Die humanitäre Notlage im Tschad betrifft vor allem Frauen und Kinder.

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Die durchschnittliche Lebenserwartung im Tschad ist eine der niedrigsten weltweit. Naturkatastrophen, politische Unruhen, Nahrungsmittelknappheit, Mangel an medizinischer Versorgung und patriarchale Verhältnisse lassen die Menschen in dem Saharastaat Armut als Normalzustand annehmen. "Die Menschen im Tschad leben kontinuierlich in einer Krise", schildert Care-Länderdirektor Amadou Bocoum im Gespräch mit dem STANDARD.

Care leistet seit 1975 humanitäre Hilfe in dem zentralafrikanischen Binnenland. Die Hilfsorganisation unterstützt das Land in allen Richtungen, sei es mit dem Zugang zu Trinkwasser, medizinischer Hilfe oder mit der Vergabe von Krediten. "Unser Fokus liegt auf den Frauen", berichtet der Care-Länderdirektor im Tschad. In dem Land ist die Mehrheit der Bevölkerung weiblich. Die Organisation hilft über 50.000 Frauen auf ihrem Weg in die wirtschaftliche Selbstständigkeit.

Höheres Einkommen der Frauen für mehr Emanzipation

Ziel sei es, die gesellschaftlichen Normen in dem Land zu verändern: "Wir wollen nicht mehr, dass Frauen zu ihren Männern gehen müssen, um um Geld für das Kaufen von Seife zu bitten", erklärt Bocoum. Junge Mädchen werden demnach oft im frühen Alter verheiratet, um wirtschaftlich abgesichert zu sein. Laut einem Care-Bericht sind mehr als zwei Drittel der unter 18-jährigen Mädchen im Tschad verheiratet. Ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung dieser Strukturen sei, das Einkommen der Frauen zu erhöhen: "Ich glaube fest daran, dass eine Besserung und eine Veränderung im Land mit höheren Einkommen der Frauen beginnt", sagt Bocoum.

Um die Emanzipation von Frauen voranzutreiben, unterstützt sie Care bei ihrer finanziellen Ausbildung und hilft ihnen beim Erwerb von Land. Solche Projekte würden die wirtschaftliche Sicherheit und Selbstständigkeit von Frauen gewährleisten, so der Länderdirektor.

"Frauen wollen Mitspracherecht haben. Wir unterstützen zum Beispiel eine Frau, die bald zum ersten Mal mit einem Visum das Land verlässt. Sie wird an einer Konferenz in Benin teilnehmen", berichtet Bocoum. Eine andere Frau, Hawa Abakar, Mutter von vier Kindern, erhielt durch die Organisation Zugang zu einem Kredit. Dieser ermöglichte ihr, eine Nudelmaschine anzuschaffen, um Teigwaren zu produzieren und diese an die Bewohner ihres Dorfes zu verkaufen. Sie hat mittlerweile den Kredit zurückgezahlt und verdient das Doppelte von zuvor. Laut Bocoum ist es wichtig, den Menschen nicht nur Bargeld zu geben, denn sie würden ihr eigenes Geld verdienen wollen. Deswegen unterstützt die Hilfsorganisation verstärkt bei der Finanzbildung oder mit Krediten, wenn Menschen größere Investitionen für ihre Unternehmen brauchen.

Ukrainekrieg verschlimmerte die Situation im Tschad

Seit der russischen Invasion in die Ukraine wurde die Hungersnot aufgrund von gestiegener Getreidepreise und unterbrochener Lieferketten verschärft. 1,7 Millionen Kinder im Tschad dürften derzeit mangelernährt sein. Dazu kommen gestiegene Preise für Benzin und Öl, die die Menschen zusätzlich belasten. In einem Report von Care mit dem Namen "Breaking the silence. Zehn humanitäre Krisen, die 2022 keine Schlagzeilen machten", ist der Tschad mit 5.843 Onlineartikeln auf dem fünften Platz. Damit möchte die Organisation darauf aufmerksam machen, dass es neben dem Ukrainekrieg auch "stille" Krisen gibt, die mehr internationale Aufmerksamkeit brauchten.

Bocoum zufolge haben die internationalen Hilfszahlungen seit dem Ukrainekrieg um 60 Prozent abgenommen: "Das erschwert unsere Arbeit enorm und vernichtet bereits erarbeiteten Fortschritt." (Tabea Hahn, 13.3.2023)