Beim großen SUV des Hauses, beim Stilfser Joch, setzt Alfa auf Kernkompetenz, nämlich Fahrdynamik.
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Von Alfa Romeo hört man ja nicht aller Tage, wie auch bei den anderen Premiummarken des Stellantis Konzerns, halten sich die Verkaufszahlen eher in Grenzen. Selbst im heimischen Italien war 2022 der Stelvio ihr Bestseller – mit kaum 9000 Stück, hinter 45 anderen Modellen. Bei der Kundschaft ist der Premiumhersteller allerdings sehr beliebt und als 112-jähriges Unternehmen hat sich Alfa in die Herzen vieler treuer Enthusiasten bahnen können. Die Simplifizierung der Produktpalette, die über die letzten Jahre stattgefunden hat, und ein, bei Alfisten sicher ungern gesehener, Fokus auf SUV-Modelle könnten helfen, diese Kundenzufriedenheit auch an einen breiteren Teil der Gesellschaft zu bringen.

Und für jene SUV-Feinde gibt’s ja noch die Giulia, in ihren sechs Varianten. Für die Andersgesinnten den Stelvio, mit den gleichen sechs. Für beide Fahrzeuge stehen vier Motoren zur Verfügung, zwei Diesel mit 2,2 Litern in vier Zylindern, die je 160 und 210 PS Leistung liefern und zwei Benziner: ein Zweiliter Vierzylinder mit 280 PS und exklusiv im Quadrifoglio, den anderen in Preis und Leistung weit voraus, ein 510 PS 2.9 Liter V6.

Beide beginnen mit der Ausführung Super, die Giulia mit 46.900 Euro und der Stelvio bei 54.700 Euro, genau 7800 mehr, ein Trend der sich auch bei den nächsthöheren Optionen Sprint, Ti und Veloce fortsetzt. Beim Top-Trim für Normalsterbliche, dem Competizione sind wir schon bei 65.100 und 73.700, ein Unterschied von 8600 Euro und ein böses Omen für den Ulti-Alfa. Der Preis verdoppelt sich und der Stelvio Quadrifoglio ist mit 140.650 seiner gleichmotorisierten Schwester um 25.950 Euro voraus, fast ein ganzes Auto, wenn auch kein Alfa.

Alfa Romeo Giulia. Zum Zungenschnalzen schön.
Für viele eine der attraktivsten Limousinen der Welt.
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Neue Boni

Das wär‘ das Line-Up, und was gibt’s Neues? Scheinwerfer, zum Beispiel, alle Giulia und Stelvio kommen ab sofort mit Matrix-LEDs als Standardaustattung. Momentan der Goldstandard, was Frontal-Illumination angeht, Matrix-LEDs können ihren Lichtkegel anpassen und somit in Kurven hineinleuchten oder entgegenkommende Fahrzeuge von grellem Abblendlicht verschonen.

Sonst gab‘s äußerlich auch kaum was zu ändern, schauen ja beide schon recht gut aus, wobei die Giulia hier ohne Frage besser dran ist. Natürlich alles Geschmackssache, aber das Heck ist ihnen hier definitiv besser gelungen.

Im Inneren nahm Alfa das Armaturenbrett ins Visier oder besser gesagt ins Fernrohr, "cannocchiale" wie es die Italiener nennen. Warum es nicht "binocolo" heißt, versteh‘ ich zwar nicht, aber nichtsdestotrotz wurde es nun voll digitalisiert und sieht, trotz versenkter Bauweise, hervorragend aus. Auch ohne OLED-Panel, gibt es dank des fernglasförmigen Sonnenschutzes genügend Kontrast und das Display ist hochauflösend genug, dass es kein Downgrade gegenüber einer analogen Anzeige darstellt.

Das Cockpit ist aufgeräumt, der Schritt zur Digitalisierung vollzogen.
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Die Smartphone App kann jetzt auch mehr und verriegelt auf Wunsch die Türen, oder checkt wie’s so mit Reifendruck und Reichweite aussieht. Wer das für unnötige Lappalien hält, wird auch über das beim Kauf inkludierte NFT vermutlich kaum begeistert sein. Eine gewisse Skepsis ist bei solchen Gimmicks sicher angebracht, besonders wenn das Blockchain-Buzzword fällt, aber Alfa Romeo hat mich hier wirklich positiv überrascht, und den vermutlich weltweit ersten sinnvollen Nutzen für NFTs gefunden. Die Idee ist, dass Servicetermine aufgezeichnet werden und so fälschungssicher eine regelmäßige Wartung nachgewiesen werden kann. Ob das im Endeffekt den Wiederverkaufswert steigert, wird sich zeigen, die Verwendung ist jedenfalls optional.

Wenige werden sich dadurch aber zum Kauf verleiten lassen, Alfa ist nun mal eine Kult-Marke und wodurch sie bis jetzt immer punkten konnten, war die Fahrdynamik. Die Autos fahren sich präzise und die Lenkung wirkt messerscharf, man fühlt sich als könnte man mit 130 durch ein Giulia-förmiges Loch fahren, ohne den Lack zu zerkratzen. Der Hersteller schwört auf eine fifty-fifty Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse und setzt den Fahrer genau in die Mitte. Den Bremsvorgang übernimmt ein Brake-by-Wire System, wodurch es keine mechanische Verbindung mehr zwischen Pedal und Rädern gibt. Die Technologie ist mittlerweile auch sehr ausgereift und emuliert mehr oder weniger eine reguläre hydraulische Bremse. Alfa Romeo hat sich entschieden, den Einsatz vom ABS zu kaschieren und dessen Vibration nicht an den Fahrer weiterzuleiten. Ob das ein Vorteil ist, stellt sich in Frage.

Als SUV toppt der Stelvio die Giulia natürlich im Kapitel Kofferraum.
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Alfas Futuro

Ihnen ist vielleicht aufgefallen, dass bis jetzt noch kein Wort über Elektromotoren oder Hybridantrieb gefallen ist, und Alfa ist sich dessen natürlich auch bewusst. Auch wenn die beiden obigen noch auf Benzin und Diesel angewiesen sind, haben die Torinesi die Mobilitätswende natürlich nicht verschlafen. Anstatt sich, wie Toyota z.B., die Sucht nach fossilem Treibstoff über Jahrzehnte lang abzugewöhnen geht Alfa die Sache etwas mehr "Cold Turkey" an. 2022 kam der Tonale optional als PHEV auf den Markt, fünf Jahre später, ab 2027, soll es keinen einzigen Verbrenner mehr aus dem Hause Alfa Romeo geben. Ein Speedrun, der bei einer Drei-Auto-Marke durchaus machbar ist. Wir wünschen viel Erfolg. (Felix Pisecker, 21.3.2023)