Nestwärme ist wundervoll. Kann es sie im Job geben?

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Die Hochsaison der Erhebungen, Studien und Analysen dazu, was sich das junge Arbeitsvolk wünscht, hält ungebrochen an. Vor allem Jobportale fragen fleißig, was wichtig ist im Job.

Die Teuerung hat das Gehalt wieder nach oben gerückt. "Sinn" steht nicht mehr auf Platz eins. Allerdings ist der Wunsch nach Anerkennung, Wertschätzung, Zugehörigkeit wie schon in den letzten Jahren auf den vorderen Rängen.

Führungskräfte haben gelernt

Führungskräfte haben daraus längst gelernt: Ernste Kommandomienen sind durch freundliche Gesichter ersetzt worden. Strenger Anweisungston kommt als einladend formulierter Auftrag daher. "Social Clearing" wurde in den Lockdowns gelernt – da ging es darum, nicht schnell ins sachliche Meeting zu hüpfen, sondern zuerst ein paar verbindliche, persönlich adressierte Worte zu sagen und nach dem werten Wohlbefinden zu fragen. Also Nähe und Zugewandtheit signalisieren. Christoph Waltz widmet sich in The Consultant (auf Amazon) großartig diesem Thema.

"Der Mensch im Mittelpunkt" – diese Phrase fehlt eigentlich nirgends mehr, und ich zähle bei Podiumsdiskussionen seit geraumer Zeit interessiert mit. Phänomenologische Evidenz: Weniger als zweimal kommt nicht vor.

Menschlich soll es sein im Job

Es ist ein erwünschter sozialer Code in der "Corporate World" geworden, das menschliche Anliegen gut sichtbar vor sich herzutragen. Das ist eine Verführung, die auf eine große Sehnsucht trifft: "To be someone", könnte man als Boomer Paul Simon zitieren. Zugehörigkeit zu einer mächtigen Gruppe ist ein archaisches Bedürfnis. Führungskräfte, die das verinnerlicht haben, arbeiten mit Nestwärme.

Das ist der Punkt: Sie arbeiten damit. Und genau an diesem Punkt muss sich notgedrungen Verwechslung, vielleicht schnell Enttäuschung entwickeln. Denn, auch wenn noch so viel Family-Flair vermittelt wird: Die Firma ist keine Familie.

Weder haben dort die Mitglieder viel Spielraum für Narrenfreiheit, noch wird vergessen, gar verziehen. Gute Führungskräfte schauen, dass ihre Leute möglichst ersetzbar sind – sonst fahren sie ja mit 100 Prozent Risiko. Gute Vorgesetzte fördern ihre Leute – aber nicht aus Liebe, sondern aus unternehmerischem Interesse. Gute Führungskräfte befeuern die Leistung ihres Teams – aber nicht für die menschliche Weiterentwicklung oder das innere Wachstum. Sondern für die Produktivität. Gute Familien stellen niemanden vor die Tür, weil sie ihn oder sie nicht mehr benötigen. Unternehmen schon. In guten Familien werden Beziehungen nicht plötzlich beendet, weil jemand Brauchbareres daherkommt. In Firmen passiert das schon.

In guten Familien herrscht nicht nur Vertrauen, sondern sogar Vertraulichkeit. Das kann in Unternehmen zum Problem zwischen den Hierarchien führen.

Es kann sehr gut und menschlich klappen mit Beziehungsmanagement im Job. Aber es bleibt, was es sagt: Management. (Karin Bauer, 13.3.2022)