Freunderlwirtschaft, Intransparenz, Schnitzel-Populismus: Im Gemeinderatswahlkampf 2020 ließ der pinke Spitzenkandidat kein gutes Haar an der Wiener Stadtregierung mit roter Führung. Mittlerweile ist Christoph Wiederkehr Vizebürgermeister – seine Koalition mit der SPÖ steht kurz vor der Halbzeit. Und in der Zusammenarbeit mit den Roten mit eigenen Themen durchzukommen und positiv aufzufallen, ist kein leichtes Unterfangen.

Michael Ludwig suchte sich 2020 mitten in der Pandemie den pinken Christoph Wiederkehr aus.
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Denn die rote Übermacht, die sich auch in Gemeinderatsmandaten niederschlägt, ermöglicht den Pinken nur im abgesteckten Rahmen das Mitregieren. Von hundert Mitgliedern stellen die Neos acht, die SPÖ 46 Mandatarinnen und Mandatare. Und die SPÖ macht sich ihre Pläne für die Bundeshauptstadt am liebsten mit sich selbst aus.

Traditionell passiert das im Burgenland. Bei ihrer Klubtagung in Frauenkirchen legt die SPÖ Wien auch heuer wieder die Weichen für die kommenden Jahre – allein, ohne den kleinen Koalitionspartner. Am Dienstag startet die zweitägige Klausur, die nach den vergangenen zwei Jahren Corona-Pandemie wieder in Präsenz stattfinden soll. Dabei sind auch Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner sowie der Frauenkirchner Bürgermeister Hannes Schmid als Gäste.

Leuchttürme ohne Partner

Und wie für Klubklausuren der Bürgermeisterpartei üblich, wird auch heuer wieder die Präsentation von großen oder kleinen "roten Leuchtturmprojekten" erwartet.

Die Grüne Maria Vassilakou holte Michael Häupl 2010 als seine Vize in die Regierung.
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Ein Blick zurück: Da wurde 2014 bei der SPÖ-Klubtagung etwa der Bau der U5 vom damaligen Bürgermeister Michael Häupl angekündigt – ohne die grüne Planungsstadträtin und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou. Davor, nämlich 2005, präsentierte die SPÖ den Bau eines neuen Spitals: des Krankenhauses Nord; im Jahr 2009 war es der Gratiskindergarten.

Bei Bürgermeister Michael Ludwigs erster Klubklausur als SPÖ-Chef im Jahr 2018 wurde eine Mehrzweckhalle um bis zu 250 Millionen Euro in Neu Marx fixiert. 20.000 Personen soll die mittlerweile unter dem Titel einer Event-Arena firmierende Halle beherbergen können. Doch die geplante Fertigstellung 2026 dürfte sich verzögern, die Kosten dürften steigen.

Inhaltlich soll es heuer bei der Klubklausur um die Themen Arbeitsplätze, Klimaschutz sowie den Kampf gegen die Teuerung gehen. Allerdings steht das rote Treffen diesmal im Schatten von einem, der gar nicht dort sein wird: Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil ist nicht eingeladen. Dafür ist der parteiinterne Kontrahent von Rendi-Wagner am Mittwoch zum Bundespräsidium zitiert worden. Dort soll die Führungsdebatte, die nach dem Wahldebakel in Kärnten erneut hochgekocht war, ein für alle Mal geklärt werden. Und die Partei soll sich dann wieder auf ihre Inhalte konzentrieren können.

Der Erste war ÖVP-Mann Bernhard Görg, den Michael Häupl als Koalitionspartner auswählte.
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Das will auch die SPÖ Wien. Denn Ludwig hat nur noch rund zweieinhalb Jahre in der aktuellen Amtszeit, um in der Stadt seine Duftmarke zu hinterlassen. Die erste Hälfte seiner Periode war vor allem von der Bekämpfung der Pandemie geprägt. Jetzt ist es Zeit, dass die erste sozial-liberale Koalition auf Landesebene ihre eigenen Themen setzt. Doch das wird besonders für die Neos nicht ganz einfach.

Michael Ludwig übernahm die Koalition mit der Grünen Birgit Hebein.
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Aber nicht nur die Pinken tun sich schwer, in Wien gegen die SPÖ zu punkten. Auch ihre Vorgängerinnen und Vorgänger hatten es nicht immer leicht. Denn seit der Zweiten Republik regieren die Sozialdemokraten durchgehend. In der langen Zeit dieser Regentschaft färbten sich auch die Strukturen der Stadt rot und machten es für Eindringlinge aus anderen Parteien nicht wirklich einfach – und von diesen Juniorpartnern hatten die Roten in den vergangenen Jahren einige: Begonnen bei der ÖVP koalierten sie später mit den Grünen und heute mit den Neos. Ein Rückblick.

