Stand 2021 dürften 82 österreichische Konzerne von der 15-prozentigen Mindeststeuer betroffen sein. Die Erste Bank ist einer davon – und könnte künftig empfindlich mehr an Steuern zahlen.

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Angesichts hoher Staatsausgaben in der Krisenbewältigung kann Österreich zusätzliche Steuereinnahmen gut gebrauchen. Ab Jänner 2024 ist eine dieser Einnahmequellen auch die EU-weite Mindeststeuer. Sie soll multinationale Konzerne ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro mit einem 15-prozentigen Steuersatz belegen.

Damit soll der Konzernsteuerwettbewerb gebremst und Steueroasen ausgetrocknet werden. Für Österreich bedeutet das zusätzliche Steuereinnahmen.

Drei Milliarden Euro weisen Berechnungen der EU-Steuerbeobachtungsstelle aus, 600 bis 700 Millionen Euro stellte Ex-Finanzminister Gernot Blümel in Aussicht. Beide Zahlen dürften mittlerweile aber überholt sein; deren Schätzungen erfolgten schließlich noch vor Ausarbeitung der EU-Richtlinie, die nun auch für Österreich gilt.

Wie sich die Mindeststeuer auf österreichische Unternehmen auswirken könnte – und damit auch eine Annäherung an die möglichen Steuereinnahmen Österreichs –, darüber gibt eine aktuelle Studie der beiden Rechtsexperten Dominik Bernhofer (AK) und Matthias Petutschnig (WU Wien) Aufschluss, die dem STANDARD vorliegt.

500 bis 600 Millionen Euro jährlich

Das Ergebnis: Die analysierten 19 ATX-Konzerne könnten für 135 Millionen Euro jährlich sorgen. Hochgerechnet auf die gut 80 österreichischen Unternehmensgruppen mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz ergäbe das ein Steueraufkommen von 500 bis 600 Millionen Euro.

Mit einer exakten Aufkommensschätzung darf man das allerdings nicht gleichsetzen. "Solange wir nicht wissen, welche Staaten die nationale Ergänzungssteuer einführen, wissen wir nicht, wo die Konzerne die zusätzlichen Steuer abführen müssen", erklärt Studienautor Dominik Bernhofer.

Der Hintergrund: Unternehmen zahlen in Österreich etwa 24 Prozent Körperschaftssteuer – zumindest offiziell. Tatsächlich jedoch können Konzerne, die über Ländergrenzen hinweg agieren, derzeit durch legale Steuertricks Gewinne gezielt in Steueroasen verschieben, die die Profite niedriger oder kaum besteuern. Auf diese Weise reduzieren die Unternehmen ihre effektive Steuerlast deutlich.

Eben das war der Auslöser für die Einführung der Mindeststeuer, auf die sich auf globaler Ebene die Industrie- und Schwellenländern im Jahr 2021 verständigt haben. Dank ihr sollen die Vermeidungspraktiken der Vergangenheit angehören. Gewährleistet soll das werden, indem die tatsächlich abgeführte Steuer mit dem Gewinn verglichen wird. Liegt der damit berechnete sogenannte effektive Steuersatz unter 15 Prozent, wird die Differenz nachbesteuert.

Vorrechte für Länder mit nationaler Regelung

Diese Nachbesteuerung erfolgt dann in jenem Land, wo der Mutterkonzern seinen Sitz hat – normalerweise. Allerdings gibt es eine Ausnahme von dieser Regel: die sogenannte nationale Ergänzungssteuer. Sie ermöglicht es Staaten optional, die Differenz zwischen effektivem Steuersatz und Mindeststeuer selbst einzuheben. Das Land des Mutterkonzerns schaut dann durch die Finger, denn das Geld fließt schon dort, wo die Unternehmenstochter ihren Sitz hat.

Die nationale Ergänzungssteuer ist damit ein machtvoller Hebel, der Staaten hohe Einnahmen bringen kann. Bernhofer geht davon aus, dass viele Länder diese Möglichkeit zu nutzen wissen werden.

Für die Berechnungen der untersuchten ATX-Konzerne um OMV und Erste Bank zogen die Studienautoren die Jahresabschlüsse der jeweiligen Tochtergesellschaften im Zeitraum 2016 bis 2020 heran.
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Finanzministerium hält sich bedeckt

"Es ist für fast jedes Land rational, die nationale Ergänzungssteuer zu erheben, weil es dadurch seine Steuereinnahmen steigern kann", ist der Rechtsexperte der Arbeiterkammer (AK) überzeugt. Ob auch Österreich darauf zurückgreifen wird, darauf gibt es aus dem Finanzministerium noch keine konkrete Antwort. "Die Arbeiten an der nationalen Legistik" würden jedenfalls laufen.

