"Oliver, überdreh nicht", sagen die Kollegen zu Oliver Glasner, wenn ihm Ungeduld und Ehrgeiz aus dem Ruder zu laufen drohen.

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"Wir sind Trottel", sagte Oliver Glasner am Samstag nach dem 1:1 gegen den VfB Stuttgart. Nach der besten Hinrunde der Vereinsgeschichte ist Eintracht Frankfurt im März noch in drei Bewerben aktiv. Eigentlich Grund für eine breite Brust, trotzdem fehle aktuell das Selbstvertrauen, sagte der österreichische Trainer nach der vierten sieglosen Partie en suite. "Es gibt so Phasen im Fußball und im Leben, wo nicht alles ganz so einfach ist", sagte der 48-Jährige. Und das Programm wird nicht leichter. Am Mittwoch (21 Uhr) müssen die Hessen im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League bei Napoli ein 0:2 aufholen. "Wir bereiten uns so vor, dass wir das noch schaffen, was uns keiner zutraut." Das Interview fand vor dem Spiel gegen Stuttgart statt.

STANDARD: Wie gestresst sind Sie momentan?

Glasner: Als Trainer bist du unter der Saison meistens gestresst. In der vergangenen Woche war ich täglich zwölf Stunden auf dem Vereinsgelände. Trotzdem muss man sich als Ausgleich auch mal etwas Zeit für sich selbst nehmen. Eine Stunde Tennis geht sich manchmal aus.

STANDARD: Ein Sprichwort besagt, dass es schwierig ist, an die Spitze zu kommen, aber noch viel schwieriger, sich dort zu halten. Ist die Saison schwieriger nach dem Gewinn der Europa League im Vorjahr?

Glasner: Das kann man meiner Meinung nach nicht so sagen. Nach dem Aufstieg mit dem LASK hat es auch geheißen, dass das verflixte zweite Bundesliga-Jahr das schwierigste wird. Wir wurden Vizemeister. Wenn man an solche Sprüche glaubt, treten sie ein, aber das mache ich nie. Ich sehe es umgekehrt. Ich habe mich gefreut, dass es weitergeht. Der Erfolg zeigt ja, dass wir guten Fußball spielen können. Das wollen wir wieder zeigen.

STANDARD: Wie ist das möglich?

Glasner: Wichtig ist, immer zu wissen, warum man an die Spitze gekommen ist. Ein Golf-Vergleich: Wenn ich einen schönen Golfschlag mache, freue ich mich, weiß aber nicht, wie ich das geschafft habe. Deshalb kann ich ihn selten reproduzieren. Wenn man den Grund weiß, weiß man, wo man dranbleiben muss. Das ist mit diesem Spruch oft gemeint: Man darf ja nicht nachlassen.

STANDARD: Ist es schwieriger, im Erfolg nicht abzuheben oder in schlechteren Phasen nicht an den eigenen Ideen zu zweifeln zu beginnen?

Glasner: Für mich ist es nie schwierig, nicht abzuheben, weil ich viel zu bodenständig bin. Oliver Glasner ist kein besserer Mensch, weil er die Europa League gewonnen hat. Und auch kein schlechterer, wenn er wie zuletzt zwei Spiele verliert. Ich bleibe immer der gleiche Mensch, mit seinen Stärken und Schwächen.

Oliver Glasner mit Eintracht-Maskottchen Attila.
Foto: IMAGO/Sven Simon

STANDARD: Wie lauten diese?

Glasner: Meine größte Schwäche ist manchmal meine größte Stärke. Meine Ungeduld und mein Ehrgeiz können in beide Richtungen gehen. Das treibt mich und mein Umfeld an, aber ich muss auch aufpassen, dass ich mein Umfeld damit nicht überfordere. Ich habe aber gute Kollegen im Trainerteam, die mir dann sagen: "Oliver, überdreh nicht." Der Hunger nach Erfolg lässt bei mir nicht nach. Wenn man ein Stück Schokolade isst, denkt man sich ja auch: "Wow, die ist gut, die möchte ich wieder haben."

STANDARD: Sie arbeiten mit einem Persönlichkeitsentwickler zusammen. Wie kam es dazu?