Manche SPÖ-Gemeinderäte hätten so getan, als habe sich nichts verändert, sagt Bernhard Görg.
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Bernhard Görg: "Konnten nicht wie Popeye rumhüpfen"

Zum ersten Mal war es im Jahr 1996 nötig: Die Wiener SPÖ musste auf Brautschau gehen. Michael Häupl hatte bei seiner ersten Gemeinderatswahl als roter Parteichef die absolute Mehrheit verloren und war gezwungen, eine Koalition zu schmieden. Die ÖVP ging das fünfjährige Wagnis ein. "Wir hatten durchaus Bammel, wie das wird", erinnert sich der damalige schwarze Parteichef. "Wir hatten noch nie in Wien regiert und keinen Zugriff auf die Beamtenschaft." Es sollte sich herausstellen: Ganz so wild wurde es nicht. Aber herausfordernd allemal.

Eine Koalition mit sehr ungleichem Kräfteverhältnis – die SPÖ stellte sieben Regierungsmitglieder, die ÖVP zwei – sei definitiv keine ideale Situation, sagt Görg. "Als kleiner Partner haben Sie einen besonders großen Ehrgeiz, dem anderen wehzutun." Um genau das zu erreichen, habe er auf dem Kulturressort beharrt, sagt Görg: "Die SPÖ hat sich seit jeher als Kulturpartei verstanden, auch im Bund." ÖVP-Politiker Peter Marboe wurde schließlich Kulturstadtrat, Görg Vizebürgermeister und Planungsstadtrat. Zu den Stichen bei der Ressortverteilung seien Wunden inhaltlicher Natur gekommen, erzählt er: Zum Beispiel die Privatisierung der Bank Austria im Jahr 1997, an der die Stadt Wien Anteile gehalten hatte. "Ich habe darauf bestanden, dass man irgendwo die ÖVP-Handschrift sehen muss."

Die Einsicht, dass im Wiener Rathaus auch eine andere Partei als die SPÖ mitrede, habe in gewissen Fraktionen des roten Apparats erst sickern müssen, sagt Görg: "Weniger an der Parteispitze. Aber der Mittelbau, also die Gemeinderäte, haben gerne so getan, als habe sich nichts verändert."

Dennoch habe sich relativ rasch ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP entwickelt. Maßgeblich für das Funktionieren der Koalition sei die Persönlichkeitsstruktur der handelnden Personen gewesen – allen voran von Michael Häupl. "Er ist zwar nach außen ein exzellenter Machtmensch-Darsteller. Aber eigentlich konsensorientiert und harmoniebedürftig", sagt Görg. Wie sich das praktisch geäußert habe? "Manchmal hat uns Häupl signalisiert, dass er gerade auf etwas spielen muss." Das habe auch ohne Worte funktioniert, so heiß gegessen wie gekocht sei dann nicht worden. Görgs Wahrnehmung nach verhält sich das bei Michael Ludwig nun anders: "Aus der Entfernung erscheint er mir machtbewusster als Häupl."

SPÖ wittert Schwächen

Aus der Zeit in der Koalition mit der SPÖ hat Görg ein wichtiges Grundprinzip für kleine Juniorpartner mitgenommen: "Man muss mehr durchzusetzen, als es dem Kräfteverhältnis in der Koalition entspricht." Das sei nach außen, aber noch mehr nach innen, für die eigenen Funktionärinnen und Funktionäre wichtig – und letztlich auch für die handelnden Personen in der Regierung: "Sonst ist man weder für die eigenen Leute noch für sich selbst spürbar." Dabei balanciere man freilich auf einem schmalen Grat: "Die Öffentlichkeit tut gerne so, als müsse man als kleiner Partner alles durchsetzen. Aber das geht nicht: Natürlich konnten wir vor der SPÖ nicht wie Popeye herumhüpfen."

Einer Partei wie der Wiener Sozialdemokratie gelte es stets zu signalisieren, dass man es "extrem ernst" meine, sagt Görg. "In dem Moment, wo Sie der SPÖ das Gefühl geben, Sie brennen nicht ganz so sehr für etwas oder Sie pokern, um etwas anderes durchzusetzen, haben Sie verloren."

