Die hohe Politik wollte Ex-Fußballstar Gary Lineker nach dessen Kritik in sozialen Medien nicht mehr im TV sehen. Ein Fan des Klubs Manchester City drehte den Spieß um: Er will Lineker in der hohen Politik sehen.

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Sätze wie der folgende müssen zu den bizarreren Ansagen in einer Moderatorinnenkarriere zählen. "BBC News hat versucht, von der BBC ein Interview zu erhalten", verkündete BBC-News-Moderatorin Annita McVeigh am Samstag – leider habe die BBC aber vorerst abgelehnt. Die britische öffentlich-rechtliche Anstalt hatte Grund zur Zurückhaltung: Sie stand im Zentrum einer Kontroverse, die viele Reizthemen auf der Insel verbindet: Fußball, Migration, die hohe Politik und Korruption – und die Unabhängigkeit der Fernsehinformation.

"Surreale Tage" sah auch der Mann im Zentrum der Kontroverse, Fußball-Legende Gary Lineker, am Montag in einem Tweet. Der einstige Stürmer hatte da gerade so etwas wie einen Sieg davongetragen: Er darf wieder als Moderator im Sport-TV auftreten, aber trotzdem in sozialen Medien seine Meinung vertreten. Dass das eine Zeitlang infrage gestanden war, liegt an den strengen Unparteilichkeitsregen für Angestellte der BBC. Lineker hatte in einem Tweet die neuen, harten Migrationsgesetze der Regierung kritisiert und den Diskurs der Konservativen mit jenem "im Deutschland der 1930er-Jahre" verglichen.

Kein Kommentar

Die BBC-Führung sah die Überparteilichkeit verletzt und nahm Lineker – nach heftigen Protesten der Tories – vom Schirm. Nun musste sie aber selbst klein beigeben. Der Druck von anderer Seite war zu groß: Linekers Sport-TV-Kollegen hatten gestreikt, in der Sendung Match of the Day wurde am Samstag kommentarlos ausgestrahlt.

Dass die BBC diesem Druck nun nachgibt, ist alles anderes als alltäglich. Der dort gepflegte Journalismus stand lange als "zu links" in der Kritik der Konservativen und der Krawallpresse des Inselstaats. Das mit großer Mehrheit regierende Kabinett von Ex-Premier Boris Johnson übte daraufhin unter anderem mit der Drohung Druck aus, man werde über Gesetzesänderungen die künftige Finanzierung des Senders einschränken.

Zudem stiegen in den vergangenen Jahren gleich mehrere Persönlichkeiten im Sender auf, die den Konservativen nahestehen. Tim Davie, Programmdirektor seit September 2020, war in den 1990er-Jahren für die Partei bei Regionalwahlen angetreten. Richard Sharp, BBC-Vorsitzender seit Februar 2021, ist Großspender der Konservativen Partei und war bei der Bank Goldman Sachs Chef des damals ebenfalls dort tätigen Rishi Sunak – des nunmehrigen britischen Premiers.

Weitere Diskussionen

Zudem soll er Johnson während dessen Zeit als Premier dabei geholfen haben, einen Bankkredit in der Höhe von 800.000 Pfund zu erhalten. Gelten für sie auch Überparteilichkeitsregeln? Über diese Frage wird in der BBC seit der Causa Lineker wieder heftiger diskutiert – und zunehmend auch in öffentlichen Stellungnahmen der Bediensteten.

Dass das alles nun aber wieder in der Öffentlichkeit ankommt, hat vor allem mit Lineker zu tun – und über diesen Umweg mit den Verschärfungen des Asylrechts, die die britische Regierung durchsetzen will. Innenministerin Suella Braverman brachte vergangene Woche im Unterhaus ein Gesetz ein, mit dem das Stellen neuer Asylanträge in Großbritannien in den allermeisten Fällen verunmöglicht wird. Sie will das stoppen, was sie im vergangenen Jahr als "Invasion" über den Ärmelkanal bezeichnet hatte – die Ankünfte von Migranten, die in kleinen Booten von Frankreich aus auf die Insel aufbrechen. Sie sollen, so das Vorhaben, künftig zunächst in Sammelunterkünften interniert und dann an Partnerstaaten im Ausland abgeschoben werden. Ein Vertrag dazu existiert derzeit mit der ostafrikanischen Diktatur Ruanda. Erst dort sollen sie einen Asylantrag stellen dürfen – der zum Verbleib in Ruanda berechtigen würde.

Ungeprüfte Abschiebung

Andere Versuche der Pauschal-abschiebung nach Ruanda sind in der Vergangenheit am Veto des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gescheitert, dem Großbritannien seit 1998 angehört. Dieser argumentiert, wenn Großbritannien nicht prüfe, ob Abgeschobenen im Zielland Folter oder Verfolgung drohe, verstoße es gegen seine Verpflichtungen. Die Regierung bringt daher einen Austritt aus dem EGMR ins Spiel. Ein ähnlicher Vorschlag von ÖVP-Politikern hatte im vergangenen Oktober in Österreich für Aufregung gesorgt.

Ob das Vorhaben nun gelingt oder nicht: Die Konservativen legen den Fokus auf das Thema Migration. Das hat auch damit zu tun, dass die zuletzt schwer ins Schlingern geratene Regierungspartei, die in Umfragen rund 20 Punkte zurückliegt, darin ein stimmenträchtiges Thema sieht – eigentlich. Die Runde gegen Lineker hat sie dennoch verloren. Der twitterte am Montag, er sehe das Vereinigte Königreich "weiter als großteils tolerantes, gastfreundliches und großzügiges" Land. Ob er recht behält, werden kommende Umfragen und Wahlen zeigen. (Manuel Escher, 13.3.2023)