Willem Dafoe sitzt als ausgemergelte Leidensfigur in der Falle einer Nobelwohnung.

Square One/ Steve Annis

Normale Menschen haben eine Wohnung oder ein Haus, und sie verbringen darin – Urlaub, Schrebergarten oder Datscherl im Waldviertel einmal ausgenommen – einen großen Teil ihrer freien Zeit.

Sehr reiche Menschen haben Wohnungen, Häuser, Villen, Schlösser, Yachten – und kommen oft kaum dazu, in ihren vielen Immobilien richtig zu leben. In einer solchen Trophäenwohnung spielt der Film Inside von Vasilis Katsoupis.

Sie gehört einem kasachischen Oligarchen, der gerade in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs ist. Vor den Panoramafenstern sind Hochhaustürme auszunehmen, man kann und soll wohl an Manhattan denken, aber im Grunde ist es egal, es geht einfach um ein Zentrum der heutigen Besitz-Elite. Ganz leer ist die Wohnung aber nicht.

Ein Mann namens Nemo verschafft sich Zutritt. Er trägt die Kluft eines Handwerkers, will aber nichts reparieren, sondern etwas entfernen: ein paar Kunstwerke, darunter eines von Egon Schiele.

KinoCheck

Nemo ist ein Kunstdieb. Er arbeitet im Team, wird per Funk gesteuert. Während er auf leisen Sohlen unterwegs ist, soll ein Hacker die Alarmanlage ausschalten. Alles ist perfekt geplant, bis auf ein paar Kleinigkeiten: Der Schiele hängt nicht dort, wo er sein sollte. Und die Alarmanlage gibt doch ein Geräusch von sich – und riegelt alles ab.

Von außen sieht alles ganz normal aus, das reichlich vorhandene Security-Personal an den Bildschirmen und auf den Gängen schöpft keinen Verdacht. Im Inneren aber hat einer ein Problem. Denn Nemo ist eben "inside", drinnen, und zwar, wie es aussieht, bis zur Rückkehr des kasachischen Oligarchen. Das kann sich ziehen.

In der Fachsprache wäre Inside ein Kammerspiel, allerdings ein besonderes. Denn die Kammer erweist sich als strenge Kammer, in einem dezidiert nicht erotischen Sinn. Der erste zynische Spaß, den sich Katsoupis macht, hat mit dem Design zu tun, das in einem nach den Wünschen des Besitzers angefertigten Raum vorherrscht. Es ist alles super-steril und auf eine eigentlich unattraktive Weise cool, vor allem aber zeigt sich, dass in so einer Umgebung nirgends Fugen sind, in denen das Leben sich einnisten könnte.

Besondere Einsamkeit

Und nachdem Nemo festgestellt hat, dass im Kühlschrank wenig zu finden ist, was ihm als Überlebensmittel dienen könnte, erlebt er das Apartment bald als radikal feindliche Umgebung. Er hämmert an allen möglichen Stellen herum und errichtet spekulative Möbeltürme, um dem Himmel und der offenen Luft näher zu kommen, aber er macht überall nur niederschmetternde Erfahrungen von Hermetik.

In seiner Einsamkeit, in der zunehmend die Zeitdimensionen verschwimmen, hat er allerdings eine besondere Form von Gesellschaft. Denn der Oligarch sammelt Kunst, und so ist die Wohnung ein Museum. Die gut vierzig Werke, die im Abspann sorgfältig aufgelistet werden, von Breda Beban bis Luc Tuymans, von organischer Kunst bis Videoinstallationen, stellen tatsächlich ein Sample dessen dar, was einem heutigen Geldmenschen aus den Galerien und Auktionen als attraktiv und hängenswert erscheinen könnte.

Terror mit "Macarena"

Für Nemo aber werden die Werke auf eine besondere Weise zu Objekten. Er beginnt, sich in die Sammlung einzuschreiben, er arbeitet mit der Kunst, aus Langeweile, aber bald auch aus einem nur zu gut verständlichen Impuls heraus: Er nimmt Rache an dem Eigentümer, von dem er hoffen müsste, dass er bald zurückkehrt.

Katsoupis buchstabiert seine originelle Ausgangsidee sehr clever in alle denkbaren Richtungen hin aus, akustisch mit einem gewitzten Soundtrack: Dass einem Macarena in harter Rotation bald auf die Nerven gehen könnte, wird brillant bewiesen. Aber mit seinem zentralen, sozusagen konzeptkünstlerischen Manöver allein ist Inside schon mehr als nur ein Thriller für angstlustige Klaustrophobiker.

Man kann immer sehr schön mitdenken, was Katsoupis nebenbei über die Natur von Besitz und Exklusivität, über Technik, Lebenswelt und Überwachung so impliziert. Das intellektuelle Vergnügen gesellt sich zum elementaren, das dabei entsteht, dass man Willem Dafoe bei einer Robinsonade zuschaut.

Er spielte schon oft ausgemergelte Leidensfiguren, in Inside hat er jetzt so etwas wie die Rolle seines Lebens. (Bert Rebhandl, 15.3.2023)