Und wie reagierten letztlich die Beamten? "Wir hatten die Sorge, dass sie alles der SPÖ weitergeben würden und versuchen würden, rote Politik zu betreiben." Das sei letztlich nicht das Problem gewesen, sagt Görg, sondern: "Es kam schlimmer. Die wollten ihre eigene Politik machen."

"Politisches Gespür" sei es, so Peter Kraus, zu wissen, wie aufmüpfig man sein soll.
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Peter Kraus: "Die SPÖ ist kompromisslos, wenn sie was umsetzen will"

Maria Vassilakou will nicht. Sie hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, gibt keine Interviews. Als erste grüne Vizebürgermeisterin der Stadt, als Frau mit Migrationshintergrund, hatte sie es in der Wiener Stadtpolitik der 2010er-Jahre nicht leicht. Entladen hat sich das auch bei dem Prestigeprojekt der Grünen: der Umgestaltung der Mariahilfer Straße.

"Am Ende ist die Frage: Worin manifestiert sich die Regierungsbeteiligung?", sagt der grüne Parteichef Peter Kraus. Er war mit dem Einzug der Grünen in die Koalition 2010 Vassilakous Büroleiter. Die Grünen in der Stadtregierung werden vor allem mit zwei Themen verbunden: Verkehrsberuhigung und 365-Euro-Ticket. "Es ist wichtig, dass sich die Juniorpartner darauf besinnen und nicht in einer Themenbreite von A bis Z verlieren." Und wie macht man sich als Kleiner sichtbar? Die Jahreskarte als grünes Thema positionierte die Partei bereits im Wahlkampf 2010 und pochte in den Koalitionsverhandlungen darauf.

Anders die Mariahilfer Straße: Im Koalitionsprogramm stand zwar ein Commitment zur Verkehrsberuhigung, aber nicht die Umsetzung einer Begegnungszone. Sie sei "sicher das schwierigste Projekt" für die Grünen gewesen. Sie wurde "auf öffentlicher Bühne verhandelt". Und mit vielen Akteuren. "Es gab niemanden, der keine Meinung dazu hatte. Dazu kamen die extremen persönlichen Anfeindungen."

Ein Problem laut Kraus: "Die SPÖ war eigentlich indifferent gegenüber dem Projekt." Der rot geführte sechste Bezirk wollte die Umgestaltung, Teile der Gewerkschaft waren dagegen, und "ein Gemeinderat-Vorsitzender, der Anrainer war und es nicht wollte". Einfacher wäre es gewesen, wären Grüne und SPÖ einander gegenübergestanden, findet Kraus heute. "Mit zwei unterschiedlichen Positionen kann man umgehen. Wenn die Grünen etwas wollen und die SPÖ hat 17 verschiedene Meinungen dazu, macht es das extrem schwierig."

Und wie setzt man Herzensprojekte als kleiner Koalitionspartner dann um? "Indem man Schritt für Schritt die Hindernisse bearbeitet. Aber wir bekamen schon sehr viele Steine von der SPÖ in den Weg gelegt." Und im Nachhinein? "Ich glaube, dass das alles Verzögerungstaktik war."

Unterschiedliche Systeme

Mit Rot-Grün seien "natürlich zwei unterschiedliche Systeme aufeinandergetroffen". Man habe sich erst einmal vortasten und herausfinden müssen: Was geht für den anderen? "Ich glaube, dass wir in der Regierungszeit, vor allem in den ersten Jahren, sehr transparent miteinander waren", sagt Kraus. Auch damit, wofür der Juniorpartner einfach etwas mehr Zeit brauchte, um Themen innerhalb der Grünen zu diskutieren. Stichwort: Heumarkt.

Denn da war es die SPÖ, die eine Umgestaltung vorangetrieben hatte – inklusive eines rund 70 Meter hohen Turms. Der Juniorpartner war gespalten. Die City-Grünen und eine grüne Urabstimmung waren dagegen. Am Ende mussten die Gemeinderäte dem SPÖ-Wunsch nachgeben. "Natürlich gibt es Punkte, da ist die SPÖ kompromisslos, wenn sie etwas umsetzen will." Aber wie geht man damit um? "Das große Problem in der Heumarkt-Situation waren die falschen Zeitpunkte." Denn die Abstimmung der Grünen kam zu einem Zeitpunkt, da war das Projekt schon zu weit.

"Ungemein schwieriger" sei es gewesen, sich in anderen Ressorts einzubringen. "Aber auch wenn man nur ein Abgeordneter ist, man ist trotzdem Mehrheitsbeschaffer", sagt Parteichef Kraus. Wo und wie oft man diese Karte spiele, sei eine Frage des "politischen Gespürs". Als Juniorpartner nur auf Konflikt zu setzen würde zu nichts führen.