Glasner: Da war ich noch Ried-Spieler Ende der 1990er. Damals habe ich Dr. Werner Zöchling kennengelernt. Er ist ein wichtiger Weggefährte. Wir telefonieren zweimal in der Woche und tauschen uns aus. Dabei geht es um den Umgang miteinander und wie man Leadership aufbaut. Ich möchte mein Team für meine Ideen gewinnen. Das soll nicht durch eine "Diktatur" geschehen, sondern durch Respekt und Vertrauen.

STANDARD: Interpretieren Sie Ihre Führungsrolle heute anders als noch in Österreich?

Glasner: Nein. Ich lege immer auf dieselben Prinzipien Wert, und das wissen alle. Mein innerer Antrieb ist, dass man gerne zur Arbeit kommt. Das ist bei Ihnen wahrscheinlich nicht anders. Kommunikation spielt hier eine wichtige Rolle. Die Spieler, Mitarbeiter und Kollegen möchten wahrgenommen werden.

STANDARD: Medien reden gerne über Resultate. Wie gehen Sie mit der Schnelllebigkeit im Geschäft um?

Glasner: Ich ziehe nicht alle drei Spiele Bilanz. Ich lasse mich nach drei Spielen nicht verunsichern, aber umgekehrt auch nicht durch Frankfurt tragen. Fakt ist: Wir haben punktetechnisch die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte gespielt und als Neuling das Achtelfinale der Champions League erreicht. Es war ein sehr erfolgreicher Herbst. Bilanz wird aber erst Ende Mai gezogen – oder hoffentlich Anfang Juni, da ist das Pokalfinale.

STANDARD: Auf Pressekonferenzen machen Sie meistens einen gelassenen Eindruck.

Glasner: Ich versuche es zumindest. Wer mich auf der Rückfahrt aus Wolfsburg (2:2, Anm.) erlebt hat, wird das nicht bestätigen. Unmittelbar nach dem Spiel bin ich emotional aufgewühlt. Als Trainer fiebere ich auf dem Platz mit, man ist im Dauerstress. Samstag Stuttgart, Mittwoch in Neapel, Sonntag in Berlin. Da ist kaum Zeit für Rationalität. Aber ein paar Stunden Schlaf helfen, die Dinge richtig einzuordnen. Deshalb findet die Spielaufbereitung immer erst am Tag danach statt. Das hilft auch den Spielern. Du darfst dich vom Auf und Ab einer Saison nicht irritieren lassen. Wir gehen auch in solchen Phasen sehr klar damit um, gehen unseren Weg konsequent weiter.

STANDARD: Wie hart war es, den Kaderumbruch heuer zu bewältigen?

Glasner: Wir haben zehn neue Spieler geholt. Die muss man erst integrieren. Ein guter Spirit in der Kabine ist wichtig. Dann geht es darum, die gemeinsame Fußballidee zu vermitteln. In Linz waren wir nach vier Jahren schon sehr weit damit, aber noch nicht ganz fertig. Nach eineinhalb Jahren hier auch nicht. Nach dem Wechsel von Filip Kostic haben wir unser Spiel etwas verändert.

STANDARD: Hätten Sie mal Lust auf einen Verein weiter oben in der Nahrungskette, wo Sie keinen großen Umbruch fürchten müssten?

Glasner: Wer steht ganz oben? Nehmen wir Real Madrid. Die haben auch Camavinga, Tchouameni und Alaba geholt. Casemiro ist dafür gegangen. Bayern hat Lewandowski verloren. Vielleicht ist bei Klubs wie unserem die Fluktuation ein bisschen größer, aber Blutauffrischungen sind wichtig.

Oliver Glasner kann durchaus emotional werden.
Foto: REUTERS/Karina Hessland

STANDARD: Die deutsche Hackordnung hat sich verändert. Traditionsklubs kämpfen um den Klassenerhalt, Außenseiter um den Europacup. Wie schwer ist es, sich oben festzusetzen?

