Hat die niederösterreichische ÖVP noch einen Funken Selbstachtung? Hat die Bundes-ÖVP noch Selbstachtung und einen klaren Kopf?

Kanzler Karl Nehammer und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP): Wie halten sie es mit der FPÖ?
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Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner lässt sich pausenlos von FPÖ-Chef Udo Landbauer vorführen und infrage stellen: "Wir wählen sie nicht, und wir machen mit der ÖVP in Niederösterreich nur eine Koalition, wenn sie unsere radikalen Forderungen erfüllt." Zum Beispiel die gesamte Corona-Politik nachträglich als "Wahnsinn" erklären. Landbauer glaubt offenbar, Mikl-Leitner wegmobben zu können (mithilfe einer Heckenschützenpartie in der VP Niederösterreich). Wenn sich die ÖVP (Land und Bund) auf so etwas einlässt, kann sie gleich einpacken.

Das gilt aber auch für eine größere strategische Entscheidung der Bundes-ÖVP – die aber geradezu dramatische Auswirkungen auf den demokratischen Status von Österreich haben kann.

Nach derzeitigem Stand treiben Bundes-ÖVP und Bundes-FPÖ trotz gegenseitiger Animositäten aufeinander zu. Wenn sich die Bundes-ÖVP abermals für eine Koalition mit der FPÖ entschließt, besteht die Gefahr eines Umbaus Österreichs in Richtung rechter bis rechtsextremer Pseudodemokratie.

Die Kickl-FPÖ hat derzeit in den Umfragen knapp über 30 Prozent. Das muss bei Wahlen nicht so bleiben, weil ein Teil des Zulaufs aus dem Reservoir der temporären Denkzettelverteiler kommt. Aber es zeigt sich seit Jahrzehnten, dass ein gutes Viertel der österreichischen Wähler kein Problem hat, eine äußerst rechte Partei wie die FPÖ zu wählen. Die Wahrscheinlichkeit für eine neuerliche schwarz-blaue oder gar blau-schwarze Koalition ist relativ groß. Schwarz-Grün wird sich kaum mehr ausgehen; Schwarz-Rot eher auch nicht. Blieben diverse Dreierkoalitionen, am ehesten mit Schwarz als "leading factor".

Rechts-rechtsextreme Koalition

Die ÖVP nähert sich aber seit geraumer Zeit den Inhalten der FPÖ an. In Kombination aus einer FPÖ mit 25 bis 27 Prozent und einer etwa gleich starken oder knapp unterlegenen oder auch knapp überlegenen ÖVP kann dann eine rechts-rechtsextreme Koalition herauskommen, in der die FPÖ die treibende Kraft ist.

Im Jahr 1999 war diese Situation von den Voraussetzungen her schon einmal gegeben. Die FPÖ war damals mit 26,9 Prozent sogar ganz knapp zweitstärkste Partei, mit einem Vorsprung von 400 (!) Stimmen vor der ÖVP. Wolfgang Schüssel blieb aber in der dann geschlossenen schwarz-blauen Koalition aus verschiedenen Gründen dominant.

Das wäre heute anders. Das zeigt sich schon am triumphalistischen Auftreten der FPÖ in Niederösterreich. Vor allem aber hat Herbert Kickl nicht die Absicht, sich in irgendeiner Weise unterzuordnen, wenn er ein entsprechendes Wahlergebnis hat und einer verunsicherten Nehammer-ÖVP gegenübersteht. Er spürt den internationalen Trend zum Autoritären, er sieht sich auf der richtigen Seite der Geschichte. Er müsste gar nicht Kanzler sein, um an den autoritären Umbau Österreichs zu gehen – mit FPÖlern als, sagen wir, Innen-, Justiz-, Sozial- oder auch Außenminister. Anregungen hat er sich erst kürzlich bei Viktor Orbán geholt. Es wäre eine Machtergreifung der Rechtsextremen mithilfe von demoralisierten Konservativen (wie sie sich derzeit in Israel abspielt).

Wer könnte das verhindern? Eine völlig zerrüttete SPÖ, die es schon bisher nicht geschafft hat, eine rot-grün-pinke Alternative aufzubauen? So wie die Dinge heute liegen, hängt es an der ÖVP, ob sie bei einer De-facto-Machtergreifung der FPÖ mitmacht oder ob sie sich einen Funken Selbstachtung – und Verantwortung für Österreich – bewahrt hat. (Hans Rauscher, 14.3.2023)