Auersthal, Bezirk Gänserndorf, eine Gegend "wie früher", ist man versucht zu schreiben, bei der Anfahrt sieht man nickende Ölpumpen, Straßendörfer mit pittoresk vor sich hin bröckelnden hübschen Jahrhundertwendehäuschen entlang der Straße, ab und zu scharrt ein Huhn am Wegesrand, viele Rehe stehen auf den Feldern. Dazwischen aber ganz heutig: das Land der Windradwälder, von Gewerbepark und OMV-Wartungszentrum, ein Shoppingzentrum, die Amazon-Halle, "Wir stellen ein", verkündet Lidl auf einer Fahne.

Dann wieder: sanfte Weinhügel, "Ausg'steckt is"-Schilder, Werbung für preisgekrönte Weine. Die Gegend ist flach, hier ist viel Platz für Wetter obendrüber, der Himmel leuchtet spektakulär, auch bei schlechter Witterung. Häuser auf Willhaben "mit Potenzial" oder "mit sehr viel Potenzial", auch nicht viel billiger als anderswo, das liegt am Baugrund in Wien-Nähe.

Lisa Hofer lebt mit ihren drei Alpakaweibchen Gretl, Lori und Luni im beschaulichen Örtchen Auersthal.
Reiner Riedler

Einmal noch nach links abbiegen, da ist es dann, am Ende des Feldwegs, das Königinnenreich von Lisa Hofer. Sie hat sich hier ihren Traum erfüllt – den vom "Tiny House" und drei Alpakas. Mit 17 ging sie von Auersthal nach Wolkersdorf, mit 20 ein halbes Jahr nach Indien, danach war Wolkersdorf zu klein, es ging für 15 Jahre nach Wien. Lisa Hofer ist in ihrem Leben viel gereist – vor den Alpakas und der eigenen Firma – nach Marokko, Tansania, Südostasien.

Jetzt ist wieder zu Hause angekommen: Über fünf Jahre sparte Hofer auf das Abenteuer. Auf Ebay fand er sich, der Zirkuswagen, "Schaustellerwagen" ist der offizielle Begriff, jahrzehntelang war er auf Kirtagen und Jahrmärkten unterwegs. 17.000 Euro legte sie dafür hin, per Tieflader wurde er aus München hertransportiert, nun steht er auf dem Grundstück vom Großonkel. Hinter der abgehängten Decke des Wagens verbargen sich noch ein paar Überraschungen, alles musste neu gemacht werden, auch ein neuer Boden musste verlegt werden.

35 Quadratmeter hat er, die beiden tiefen Erker können raus- und wieder reingeschoben werden. Das Schlafzimmer liegt ganz hinten – mit Blick auf Alpakistan, das Wohnzimmer hat Blick auf die Hängematten in den Obstbäumen. Geheizt wird im Winter mit einem kleinen Holzofen. Theoretisch könnte man den Wagen an einen Traktor hängen und jederzeit damit losfahren.

Einen Schaustellerwagen hat Hofer zum Tiny House umfunktioniert. Auf 35 Quadratmetern macht sie es sich gemütlich.
Reiner Riedler

Alpakas in Aktion

Dagegen war die Erfüllung des Traums von drei Alpakas preislich fast eine Okkasion: 3.500 kostet ein Weibchen, für drei gab es Mengenrabatt. Sie sind unglaublich herzig, die wuscheligen Damen mit ihren interessant verwehten Frisuren an Kopf und Bein und den seidig-glänzenden frech schiefgelegten Ohren. Gretl mit dem feschen Vokuhila ganz in Weiß ist die Diva der dreien, das beweist sie auch beim Zehennägelschneiden (zwei Zehen, zwei Nägel, so ist das bei Alpakas). Lori mit ihrer wilden schwarzen Pudelfrisur ist das "Polizei-Alpaka", sagt Hofer – in jeder Alpaka-Herde findet sich ein Alpaka, das aufpasst. Alpakas haben auch einen Warnschrei, er klingt ein bisschen nach Vogelgekrächz (es gibt Youtube-Videos davon). Hier in Auersthal jedenfalls gibt’s für Warnschreie keine Notwendigkeit. Luni, die Braungelockte, ist lieb und neugierig, frech und immer die Erste am Zaun, sie spielt gern Fußball.

