Pro: Keine Tabus

von Philip Pramer

Neue Atomkraftwerke zu bauen ist oft keine besonders gute Idee. Denn zu dem immer noch ungelösten Müllproblem kommt ein weiterer, wirtschaftlicher Faktor: Während Wind- und Solarstrom immer günstiger werden, stagniert der Preis für Atomenergie. Neue Anlagen für erneuerbare Energien sind bereits jetzt in vielen Teilen der Welt günstiger als neue AKWs.

Langfristig hat die Kernspaltung in ihrer derzeitigen Form also keine Zukunft – aber sie hat eine Vergangenheit. Über 100 Reaktoren produzieren in der EU ein Viertel des Stroms. Trotz aller Probleme der Kernkraft ist sie im Vergleich zu Kohle- und Gasstrom relativ klimafreundlich. In der Übergangsphase hin zu 100 Prozent erneuerbare Energien wäre es deshalb sinnvoll, die Kernkraftwerke zuletzt abzuschalten. Vor allem, weil ein großer Teil des CO2 und auch der Kosten für den Bau und den Abbau des Reaktors anfallen.

In Ausnahmefällen kann sogar ein Neubau von Reaktoren sinnvoll sein – etwa wenn ein Land extrem von Kohle abhängig ist oder der Erneuerbaren-Ausbau mit dem steigenden Energiebedarf in Schwellenländern nicht Schritt hält.

Denn für das Klima ist alles besser als Kohle, Öl und Gas. Teile der Klimabewegung haben bereits erkannt, dass es im Kampf gegen die Erderwärmung keine Tabus geben darf. Denn manchmal muss man nicht nur für die eigene Vision, sondern pragmatisch für das geringere Übel eintreten. (Philip Pramer, 13.3.2023)

Kontra: Nein zur Atomakzeptanz

von Julia Beirer

Geht es um die Umweltbelastung, ist eine Entscheidung zwischen Atom- oder Kohlekraftwerken wie die zwischen Pest oder Cholera. Beides ist schlecht für die Umwelt, beides sollte rasch durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Dass also gerade Klimaschutzbewegungen wie Fridays for Future in Finnland und Polen Atomkraft akzeptieren, ist grundfalsch. Beide Länder bauen derzeit neue Kernreaktoren. Anstatt den Bauvorhaben den Rücken zu stärken, sollten Klimaschutzbewegungen dagegen protestieren.

Von der bisher ungelösten Frage des Atommülls – der über Jahrtausende hinweg gefährliche radioaktive Strahlung abgibt und damit verheerende Auswirkungen auf den Planeten und die Menschheit hat – einmal abgesehen, ist der Bau von AKWs schlicht zu träge und zu teuer. Die Praxis zeigt nicht zuletzt in Finnland mehrjährige Bauverzögerungen in Kombination mit explodierenden Kosten. Dass bereits laufende Atomkraftwerke nicht alle von heute auf morgen abgeschaltet werden können, ist logisch. Trotzdem sollten Klimaschutzgruppen auf rasche Ausstiegsstrategien pochen.

Dass aus den Kühltürmen der Reaktoren nur Wasser dampft und der CO2-Fußabdruck in etwa derselbe wie der von Windrädern ist, wiegt die Nachteile nicht auf. Daher sollte gerade Fridays for Future gegen Kernspaltung standhaft bleiben und sich nicht vom Atomkraft-Enthusiasmus anstecken lassen. (Julia Beirer, 13.3.2023)