Auch mit einer aktualisierten Schätzung ist man zurückhaltend. Argumentiert wird abermals damit, dass die Höhe des Einkommens von der Einführung nationaler Ergänzungssteuern abhängt.

Dass auch die aktuelle Studie nicht mit zusätzlichen Steuereinnahmen für Österreich gleichgesetzt werden kann, ist am einfachsten anhand eines Beispiels erklärt.

Nationale Ergänzungssteuer machtvoller Hebel

Ist ein österreichischer Konzern etwa auch in Ungarn tätig, könnte das Niedrigsteuerland mithilfe der nationalen Ergänzungssteuer die Niederlassungen und Beteiligungen innerhalb des Landes selbst besteuern – Österreich bliebe damit nur ein Teil des zusätzlichen Steueraufkommens des Konzerns.

Gleichzeitig könnte Österreich aber auch selbst die Option ziehen, ausländische Unternehmen besteuern und somit anderen Staaten bei den Besteuerungsrechten vorgreifen.

Was die Studie jedenfalls auf dem Silbertablett serviert, sind die Stärken und Schwächen der EU-Richtlinie. Konzerne, die zuvor eine niedrige Effektivbesteuerung hatten, sind von der Mindeststeuer in der Regel stärker betroffen – was als positiv erachtet wird. Schließlich wird damit die Niedrigbesteuerung eingedämmt, die Ungleichheit zwischen den Unternehmen folglich minimiert.

"Carve-out"-Regelung problematisch

Was die Studienergebnisse aber auch zeigen: Nicht immer kann eine effektive Besteuerung von 15 Prozent gewährleistet werden. Grund dafür sind Ausnahmen bei den Lohnkosten oder auch materiellen Vermögenswerten wie Gebäuden.

In der EU-Richtlinie werden diese Ausnahmeregelungen als "Carve-outs" bezeichnet, zu Deutsch Substanzbegünstigungen. Jeweils mindestens fünf Prozent der entsprechenden Buchwerte können so von der Nachbesteuerung ausgenommen werden.

Die EU-Kommission begründet diese Begünstigungen damit, dass ein "fester Betrag auszunehmen ist, der substanzielle Aspekte der Geschäftstätigkeit wie Gebäude und Personal betrifft".

Ein effektiver Steuersatz von über 25 Prozent ist selten, aber möglich. Grund dafür sind etwa die Art der Berechnung oder auch unterschiedliche Abschreibungsregeln der Bilanzen, erklärt Bernhofer.

Wie sich diese Ausnahmeregeln konkret auswirken könnten, zeigt das Beispiel S-Immo. Obwohl die Immobilien-Investmentgesellschaft vor der Mindeststeuer mit 10,3 Prozent niedrig besteuert war, erhöhten sich nach Berechnung der Mindeststeuer die Abgaben nur geringfügig auf 12,1 Prozent.

"Substanzbegünstigungen ermöglichen ein Unterschreiten der 15 Prozent", unterstreicht Studienautor Dominik Bernhofer. "Das ist natürlich problematisch, weil es Anreize setzt, dass Substanz verschoben wird. Die Idee der Mindeststeuer wird damit ein Stück weit konterkariert."

Ein Schritt in die richtige Richtung

Insgesamt hält er die Mindeststeuer aber für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Zwar wäre ein höherer Mindeststeuersatz deutlich wirksamer gewesen; und auch die Substanzbegünstigungen sieht er kritisch. Der AK-Experte bleibt aber pragmatisch: "Die Mindeststeuer ist insofern positiv, als sie auch tatsächlich kommt." Das sei in Anbetracht zahlreicher unvollendeter Projekte bereits ein großer Schritt.

Letztlich sei das Ziel der Reform, Steuerwettbewerb zu dämpfen und Gewinnverschiebungen einzugrenzen – beides erscheine realistisch. Dennoch: "Das internationale Steuersystem bleibt, trotz der Verbesserungen der letzten Jahre, reformbedürftig. Die Mindeststeuer darf kein Schlusspunkt sein." (Nicolas Dworak, 22.3.2023)