Alpakas sind sehr entzückend und manchmal nur mittelklug, nach dem letzten Besuch beim Alpaka-Friseur erkannten sie sich gegenseitig nicht gleich wieder. Die Frisur gibt’s ebenfalls bei Züchter Erwin, er hat auch Pferde und Lamas und Hasen, "der ist auch so ein Freak wie ich", sagt Hofer. Einige Tausend Alpakas gibt es inzwischen schätzungsweise in Österreich, die domestizierte Kamelart kommt ursprünglich aus den Anden in Peru, wo sie wegen ihrer Wolle gezüchtet wird. Wertvoll ist auch Alpaka-Kot: quasi Biodünger mit wenig Geruch, dafür einem hohen Anteil an Stickstoff, Phosphat und Kalium. Noch kann Hofer damit nicht reich werden, aber immerhin Freundinnen und Freunde beglücken – Dünger-Testläufe beim Onkel liefen hervorragend (die Pflanzen wurden mit damit viel größer), er bastelt schon begeistert an einer neuen Trocknungsmethode.

Hofers Lieblingsbeschäftigung: ein Spaziergang mit den Alpakas. Sie gehen an der Leine und sind die beste Gesellschaft. "Sie sind meine Therapeutinnen", erzählt Hofer lachend. Sie bewegen sich immer zu dritt, sind tatsächlich eine kleine Herde, sie dürfen auch nicht alleine gehalten werden. 20 bis 25 Jahre werden sie alt. Aber Achtung: Wuschelig sind sie schon, die Alpakas, aber nicht kuschelig, sie sind nämlich Fluchttiere, gleichzeitig extrem neugierig, aber zu ihrem eigenen Schutz bei all der vielen Neugier auch sehr schreckhaft. Deshalb kommen sie auch als Therapietiere zum Einsatz – wer mit Alpakas zu tun haben will, muss Grenzen respektieren können. Sie reagieren auf Stress, das weiß auch Hofer, die Tiere lassen sich dann mehr Zeit, bis sie herkommen. Man muss zuerst selbst "runterkommen".

Alle mal herschauen: Gretl, Lori und Luni.
Reiner Riedler

Berserker-Syndrom

Gesunde Distanz zum Menschen braucht es von Beginn an: Die ersten zehn Monate sollen Baby-Alpakas nicht zu viel mit Menschen zu tun haben, sonst bekommen sie eine Fehlprägung, das "Berserker-Syndrom". Wenn Alpaka-Junge (oder auch Lamas) Menschen als Artgenossen wahrnehmen, kommt es später zur aggressivem Rivalitätsverhalten, das sogar eine Einschläferung notwendig machen kann. Nächstes Jahr ist jedenfalls Besuch vom Alpaka-Hengst geplant. Die Tiere gehören zu jener Spezies mit induzierter Ovulation. Das bedeutet, dass der Eisprung durch den Geschlechtsakt ausgelöst wird.

Die Alpakas bekommen regelmäßig Besuch von Kindern und auch Omas aus dem Ort, ein Schild warnt vor Fütterung. Alpakas brauchen nichts außer Gras und Wasser. Obst und Essensabfälle vertragen sie nicht. Ihr Magen ist dreiteilig, und zum Kauen gibt’s nur unten Zähne (die nachwachsen!) und oben eine praktische Kauplatte.

Anfangs war es still, nach 15 Jahren in der Großstadt, auch so ganz ohne Beisl – hier ist man im Land der Heurigen. Dafür wackelt, wenn die Waschmaschine schleudert, das ganze Haus, auch bei Sturm, und letztens klärte sich das Mysterium von Tack-Tack-Tack-Peng-Geräuschen auf dem Dach: Krähen kletterten darauf herum und ließen Nüsse fallen, um sie zu öffnen. Fasan Horst schaut auch gern vorbei, er hält sich selbst für eine Krähe. "Hast du keine Angst?", war seltsamerweise die häufigste Frage, die Hofer gestellt wurde, als sie von ihrem Entschluss erzählte, ihr Wunschidyll zu verwirklichen.

Nun hat sich Lisa Hofer jedenfalls ihr Königinnenreich der drei Alpakas errichtet und ist darin die Chefin – Alpakistan als "state of mind". Freundinnen und Freunde kommen gerne zu Besuch und fahren dann auch so schnell nicht wieder heim: Das Leben im Grünen mit Hängematte und Jacuzzi ist verführerisch, viel Platz für Zelte gibt es auch. Hier beginnt man zu überlegen, wovon man eigentlich träumt und wie man die Träume in die Tat umsetzt. Denn man sieht: Es ist möglich. (Julia Pühringer, 14.3.2023)