Das Brautpaar Susanna (Ying Fang) und Figaro (Peter Kellner) im Intrigenfight mit dem knienden Grafen (Andrè Schuen), der es auch auf die Braut abgesehen hat.

Pöhn

Oper ist für alle Beteiligten auch eine Schule der Spontaneität und Improvisation. Es begab sich etwa damals, als Ioan Holender noch Direktor der Wiener Staatsoper war, dass in der "Walküre" Göttervater Wotan in Gestalt von Juha Uusitalo Ende des zweiten Aktes seine Stimme verlor. Im dritten spielte Uusitalo nur noch stimmlos, während Ersatz Oskar Hillebrandt vom Bühnenrand aus seine Stimme erhob. Damals wurde erzählt, man habe in der etwas längeren Pause den Ersatzwotan beim Pizzakauf erreicht und erfolgreich ans Haus beordert.

Ein ähnlicher Vorgang, der als Opern-Playback bezeichnet werden kann, rettete die Premiere von Mozarts "Le nozze di Figaro". Sopranistin Ying Fang, welche die Susanna singen sollte, erlitt ein paar Stunden vor der Vorstellung eine Stimmbandblutung und musste aufgeben. Sie setzte die Rolle der vom Grafen schwer bedrängten Susanna schauspielend um. Im Orchestergraben der Staatsoper sang parallel dazu sehr respektabel Maria Nazarova.

Elegant-flotte Farce

Dass die russische Sopranistin Nazarova nicht szenisch in die Rolle von Figaros zukünftiger Braut schlüpfen konnte, hängt mit den genau, heiter bis tragikomisch ausgestalteten Vorgängen zusammen, die Regisseur Barrie Kosky mit dem Ensemble offensichtlich minutiös erarbeitet hat. Kosky, der hier schon "Don Giovanni" inszeniert hat und mit "Così fan tutte" seinen Da-Ponte-Zyklus vollenden wird, gelang eine Art elegant-flotte Farce, welche den Charakteren Mobilität abverlangt.

Da ist natürlich kein doppelter Boden, der deutend freigelegt wird. Es wirbelt und wuselt, die Intrigenmaschine läuft auf Hochtouren in einem Ambiente, das Stile mixt und postmodern verspielt wirkt. Da ist stilisierter Rokokokitsch, welchen auch der individuell und schrill charakterisierte Chor repräsentiert. Smoking, nüchterne Holztür und Sessel deuten wiederum auf Gegenwart hin. Gewissermaßen zeitlos wird die Geschichte von Machtlust und Machtverlust also erzählt.

Lästige Dame

Es ist viel Slapstick im Angebot: Ein Besen wird für den wütenden Figaro zur fingerfertigen Balancenummer. Leintücher werden zu Verstecken umfunktioniert, die dem Grafen ebenso helfen wie Cherubino. Und wenn Susanna von Marcellina (sehr komisch: Stephanie Houtzeel) genug hat, wird ein Sprayreiniger eingesetzt, um sich der lästigen Dame zu entledigen.

Platz ist hier ausreichend vorhanden. Kosky lässt zunächst vor einer weißen Wand mit drei Türen spielen (Bühne: Rufus Didwiszus) und führt dann ins Boudoir der sich melancholisch im Spiegel betrachtenden Gräfin. Die deutsche Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller repräsentiert die Unglückliche vokal auf höchstem Niveau: Es durchströmt die Töne und Linien eine besondere Klarheit der Melancholie. Jedes Pianissimo wird ansatzlos gesetzt und versprüht makellos diskrete Emotionen, die sich in turbulenten Augenblicken kultiviert ins leicht Expressive steigern.

Finaler Showdown

Es gilt schließlich für die Gräfin, nach abgestreifter Schwermut, auch den ein erstes Gefühlschaos erlebenden Cherubino zu entkleiden, den Patricia Nolz sehr engagiert, vokal mitunter aber forciert präsentiert. Zudem muss die Gräfin plötzlich horizontal die Angriffe des zornigen Grafengatten abwehren, um ihm schließlich eine Lektion zu erteilen. Um Verzeihung winselnd fällt er auf die Knie. Diesen finalen Showdown der pulverisierten aristokratischen Autorität und des schmetterlingshaft herumflatternden Begehrens lässt Kosky auf einer schrägen Fläche spielen, aus der die Protagonisten herauskriechen.

Das Setting erweist sich jedoch als Schwachpunkt. Es engt die Figuren ein und vereitelt der Arbeit die finale szenische Krönung. Es wird ja in dieser repertoiretauglichen Inszenierung nicht nur großteils exzellent gesungen. Da ist einiges an schauspielerischem Potenzial: Auf dem Karussell der Heiterkeit ist Peter Kellner (als Figaro) ein munterer, vokale Leichtigkeit versprühender Advokat seiner Interessen.

Nüchterne Distanz

Und klischeefrei zeigt Andrè Schuen den Grafen Almaviva als Typen, dessen Machtgebäude einzustürzen droht. Er bleibt, auch wenn er eine Axt zückt, vokal elegant, präsent und vital. Ein Gewinn für Koskys Präzisionsarbeit, die am Ende zwischen Graf und der nunmehr Trauerschwarz tragenden Gräfin nüchterne Distanz herstellt, sind auch der gute Chor sowie Don Curzio (Andrea Giovannini), Bartolo (Stefan Cerny), Antonio (Wolfgang Bankl) und Barbarina (Johanna Wallroth). In einem kleinen Zwischenspiel stellen Letzterer alle verfügbaren Männer lächerlich nach. Auch Don Basilio, den Tenor Josh Lovell mit edlem Kang ausstattet.

Blumen und Applaus

Dirigent Philippe Jordan? Er schafft es, aus dem samtigen Klang des Staatsopernorchesters transparent auch jene Details zu orchestralen Statements zu formen, die die Situation anstachelnd kommentierenden. Schönheit und Pointiertheit finden sich auf das Edelste vereint. Und dies trifft eigentlich auch auf die Inszenierung zu. Einige herzhafte Buhs bedrängten die allgemeine Begeisterung. Richtung Jordan wurde ein Blumenstrauß geworfen, den auch Ying Fang und Einspringerin Maria Nazarova (die ebenso am Montag singen wird) verdient hätten. (Ljubiša Tošić, 12.3.2023)