Das Arschgeweih, bei den Millennials vielfach als Geschmacksentgleisung verpönt, ist zurück, allerdings neu interpretiert.

Foto: Getty Images/desperado Copyrightnotiz: Tom De Bruyne

Cybertribal, Neotribal oder Gothtribal. Unter diesen Hashtags findet man auf der Social-Media-Plattform Instagram mittlerweile Tausende von Postings, viele davon haben Tattoostudios selbst ins Netz gestellt. Auf dem Instagram-Account von Tattoo-Artist Gian Luca Matera alias "grafsantz" sieht man Tribals, so weit das Auge reicht. Auch auf das Steißbein lassen sich seine Kundinnen und Kunden die markanten Motive stechen.

Umgangssprachlich als Arschgeweih verschrien, schlagen heute viele Millennials bei diesem Anblick die Hände über dem Kopf zusammen. Eine Geschmacksentgleisung – für alle, außer die Gen Z. Die Jüngeren erfreuen sich nämlich immer mehr an der Ästhetik dieser Motive. Allerdings handelt es sich dabei um eine Neuinterpretation der spitzzackigen Ornamente aus den 1990er-Jahren. Die Tattoos, die sich vor allem die junge Generation unter die Haut stechen lässt, sind dynamischer und filigraner. Kommt jetzt auch das Arschgeweih zurück?

Motive mit Geschichte

Ende der Neunziger- und Anfang der Nullerjahre erfreuten sich Tribals großer Popularität. Die verschlungenen Muster zierten Oberarme, in einigen Fällen sogar das Steißbein. "Ursprünglich waren Tribals ein Zeichen der Stammeszugehörigkeit und konnten unter anderem Aufschluss über die Rangordnung einer Gruppe geben", erklärt Tattoo-Artist Stefan Andronache, bekannt unter dem Künstlernamen "i.m.dynamite", vom Wiener Tattoostudio "Dots and Daggers".

Besonders bei den Maori, den indigenen Völkern Neuseelands, spielen die geometrischen Ornamente eine wichtige Rolle und geben Informationen über den Stammesverband und die eigene Kultur preis. "Als Urvater der modernen Tribals, so wie wir sie heute kennen, gilt der amerikanische Tattoo-Artist Leo Zulueta. Er prägte den typischen Triballook der 90er-Jahre", so Tätowierer Stefan Andronache. Diese Tattoos besitzen nur noch eine individuelle Bedeutung und dienen in erster Linie ästhetischen Zwecken.

Neue Tribals

Aber was macht die Tattoos so attraktiv für die Generation Z? Diese Frage stellen sich mit Sicherheit viele, denen ein Tribal nicht unter die Haut geht. "In den letzten Jahren ist es tatsächlich zu einer größeren Nachfrage von Tribaltattoos in unserem Studio gekommen", weiß Stefan Andronache zu berichten. Das liegt vor allem an der modischen Wiederentdeckung der Nullerjahre und an der filigraneren Ausführung der Sujets. Der Tätowierer findet es spannend, die traditionellen Formen neu zu interpretieren: "Bei den Tribals geht es darum, dem Flow und den Bewegungen des Körpers zu folgen, deswegen stellen sie für mich eine wichtige Disziplin dar."

Ist das Tattoo einmal gestochen, kann es innerhalb weniger Sekunden über Social Media mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Auch das Instagram-Profil des Tätowierers "grafsantz" hat die 30.000-Marke an Followern längst gesprengt. Neben klassischen Steißbeintattoos und sogenannten Chest-Pieces lässt sich auf dem Account ein neuer Trend erkennen: Mindestens genauso häufig sind die Motive unter dem Bauchnabel platziert.

Tattoo-Artist Stefan Andronache bestätigt diese Entwicklung: "Momentan sind symmetrische Tribals gefragt, eine beliebte Stelle dafür ist der Bauch." Es handelt sich sozusagen um das verkehrte Arschgeweih und die zyklische Wiederkehr einer Modeerscheinung – diesmal mit einem kleinen Twist. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Baba, Arschgeweih

Wer mit seiner Tattoo-Entscheidung im Nachhinein hadert, kann zumindest ein bisschen Schadensbegrenzung betreiben. "Wenn jemand mit einem Arschgeweih zu mir kommt, dann eigentlich für ein Cover-up", berichtet die Tätowiererin Tina Mandarina vom "SyndiCat Tattoo Studio" in Wien. Hier wird das bestehende Motiv mit einem neuen Sujet überstochen. Ansonsten besteht die Möglichkeit, das Tattoo lasern zu lassen. Auch ein unerwünschtes Bauchgeweih lässt sich so entfernen. (Elena Sterlini, 19.3.2023)