowina gesorgt hat: Er hat beim Budapester Balkanforum von einer "genocide-style situation" in Srebrenica gesprochen, was man mit einer "völkermordähnlichen Situation in Srebrenica" übersetzen kann. Nun hat Schmidt nach einem STANDARD-Artikel reagiert.

"Nichts liegt mir ferner als irgendeine Relativierung des Genozids von Srebrenica. Alles andere ist ein bewusstes Missverstehen meiner Aussage", so Schmidt zum STANARD. "Es hat viele weitere schreckliche Taten und viel Leid gegeben, wenn man etwa an Žepa und die Markale-Anschläge denkt", verweist Schmidt auf den Massenmord in der ostbosnischen Enklave Žepa und den Beschuss des Bauernmarktes in Sarajevo.

"Nie wieder"

Er habe "auf die Schwerfälligkeit der internationalen Gemeinschaft" hinweisen wollen und auf das "to little, to late" bis endlich, "erst Monate nach dem Völkermord von Potočari, der Dayton-Prozess in Gang gekommen sei", so Schmidt. "Das muss uns eine Lehre sein. Nicht nur deswegen will ich alles für das Gedenken an die Opfer, aber auch für die Erziehung der jungen Generation zum 'Nie wieder' beitragen." Der Respekt vor den Opfern des Genozids von Srebrenica und anderen schauerlichen Mordtaten in Bosnien Herzegowina gebiete es, sich gemeinsam hinter dem "Nie wieder Völkermord und "Nie wieder Kriegsverbrechen" zu vereinen.

Auch der Wiener Balkan-Experte vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) Vedran Džihić hatte im STANDARD die Aussage von Schmidt kritisiert und eine Klarstellung gefordert. Senada Šelo Šabić, die am Institut für internationale wirtschaftliche und politische Beziehungen in Zagreb arbeitet, twitterte zu der der Knotroverse über die Formulierung "genocide-style situation": "Dies ist keine Fehlinterpretation, sondern ein direktes Zitat. Wenn Sie anderer Meinung sind, veröffentlichen Sie die Aufzeichnung der Rede und lassen Sie die Öffentlichkeit entscheiden."

Viel Aufmerksamkeit

Bojan Elek vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik twitterte: "Ich war im Publikum anwesend, diese von Herrn Schmidt geäußerte "Genozid-ähnliche Situation" erregte in der Tat viel Aufmerksamkeit. Was auch immer er dachte, er hätte bessere Worte wählen sollen."

In und rund um Srebrenica wurden ab dem 11. Juli 1995 mehr als 8.000 Menschen mit muslimischen Namen gezielt von der Armee der Republika Srpska getötet und in Massengräbern verscharrt. Denn das Ziel serbischer Nationalisten war es, den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören und ein Großserbien zu schaffen, deshalb sollten die Menschen mit muslimischen Namen (Bosniaken und Bosniakinnen) vertrieben und ermordet werden.

Schmidt steht seit Monaten in Bosnien-Herzegowina in der Kritik, weil er zugunsten der kroatisch-nationalistischen HDZ und auf Wunsch der kroatischen Regierung und von US-Diplomaten das Wahlgesetz am Wahlabend des 2. Oktober 2022 änderte. Inhaltlich hat er die Proportionalität in einer der Parlamentskammern im Landesteil Föderation zugunsten der großen mono-ethnischen Parteien – auch der nationalistisch-bosniakischen SDA – verändert und damit die multiethnischen, pro-europäischen kleinen Parteien geschwächt. In Bosnien-Herzegowina werden jene Bürgerinnen und Bürger diskriminiert, wenn sie sich nicht ethnisch definieren wollen.

Zerkratzte Autos

Indes steigt der Druck auf Journalisten und NGOs im bosnischen Landesteil Republika Srpska, dessen Präsident Milorad Dodik eng mit dem Kreml zusammenarbeitet. Die Autos von zwei wichtigen Journalisten wurden zerkratzt. Sie hatten ein vorgeschlagenes Verleumdungsgesetz kritisiert, das als Einschränkung der Meinungsfreiheit gesehen wird. Nikola Morača, Journalist von EuroBlic und SrpskaInfo, und Aleksandar Trifunović, Chefredakteur des Online-Magazins Buka, fanden ihre Autos in derselben Nachbarschaft, in der sie beide leben, beschädigt vor.

"Dies ist ein typischer Einschüchterungsversuch. Am Tag, nachdem Dodik uns Schurken genannt und Ziele markiert hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand dies als Anweisung interpretierte", postete Trifunović auf Twitter. "Verbale Angriffe von politischen Führern, die versuchen, Journalisten zu diskreditieren, können ebenfalls zu erhöhter Feindseligkeit und Risiken für sie beitragen", schrieb die UN-Mission in Bosnien und Herzegowina auf Twitter, neben vielen Reaktionen lokaler und internationaler Menschenrechts- und Medienorganisationen.

Ausländische Agenten

Dodik deutete an, dass die Journalisten den Schaden an ihren Autos selbst "organisiert" hätten. Die EU-Delegation erinnerte daran, dass Meinungs- und Medienfreiheit zu den 14 wichtigsten Reformprioritäten für Bosnien gehören.

Dodik hat offenbar nach "russischem Vorbild" auch angekündigt, dass in Kürze ein Gesetz über die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen und ähnlichen Vereinigungen in der Republika Srpska (RS) vorgeschlagen werde, wonach alle NGOs und solche, die von Ausländern finanziert werden, als ausländische Agenten bezeichnet werden sollen. Dodik sagte auch, das Gesetz in der Republika Srpska würde einem Gesetz in den USA gleichen.

Dodik kritisiert Soros-Stiftung

Dodik sagte auch, dass die"Soros"-Stiftung beabsichtige, das Hauptquartier für den Balkan von Tirana nach Sarajevo zu verlegen, und bewertete dies als "offensichtliche Absicht", die Gesellschaft zu destabilisieren. "Davor werden wir uns natürlich schützen. "Soros" ist hier nicht akzeptabel, es ist keine wohlwollende Organisation, sondern eine destruktive, die ihre destruktiven Kampagnen durchführen will."

Abgesehen davon kündigte er an, dass Verleumdung in der RS wieder strafbar werden solle. Man solle "diejenigen bestrafen, die dazu neigen, anderen zu schaden". Dodik fügte hinzu, dass er bereit sei, mit Redakteuren und Journalisten ausführlich über Änderungen des Strafgesetzbuches der RS zu diskutieren.

Sorge bereitete auch der Umstand, dass am heurigen Frauentag in Banja Luka, dem Verwaltungszentrum der RS, Demonstrierende von Jugendlichen angegriffen wurden, weil einer von ihnen eine Regenbogen-Fahne zur Unterstützung der Queer-Community mit sich trug.

Österreich gegen Sanktionen

Anders als die USA und Großbritannien hat die EU keine Sanktionen gegen Dodik erlassen. Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg sagte kürzlich in Sarajevo, dass man gegenüber Dodik klare Grenzen zeigen müsse, aber auch Anreize setzen müsse. Klare Grenzen hat in der EU bisher Deutschland vorgegeben, das wegen Dodiks Rhetorik und Aktionen Gelder für Investitionsprojekte einfror.

Österreich ist gegen Sanktionen gegen Dodik und unterhält weiterhin offizielle Kontakte zum ihm. Dodik war erst kürzlich wieder in Wien beim Sava-Ball. Der Kreml-Freund wird vor allem auch von der nationalistischen Regierung Ungarns unterstützt. (Adelheid Wölfl, 12.3.2023)