Christoph Wiederkehr sieht die Koalition wie eine Beziehung.
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Christoph Wiederkehr: "Es hat ein Umdenken von der SPÖ gebraucht"

Mitten in der Corona-Krise im Oktober 2020 entschied sich der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig für eine Neuerung. Nicht mit den Grünen, nein, mit den Neos wollte er die nächste Koalition eingehen. Und: Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr wird Bildungsstadtrat.

Das Wunschressort der Neos ist allerdings kein leichtes. Im Gegensatz zu den sichtbaren Projekten des Planungsressorts geschieht viel im Verborgenen, Erfolge sind schwer zu verkaufen. Da zu punkten ist nicht einfach. Das war Wiederkehr von Beginn an klar. "Es sind nicht die einfachsten Themen – mitten in einer großen Krise, in der das Bildungssystem extrem betroffen war." Klar ist ihm auch: "Die richtig großen Reformen, die ich ideologisch haben will, die gehen auf Wiener Ebene nicht. Sondern sind oft Bundesmaterie."

Dazu kam das zweite Problemressort für die Neos: Integration und damit die MA 35, die Einwanderungsbehörde. "Viele haben gesagt: Mach’s lieber nicht", sagt Wiederkehr. Doch er hat’s gemacht. Er habe Themen ausgesucht, "wo ich was verändern kann". Kurz vor der Halbzeit sehe er, dass Veränderungsprozesse angestoßen wurden, die jetzt langsam zu wirken beginnen.

In beiden Bereichen hat der Pinke einen roten Verwaltungsapparat als Gegenüber. "Für mich war es eine ganz bewusste Entscheidung, nicht großflächig umzufärben. Ich halte wenig von dieser österreichischen Unart." Lediglich sein Kernteam wollte er neu besetzen. Darum entschied Wiederkehr, als er die Möglichkeit hatte, den roten Bildungsdirektor auszutauschen, es nicht zu tun. Aus der Opposition kommend, sei das anfangs nicht einfach gewesen. Aber: "Ich sehe sehr große Loyalität der Spitzenbeamten zur Stadt und auch zu mir – obwohl viele ein SPÖ-Parteibuch haben."

Doch wie viel bringt man als Juniorpartner durch? "Es wäre naiv, zu glauben, dass man in Wien gegen die SPÖ regieren kann", sagt Wiederkehr. Dementsprechend seien auch die Ziele, die sich der Stadtvize vornehme: "Ich brauche im Gemeinderat die Stimmen der SPÖ. Das heißt, die großen Projekte muss ich so aufsetzen, dass die SPÖ auch dafür sein kann." Sonst wird es schwierig mit Mehrheiten. Aber: "Umgekehrt kann auch die SPÖ keine Projekte ohne uns machen. In einer Koalition ist es wie in einer gemeinsamen Partnerschaft, da kann man nicht voneinander komplett unabhängig agieren." Stattdessen müsse man Gemeinsamkeiten suchen. "Das Beste von beiden Welten, wie es die Bundesregierung macht, funktioniert nicht, weil man dann nur nebeneinander existiert."

Gemeinsam unabhängig

Überraschend sei für ihn, wie unabhängig die Stadträte in ihren Verantwortungsbereichen sind. Ob das ein Vorteil oder Nachteil ist? "Wir sind nicht nur ein Ressortstadtrat, sondern wir sind Koalitionspartner – und wollen in allen Bereichen gleichberechtigt sein", sagt Wiederkehr. Das sei nicht immer konfliktfrei, da die Neos auch in anderen Ressorts "stark mitreden" wollen; beim Klimawandel, der Wirtschaft und beim Verkehr zum Beispiel. "Und da müssen wir auch dafür kämpfen, hartnäckig sein. Es hat auch ein Umdenken von der SPÖ gebraucht."

Dass die SPÖ bei ihrer Klubklausur Themen im Alleingang setzt, ist für Wiederkehr okay. "Wir sind zwei unterschiedliche Parteien, die auch einen eigenen Willen haben", sagt er. Auch die Neos würden das tun. Etwa bei ihrer Mitgliederversammlung, als sie eine Verkehrsberuhigung am Ring beschlossen haben. Dann muss man sich das in der Koalition eben ausschnapsen, wenn es nicht im Regierungsübereinkommen ist. Aber: "Auch die SPÖ versucht manchmal, Tatsachen zu schaffen und dann zu verhandeln." (Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 14.3.2023)