Glasner: Sehr schwer. Die Bundesliga ist wahnsinnig ausgeglichen. Sechs deutsche Teams sind noch im Europacup dabei. Entscheidend ist, nicht nur zwei Jahre vorne mitzuschwimmen, sondern wie man das über einen längeren Zeitraum schafft. Dafür braucht man eine Strategie. Das hat Eintracht Frankfurt in den letzten Jahren sehr gut gemacht. Seit dem Relegationsspiel 2016 hat sich der Verein kontinuierlich weiterentwickelt. Das hat wenig mit Oliver Glasner zu tun. Mir hat der LASK-Präsident einmal gesagt: "Im Erfolg machst du die größten Fehler." Wenn du denkst, du bist der Beste der Welt, erwischt es dich schnell. Du musst Respekt vor deinen Mitstreitern haben. Wenn man den nicht verliert, kannst du dich oben festsetzen.

STANDARD: Was sind die Saisonziele?

Glasner: Das klingt banal, aber ich möchte, dass wir fußballerisch weiterkommen. Dann kommt der Erfolg von selbst. Wieder zurück zum Golf: Wenn ich eine Par-Runde spielen möchte, muss ich mein Spiel verbessern. Nur davon reden bringt nichts, ich muss viel üben. So ist es auch im Fußball. Wir werden alles dransetzen, in Neapel weiterzukommen. Union Berlin ist im DFB-Pokal eine harte Nuss, aber wir wollen weiterkommen. In der Liga wollen wir um die internationalen Plätze mitspielen. Aber entscheidend ist, nicht über Erfolge zu reden, sondern das zu machen, was uns dort hinbringt.

STANDARD: Ihre Erfolge wecken Begehrlichkeiten. Angebote aus der Premier League haben Sie abgelehnt. Ihr Vertrag in Frankfurt endet 2024. Wo bringt Sie Ihre Karriere noch hin?

Glasner: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich bin seit 2012 Trainer, und es ist jedes Jahr anders gekommen als gedacht. Ich habe keinen Karriereplan. Um glücklich zu sein, muss ich nicht unbedingt in die Premier League. Vielleicht sage ich in fünf Jahren, dass ich aus dem Business aussteige, weil sich der Zeitpunkt richtig anfühlt. Es ist immer wichtig, für sich selbst das zu finden, was einen glücklich macht. Momentan ist das Frankfurt, nicht nur beruflich, auch meine Familie fühlt sich hier wohl, wenn sie da ist. Das genieße ich.

STANDARD: Sie haben oft mutige Entscheidungen getroffen. Sie sind etwa von Ried zum Zweitligisten LASK gewechselt. Oder haben Wolfsburg trotz Champions-League-Qualifikation verlassen. Hören Sie da immer aufs Bauchgefühl?

Glasner: Ich lasse mich nie von anderen beeinflussen. Ich fühle mich nur meiner Familie und mir verantwortlich. Ich treffe die Entscheidung, die sich für mich richtig anfühlt, und die ziehe ich dann durch. Zu mir haben viele auch gesagt: "Oliver, was du machst, ist verrückt." Aber ich kann ja nur das machen, wovon ich überzeugt bin. Das habe ich auch vorhin zu einem möglichen Karriereende gemeint.

STANDARD: Sie haben unlängst der "WAZ" gesagt, mit 65 möchten Sie nicht mehr Trainer sein, "wahrscheinlich auch nicht bis 60". Ist der Stress dann genug?

Glasner: Ja, es ist ein 24/7-Job. Im Urlaub lasse ich das Handy untertags mal aus, aber am Abend steht vielleicht ein Telefonat an. Irgendetwas ist immer. Da bleiben andere Sachen auf der Strecke. Zum Beispiel, wenn der beste Freund heiratet. Wann macht er das? Am Samstag. Da bin ich beim Spiel und kann nicht dabei sein. Mein Freundeskreis hat wenig mit Fußball zu tun. Wenn da einmal vier befreundete Ehepaare in die Südsteiermark wandern gehen und dort Wein verkosten, sind wir auch nicht dabei. Da denke ich mir dann schon manchmal, irgendwann wäre ich schon gerne einmal dabei. Dieses Irgendwann wird einmal kommen. (Andreas Gstaltmeyr, 13.3.2023)