Rund 12.000 Personen traten zuletzt zur Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium an, 1.850 Plätze waren zu vergeben. Wer einen solchen ergattert, soll zur Arbeit in Österreich verpflichtet werden, fordert Bundeskanzler Nehammer.

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Es müsse das Ziel sein, gesünder älter zu werden, und dafür brauche es ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in seiner Kanzlerrede zur Zukunft des Landes vergangenen Freitag. Zwar habe Österreich eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, man sehe aber immer mehr, "dass es auch Probleme gibt".

Gemeint ist damit zum Beispiel der Mangel an Kassenärzten: Es werde 2030 rund "800 Kassenärzte zusätzlich brauchen, um die Versorgung auf dem Land wie in der Stadt sicherstellen zu können", teilte der Kanzler mit, dafür bedürfe es eines Masterplans. Nehammer verlangt zum Beispiel eine "Berufspflicht für die, die das Studium in Österreich abschließen, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben".

Eine solche Verpflichtung zur Arbeit im Gesundheitssystem nach einem Medizinstudium in Österreich ist nach Ansicht des Europarechtsexperten Walter Obwexer von der Uni Innsbruck machbar, wie dieser am Montag auf STANDARD-Nachfrage ausführte. Und zwar sei das möglich, "wenn es in einem Staat an Ärztinnen und Ärzten fehlt, um die Gesundheitsversorgung gewährleisten zu können". Und das sei in Österreich der Fall.

Allein im niedergelassenen Bereich sind nach Auskunft der Österreichischen Ärztekammer derzeit 300 Kassenstellen offen, davon 176 für Allgemeinmedizin und 124 im Facharztbereich, allen voran der Kinder- und Jugendheilkunde sowie der Gynäkologie. Mehr als 30 Prozent der Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums sind laut einem Rechnungshofbericht dann nicht in Österreich in einem Arztberuf tätig.

Südtiroler Fall wies den Weg

Konkret könnte die Regelung zu einer Arbeitsverpflichtung nach dem Medizinstudium so aussehen, dass innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren nach dem Abschluss fünf Jahre im österreichischen Gesundheitssystem zu arbeiten sei – das hielte Obwexer für verhältnismäßig, und es würde die Freiheit auch nicht zu sehr einschränken.

So sei es zum Beispiel in Südtirol geregelt, wo auch ein Fall angesiedelt war, der vor einigen Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof gelandet ist. Da hatte eine Italienerin ein Stipendium für eine von der Provinz Südtirol vergütete Facharztausbildung für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Innsbruck erhalten, wobei Südtirol mit Österreich Regelungen vereinbart hat, um Facharztausbildungsstellen zu schaffen und zu finanzieren, die es dort nicht gibt. Die Ärztin hatte sich verpflichtet, danach innerhalb von zehn Jahren fünf Jahre als Fachärztin in Südtirol zu arbeiten oder sonst bis zu 70 Prozent des Stipendiums zurückzuzahlen. Es ging um 68.515 Euro. Die Ärztin ging dann dagegen vor, die Regelung hielt aber auch vor dem EuGH.

Eine Arbeitsverpflichtung nach einem Studium in Österreich, wie nun vom Bundeskanzler skizziert, könnte laut Obwexer insbesondere für bestimmte Fächer mit besonderem Mangel gelten. Außerdem müsse es die Möglichkeit geben, Ausbildungskosten ganz oder teilweise zurückzuzahlen, wenn jemand der Verpflichtung zur Arbeit in Österreich nicht oder nicht voll umfänglich nachkomme.

Andere Expertenmeinung

Obwexers Rechtsmeinung ist aber nicht unumstritten. Der EU-Rechtsexperte Peter Hilpold, ebenfalls von der Uni Innsbruck, teilte dem STANDARD am Dienstag mit, dass aus EU-rechtlicher Perspektive keine Grundlage für die Möglichkeit zu einer Arbeitsverpflichtung in Österreich nach einem Medizinstudium gegeben sei. Hilpold führt ins Treffen, dass es bei dem von Obwexer genannten Südtiroler Fall um ein Stipendienmodell zur Finanzierung der Facharztausbildung im Ausland und nicht um die allgemeine Finanzierung der medizinisch-universitären Ausbildung gegangen sei, man dürfe nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Hilpold zufolge ist fraglich, "ob der EuGH bereit wäre, eine derart gravierende Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in einer solch extensiven Form auszudehnen". Außerdem ist aus seiner Sicht fraglich, ob sich "dann auch noch parallel die Quotenregelung zugunsten der heimischen Medizinstudierenden verteidigen" ließe.

