Atomkrieg, Klimakollaps, Ausländer – kein Tag, ohne dass jemand Angst machen will.

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Kein Tag vergeht, ohne dass uns jemand Angst machen will: Angst vor Ausländern, Angst vor dem Klimakollaps, seit neuestem sogar wieder Angst vor dem Atomkrieg.

Wenn man bedenkt, dass es der Menschheit insgesamt – und in Österreich erst recht – in ihren wirtschaftlichen und materiellen Lebensumständen so gut geht wie noch nie, stellt sich die Frage: Warum wählen Menschen jene, die ihnen Angst machen? Früher war das anders, nicht nur bei jenen, die für den Fortschritt und eine bessere zukünftige Welt standen. Auch Konservative gewannen Erdrutschsiege mit Optimismus, Ronald Reagan etwa mit "It’s morning in America".

Drei Jahrzehnte später malen Politiker Bilder des Untergangs, wie Donald Trumps "American carnage" (Blutbad). Diffuse Ängste werden geschürt und mit scheinbar einfachen Antworten wie "Ausländer raus" oder "Pferdewurmmittel statt Impfungen" gepaart.

Beruhiger wählen

Die umgekehrte Frage ist auch interessant: Warum wählen Menschen Beruhiger? Angesichts dessen, dass nur zwei Drittel der Pensionsauszahlungen in Österreich durch Beiträge gedeckt sind, ist die Ansage "Die Pensionen sind sicher" abwegig. "Neutralität macht uns sicher" gehört auch in diese Kategorie. Viele Menschen wollen offenbar Beruhigungspillen, vielleicht auch, weil Angstmache ihre Spuren hinterlassen hat.

Westliche Demokratien sind gefangen in einem politischen Diskurs zwischen Angst und Beruhigung. Wie die steigenden Stimmanteile der Angstmacher zeigen, haben sie mehr Erfolg als jene mit den Beruhigungspillen. Das deshalb, weil Menschen bekannte und freiwillig eingegangene Risiken – vom Autofahren bis zur Wahl demokratiegefährdender Politiker – unterschätzen und unfreiwillig eingegangene und dem Einzelnen unbekannte Risiken – vom Ausländer, der um die Ecke wohnt, bis zur Gentechnik – überschätzen.

Überschätzte Risiken

Wir überschätzen Risiken, solange sie frisch in unserem kollektiven Gedächtnis sind – ein neuer Covid-Stamm! –, und unterschätzen sie, wenn die Erinnerung verblasst – ein konventioneller Krieg in Europa?

Neue Medien verzerren das Risikoempfinden weiter. Auf Youtube kann sich jedermann als Experte für Infektionskrankheiten, Sicherheitspolitik oder Energie ausgeben. In der analogen Welt, als diese "Experten" im Wirtshaus vor sich hin murmelten oder grölten, wussten wir ihr Gerede einzuordnen. Damals gab es kein "Internet voller absurder Behauptungen über Ursprünge und Heilmittel und Verschwörungstheorien und damit keine ahistorischen, aber hysterischen Methoden der Nachrichtenverbreitung", wie Vaclav Smil in seinem neuen Buch schreibt. Heute können sich diese "Experten" virtuell zusammentun, als "Verquerdenker" auf die Straße gehen und meinen, sie seien "das Volk".

Komplexe Zusammenhänge

In einer Zeit, in der sich das Wissen der Menschheit vielleicht schon alle zwölf Stunden verdoppelt, gibt es wenige, die komplexe Zusammenhänge verstehen, managen und kommunizieren können. Genau diese aber brauchen wir an den Spitzen unserer großen Organisationen, allen voran der Regierungen der Nationalstaaten, die noch sehr lange die Entwicklung unserer Welt bestimmen werden.

Sie schaden nur, die Angstmacher und Beruhiger. (Veit Dengler, 13.3.2023)