Israelis zahlreicher Branchen und Alters-stufen tun ihren Unmut derzeit kund.

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In der nordisraelischen Küstenstadt Haifa gingen Samstagabend die Ärzte und Pfleger in Kitteln auf die Straße. Auf den Ärmeln und in Brusthöhe trugen sie knallrote Aufkleber. "Es gibt keine Gesundheit ohne Demokratie", steht darauf. "Ich kann heute eigentlich gar nicht mehr stehen, mir tun die Füße weh", sagt Meirav, eine Krankenpflegerin, die von ihrem Dienst im Krankenhaus direkt zur Demonstration gefahren ist. "Ich kann aber auch nicht einfach zu Hause sitzen, wenn sie unser Land zerstören."

Menschen aus allen Berufs- und Altersgruppen haben sich dem Protest gegen die ultrarechte Regierung in Israel angeschlossen. Am vergangenen Samstag waren es so viele wie nie zuvor. Die Initiatoren der Proteste, die jeden Samstag in allen größeren Städten, aber auch dezentral an Kreuzungen oder auf Brücken stattfanden, schätzen die Teilnehmer am jüngsten Protest auf eine halbe Million. Israel hat 9,7 Millionen Einwohner.

Die Koalition unter Benjamin Netanjahu, der wegen dreifacher Korruption angeklagt ist, reagiert auf die Proteste stets mit Diffamierungen. Die Demonstranten seien Anarchisten, erklärte Netanjahu. Sein auf Social Media äußerst wortgewaltiger Sohn Yair Netanjahu bezeichnete die Mitglieder der Protestbewegungen sogar als "Terroristen".

Schaden für die Wirtschaft

Auch abseits der Demonstrationen regt sich Protest. Nachdem Reservisten mehrerer Armeeeinheiten angedroht hatten, sich künftig einer Mobilisierung zu entziehen, meldeten sich am Sonntag auch hochrangige ehemalige Beamte des Finanzministeriums öffentlich zu Wort. Sie warnten vor einem schweren Schaden für Israels Wirtschaft, sollte sich die Regierung tatsächlich absolute Kontrolle im Staat verschaffen können.

Trotz mehrerer eindringlicher Aufrufe von Staatspräsident Itzchak Herzog, die Regierung möge einlenken und das Land vor "diesem Albtraum bewahren", hält die Koalition an ihrem Plan fest, die Justiz völlig unter politische Kontrolle zu bringen. Am Sonntag landete der wohl folgenreichste Abschnitt der Justizreform bereits in jenem Parlamentsausschuss, der die Gesetzesvorlage für die zweite und dritte Lesung vorbereitet – also für die finale Verabschiedung im Parlament.

Dabei geht es um die Abschaffung der richterlichen Unabhängigkeit. Richter sollen künftig von der Regierung bestellt werden. "Das ist das Ende der Demokratie", sagte Avichai Mandelblit, bis vor einem Jahr Generalstaatsanwalt und langjähriger Verbündeter Netanjahus. Der Jurist geht sogar so weit, dass er lieber eine Eskalation im Land in Kauf nehmen würde als einen "faulen Kompromiss" zwischen Regierung und Opposition. Er warnt das Antiregierungslager davor, sich auf einen Mittelweg mit der Koalition einzulassen, nachdem der Modus der Richterbestellung einmal geändert ist. "Sobald wir es mit parteipolitisch bestellten Richtern zu tun haben, kann das durch nichts mehr geheilt werden."

Gezerre um Polizeichef

Noch ist die Justiz unabhängig, und sie demonstriert das auch – wie zuletzt bei der fristlosen Absetzung des Tel Aviver Polizeikommandanten, den der Nationale Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir bezichtigt hatte, "zu lasch" gegen die Antiregierungsdemos vorzugehen. Die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara legte Einspruch ein, inzwischen hat sich Israels Polizeichef Kobi Shabtai bereits öffentlich für die Absetzung entschuldigt. Auf der Samstagsdemo in Tel Aviv wurde der nun doch nicht gefeuerte Kommandant mit Applaus begrüßt.

In dieser Woche wird es dann auch gleich drei landesweite Proteste geben. Einer davon zielt auf Netanjahus für Mittwoch geplante Berlin-Reise und dessen Treffen mit Kanzler Olaf Scholz ab. Es ist geplant, die Autobahnzufahrten zum Flughafen Tel Aviv zu blockieren.

Das war den Demonstranten und Demonstrantinnen schon am Donnerstag kurz gelungen, als Netanjahu seine Reise nach Rom zu Ministerpräsidentin Giorgia Meloni antrat. Angesichts der Blockade beschloss Netanjahu kurzerhand, sich nicht per Wagen, sondern per Helikopter zum Flughafen zu begeben.

Die Koalition will den ersten Teil der Justizreform bis Ende März unter Dach und Fach bringen. Danach geht das Parlament in Pessach-Pause. Die Samstagsproteste gehen indes weiter. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 12.3.2023)