Die Rechtsextremismuszahlen von Innen- und Justizministerium divergieren – nun soll es Aufklärung geben.

Foto: APA/EVA MANHART

Wie groß ist in Österreich die Gefahr rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer und neonazistischer Straftaten? Dazu gibt es verschiedene Lesarten. Wie DER STANDARD berichtete, vermeldete das Justizministerium (BMJ) von Alma Zadić (Grüne) vor einer Woche für 2022 ein Rekordhoch bei den Verfahren nach dem NS-Verbotsgesetz, nämlich 2397. Das ist fast eineinhalbmal mehr als die 929 Anzeigen, die das Innenministerium (BMI) von Gerhard Karner (ÖVP) zählte.

Abgefragt werden die Zahlen seit 2017 von der SPÖ-Abgeordneten Sabine Schatz, während der Rechtsextremismusbericht weiter auf sich warten lässt. Die einstige Chefin des Extremismusreferats im Verfassungsschutz, Sibylle Geißler, vermutete "Probleme bei der Meldeschiene" der Polizei. Ein Sonderstaatsanwalt gab einen starken Anstieg rechtsextremer Fälle an. Nach dem STANDARD-Bericht über die Diskrepanz der Zahlen, die in dieser Größe von BMI und der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) nicht hinreichend erklärt werden konnte, soll Karner nun Stellung beziehen. Einerseits am Donnerstag im Innenausschuss des Parlaments, anderseits bringt Schatz nun Folgeanträge an beide Ministerien ein.

"Antifaschistische Pflicht"

Sie will wissen, ob die Ministerien ihre Zahlen abgleichen, wie viele der Fälle bei der Polizei oder anderswo gemeldet wurden und ob es "aufgrund der Medienberichterstattung einen Austausch" der Ministerien geben werde. Schatz: "Dieses Zahlenchaos ist ein klares Zeichen, dass wir uns die Verzögerung beim Rechtsextremismusbericht nicht mehr leisten können. Wir brauchen verlässliches Datenmaterial und einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, das ist die antifaschistische Pflicht der Republik."

Dass Fälle in der Statistik verloren gehen, negiert das BMI: Es gebe nämlich auch die Kriminalstatistik, wo Fälle nachgemeldet werden könnten. Ein Argument, das der frühere grüne Abgeordnete Karl Öllinger von der Plattform Stoppt die Rechten, die seit 2017 die gemeldeten Zahlen genau analysiert, nicht gelten lässt: "Wenn sich das BMI auf die Kriminalstatistik beruft, dann fragt sich, warum diese 2021 nur 1671 Fälle ausweist, während das BMJ 2361 Anfälle zählt. In welchem Loch des BMI sind die fehlenden 700 Fälle verschwunden? Erklärung liefert das BMI keine, nur den Verdacht, in puncto Rechtsextremismus im Blindflug unterwegs zu sein."

Benjamin Nägele, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde, meint, die Zahlen ließen zwar vermuten, "dass besonders im Austausch der Daten zwischen den Ministerien noch Handlungsbedarf" bestehe. Doch sei man überzeugt, "dass der verbesserte Austausch auch bei der Dokumentation und Verfolgung rechtsextremer Straftaten hilfreich sein wird".

Diplomatische Irritation

Nicht nur in Österreich sorgt die auffällige Schere zwischen Zahlen des BMI und BMJ für Aufmerksamkeit. Internationale Einschätzungen, etwa zur Situation der Menschenrechte, sind auf diese Zahlen angewiesen, und sie sind auch für diplomatische Beziehungen nicht unwichtig. Dem Vernehmen nach herrschte mancherorts schon 2021 zu den gemeldeten Fällen Verwunderung. (Colette M. Schmidt, 14.3.2023)