Wo Wokeness und Boulevard im Clinch liegen: Toast Hawaii.

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Lebensmittel, Gerichte, sogar ganze Landesküchen gerieten in den letzten Jahren immer wieder in hitzige Diskussionen, in denen nicht mehr richtige Zutaten, sondern kulturelle Aneignung, Cancel-Culture und Wokeness eine gewaltige Rolle spielen.

In einem aktuellen Fall entzündete sich die Diskussion einer linken Bubble in deutschsprachigen Boulevardmedien: Dieses Mal geht es um das vermeintliche Aus der Pizza Hawaii und des Toast Hawaii. "Jetzt soll auch Toast Hawaii rassistisch sein", schreibt die "Bild" auf der Titelseite vom 5. März. Die Tageszeitung "Österreich" beschwor dagegen den "Woke-Wahnsinn" herauf. Das Ende der Essensklassiker, wie wir sie kennen, sei imminent. Denn, so heißt es in der "Bild", diese Speisen würden von den Woken "mundtot" gemacht werden.

Hintergrund: ein Facebook-Posting, das die Pizza Hawaii als problematisch aufgrund der kolonialen Begriffsherkunft bezeichnet und eine Umbenennung fordert. Die Linken, so der Tenor, würden der Gesellschaft ihren übertriebenen Gerechtigkeitssinn aufdrücken und alles Gute, das wir noch haben, verbieten wollen.

Nur: Das Posting, das die aktuelle "Skandal"-Diskussion ausgelöst hat, stammt von Juni 2020. Und der Gruppe folgen 2.500 Personen, auf Instagram ein bisschen mehr als 8.000. Bereits vor drei Jahren gab es Artikel dazu in den Boulevardmedien "Heute" und im Schweizer Medium "20min", bei denen sich "Österreich" anscheinend bediente und die auch die "Bild" zu ihrem vermeintlichen Aufdecker inspirierten.

"Woke-Wahnsinn"

Die aufgewärmte Diskussion sorgte unter dem Posting der Gruppe für zahlreiche Beschimpfungen, die mittlerweile gelöscht wurden, wie die Plattform "Übermedien" berichtet. Auf Facebook gibt es mehr als 600 Postings zum Artikel von "Österreich". Unter "Woke-Wahnsinn: Pizza Hawaii jetzt rassistisch!" schreiben zahlreiche Userinnen und User von "deppaten Gutmenschen". Ihnen wird eine "Gehirnwäsche" nahegelegt, "damit sie wieder normal werden", ansonsten gehören solche Menschen "sofort in eine Anstalt ohne Recht auf Entlassung". Vergleiche zu Homosexualität, Gendern und dem N-Wort fallen ebenso in den Postings. Solche Kommentare befeuern nicht nur die Diskussion rund um die Thematik, sie bedienen auch den Zweck, gegen Wokeness und Cancel-Culture zu agieren.

Weitere deutsche Medien haben den "Bild"-Spin übernommen und arbeiten diesen anhand anderer Namensdiskussionen rund um das "Zigeunerschnitzel" oder den Begriff "Curry" auf (darüber berichtete die "Bild" natürlich auch schon).

In Österreich kennt man diese Diskussion vom Dessert "Mohr im Hemd", das nach zahlreichen Diskussionen auf den Speisekarten der Gasthäuser heutzutage als warmer Kuchen mit Schlag zu finden ist – zumindest auf den meisten.

Kulturelle Aneignung in der Küche?

In der Vergangenheit gab es immer wieder hitzige Diskussionen in diese Richtung. Vor kurzem regten sich in den USA rechte Agitatoren auf, dass die M&M-Maskottchen, vermenschlichte Schokolinsen, zu woke seien. So wütete Fox-News-Anchorman Tucker Carlson gegen die violette Figur, die angeblich die Trans-Agenda verbreite, und kritisierte das grüne, weibliche M&M, dem man die Stilettos und damit einhergehend die "Sexyness" geraubt habe. In einem Marketing-Schachzug kündigte der Mutterkonzern an, die "kontroversen" Maskottchen in Pause zu schicken.

In anderen beispielhaften Diskussionen geht es darum, ob man Gerichte aus fremden Kulturen für die eigenen Zwecke kommerzialisieren darf. Etwa, wenn jemand mexikanisches Essen oder Sushi verkauft und keine mexikanischen oder japanische Wurzeln hat. Kritiker sehen darin eine Form der kulturellen Aneignung. Der bekannte französische Koch Eric Ripert publizierte ein Rezept zur vietnamesischen Pho und geriet ins Kreuzfeuer der Kritik, das Nationalgericht nicht nach klassischer Rezeptur zu kochen und damit ein kulturelles Gut zu entfremden. (rec, 14.3.2023)