Grüner Einspruch

Die Grünen deponieren einen Einspruch gegen Nehammers Vorschlag – somit fehlt dem Kanzler die Regierungsmehrheit, um seinen Plan umzusetzen. Es gebe nicht zu wenige Ärztinnen und Ärzte insgesamt, sondern zu wenige, die Kassenstellen besetzten, argumentierte Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner laut Ö1-"Morgenjournal". Folglich müsse man bei den Arbeitsbedingungen ansetzen.

Das Problem werde durch eine Arbeitsverpflichtung nicht gelöst, teilte wenig später auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) in der Sache mit. "Nur wenn Menschen ihren Beruf freiwillig und mit Freude ergreifen, werden sie ihn auch langfristig ausüben. Nur das bringt eine dauerhafte Entlastung für das bestehende Personal, das schon seit langer Zeit an seiner Belastungsgrenze arbeitet", führte Rauch im APA-Gespräch aus. Er verwies auf den Ausbau der Primärversorgungszentren, die attraktive Arbeitsbedingungen für junge Ärztinnen und Ärzte böten. In Österreich mangle es nicht generell an Ärzten. Ein Mangel existiere nur in bestimmten Bereichen, etwa bei Kassenstellen in bestimmten Regionen oder Fächern, argumentierte Rauch.

Stipendium verpflichtet nachträglich

In die von Nehammer angestoßene Richtung weisen in Österreich aber bereits Stipendienprogramme, die darauf abzielen, Studierende in der Zeit ihres Medizinstudiums zu unterstützen, die aber vorschreiben, dass die Stipendienbezieher dann eine Zeitlang im österreichischen Gesundheitssystem arbeiten müssen.

Beispielsweise hat Niederösterreich vor kurzem 20 Plätze vergeben, bei denen je 923 Euro monatlich für bis zu 48 Monate bezahlt werden. Ursprünglich waren zehn Stipendien ausgeschrieben worden, da es aber 20 Bewerbungen gab, die die Kriterien erfüllt hätten, habe man die Zahl verdoppelt, teilte das Land mit. Nach Inanspruchnahme müssen die Absolventinnen und Absolventen mindestens fünf Jahre in Anstellung (also im Spital) oder mit einem Kassenvertrag arbeiten.

Auch in Tirol gibt es ein Stipendienmodell. Und die Österreichische Gesundheitskasse hat ebenfalls ein Stipendium ausgelobt, mit dem ab dem Sommersemester 50 Studierende der Medizin für bis zu dreieinhalb Jahre monatlich 923 Euro erhalten, wenn sie nach dem Studium für mindestens fünf Jahre einen Kassenvertrag übernehmen. 60 Personen haben sich laut ÖGK darum beworben.

Mehr Studienplätze

Aus Nehammers Sicht bräuchte es zusätzlich auch mehr Medizinstudienplätze, einen massiven Ausbau in Form einer Verdoppelung, wie von der SPÖ gefordert, hat Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) zuletzt als nicht sinnvoll bezeichnet. Allerdings werden die Studienplätze bis 2028 laut Ausbauplan um 200 Plätze in ganz Österreich erhöht, die ersten 50 davon wurden in diesem Studienjahr geschaffen. Zusätzlich stehen mit dem Ausbau der Medizinischen Fakultät in Linz weitere Plätze zur Verfügung, dadurch stieg die Zahl zusätzlicher Plätze nach Informationen aus dem Bildungsministerium im Wintersemester 2022/23 um 110.

Die Ärztekammer sieht in einem massiven Ausbau der Studienplätze nicht die Lösung der Probleme. Sie fordert eine Attraktivierung der Arbeitsbedingungen in Österreich. Man sei gegen "Zwangsverpflichtungen" für Ärztinnen und Ärzte, teilte die Kammer in einer Aussendung mit. (Gudrun Springer, red, 14.3.2023)