Für Klimaschutz fehlt der politische Wille, kritisiert Elsberg. Der Klimabewegung rät er dennoch zu anderen Methoden.

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In den Romanen von Marc Elsberg kollabiert die Welt. Im Bestseller Blackout, inzwischen auch als Serie verfilmt, legt ein Hacker die Stromversorgung in ganz Europa lahm. In Elsbergs neuestem Thriller Celsius soll eine Technologie die Welt hingegen vor dem Kollaps bewahren: Staaten wenden das umstrittene Geoengineering an, um die Erderwärmung abzuschwächen. Zunächst ist es China, das im Buch mithilfe von Drohnen Chemikalien verteilt, die die Sonnenstrahlen abdämpfen – sogenanntes Solar Radiation Management.

STANDARD: Ihr Buch beginnt damit, dass mysteriöse Flugobjekte chinesischer Herkunft am Himmel auftauchen. Das erinnert erstaunlich an die Realität. Sind Sie froh, dass es in echt "nur" mutmaßliche Spionageballons waren?

Elsberg: Wahrscheinlich waren einige ja nur Forschungsballons und keine Spionageballons. Aber ja, das ist mir natürlich lieber, als es sind heimlich abgesprochene Geoengineering-Experimente.

STANDARD: Ist "Celsius" eine Warnung vor den Gefahren des Geoengineerings?

Elsberg: Celsius ist erst einmal ein Thriller. Ich habe mir wie üblich ein Thema gesucht, von dem ich das Gefühl habe, dass es in nächster Zeit stärker diskutiert werden wird. Dass ich mich da nicht ganz getäuscht habe, zeigt unter anderem der Umstand, dass die USA vergangenes Jahr einen Millionenetat freigegeben haben, um Geoengineering genauer zu erforschen. Ich finde es spannend, mich mit den gesellschaftlichen, ethischen Fragen auseinanderzusetzen, den Konflikten, die das Thema aufwirft. Aber bisher gibt es auf dem Feld, abgesehen von ein paar kleinen Experimenten, nur Theorie. Ich kann nicht vor etwas warnen, über das wir zu wenig wissen.

STANDARD: Dennoch wird Geoengineering bereits kontrovers diskutiert.

Elsberg: Ich denke aber, man sollte die Technik weiter beforschen. Einerseits läuft uns die Zeit davon. Für uns Mitteleuropäer ist Klimawandelanpassung bis zu einem gewissen Grad eine Option. Für viele andere Regionen nicht. Es würde mich daher nicht wundern, wenn die Initiative für Techniken wie Solar Radiation Management vom Globalen Süden ausgeht. Das ist auch die Geschichte, die Celsius erzählt. Forschung ist auch wichtig, damit wir wissen, womit wir zu rechnen haben, falls irgendjemand mal Geoengineering einsetzt.

STANDARD: Kritische Stimmen fordern deshalb, lieber Vollgas in Richtung Emissionsminderung zu gehen.

Elsberg: Natürlich. Aber zumindest in Österreich kündigte der Bundeskanzler persönlich ja gerade nur buchstäblich Vollgas in die andere Richtung an, Stichwort Verbrennungsmotoren. Warum bekommt man in einem halben Jahr ein Flüssiggasterminal an die deutsche Küste gestellt, aber keine Windräder, Solaranlagen, Energiespeicher und Wasserstoffanlagen? Es fehlt der politische Wille, und die verantwortliche Industrie hat jahrzehntelang sabotiert. Das 1,5-Grad-Ziel ist deshalb tot und das Zwei-Grad-Ziel in Wirklichkeit auch, das traut sich nur noch niemand zu sagen.

STANDARD: Wäre es ein realistisches Szenario, dass einzelne Länder das Weltklima beeinflussen, so wie im Buch beschrieben?

Elsberg: Es kommt drauf an, wie. Im Buch beginnt China mit ein paar Dutzend Drohnen – eine Zahl, deren Produktion man gerade noch geheim halten kann. Um einen wirklichen Effekt zu erreichen, also die Erderwärmung nachhaltig zu bremsen oder zu stoppen, müsste man dutzende oder hunderte Maschinen haben, die permanent fliegen. Das kriegt kein Staat unbemerkt hin. Es ist aber auch nicht undenkbar, dass eine Allianz aus Staaten des Globalen Südens sich zusammenschließt – so wie im Buch. Die wirken zunächst wie ein bunter Haufen, aber eigentlich institutionalisiert sich nur die Allianz gegen den Globalen Norden, die wir jetzt schon sehen, etwa wenn es um Sanktionen gegen Russland geht.

Mit sogenanntem Solar Radiation Management wird die Strahlungsenergie, welche die Sonne auf die Erde wirft, vermindert – etwa indem künstliche Wolken erzeugt werden.
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STANDARD: Angeblich haben sich viele nach der Lektüre von "Blackout" aus Sorge mit Gaskochern und Stromaggregaten eingedeckt. Was kaufen sich die Leserinnen und Leser nach dem Lesen von "Celsius"?

Elsberg: Hoffentlich nichts! Im Gegenteil, hoffentlich verzichten sie mal auf ein paar Sachen! (lacht) Nein, im Ernst: Ich habe ein Problem damit, die Klimakrise uns Einzelnen umzuhängen. Das ist auch das Problem der Klimaaktivistinnen und -aktivisten bei uns, die sich auf die Straße kleben und damit die Leute, die sie eigentlich als Unterstützerinnen bräuchten, gegen sich aufbringen, anstatt die eigentlich Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die gefährlichsten Männer der Welt stehen auf keiner CIA-Fahndungsliste, sondern sitzen in Riad, Moskau und bei den Ölkonzernen.

STANDARD: Sollte die Klimabewegung offener gegenüber Technologie werden – also Atomkraft, Gentechnik und vielleicht auch Geoengineering, so wie Sie es im Buch beschreiben?

Elsberg: Die Umweltbewegung hatte schon immer ein Problem mit Technologien, häufig aus irgendwelchen emotionalen Gründen. Ich glaube, es würde ihnen helfen, wenn sie ein bisschen offener werden – und ehrlicher. Denn ohne neue Technologien wird es nicht gehen. Ob das die sind, die ich in meinem Buch beschreibe, sei dahingestellt. Aber der theoretische Vorteil ist, dass Geoengineering vergleichsweise schnell entwickelt und gar nicht so teuer ist – mit allen Downsides natürlich. Das wird es für manche so verlockend machen, nach dem Motto: Einem Schwerkranken oder -verletzten muss ich auch erst einmal Erste Hilfe leisten, Medikamente gegen hohes Fieber etwa oder eine Herzmassage. Erst danach kann ich das Grundproblem bekämpfen. (Philip Pramer, 14.3.2023)