Auch Haie haben Feinde, sogar ausgesprochen gefährliche. Wir Menschen sind die größte Bedrohung für die oft übermäßig gefürchteten Meeresbewohner, etliche Haiarten sind durch die Fischerei stark bedroht. Aber auch unter Wasser schwimmen Haie keineswegs an der Spitze der Nahrungspyramide – nicht einmal der Weiße Hai. Orcas, auch Schwertwale genannt, machen selbst vor dem größten Raubfisch des Planeten nicht halt.

Orcas sind die wahren Spitzenjäger der Meere. Wo sie auftauchen, suchen selbst Weiße Haie das Weite.
Foto: imago images/Anka Agency International

Orcas jagen häufig koordiniert in Gruppen und haben einen beeindruckenden Speiseplan. Fische, Seevögel, Robben, Pinguine oder Seelöwen zählen ebenso zu ihrem Beutespektrum wie Walarten in allen Größen – selbst Blauwale fallen den Schwertwalen bisweilen zum Opfer. Und Haie. Oft spezialisieren sich Orca-Gruppen lokal auf bestimmte Beutetiere – seit Jahren beobachten Meeresbiologinnen und Taucher etwa ein Orca-Paar vor der Westküste Südafrikas, das sich allem Anschein nach ganz der Haijagd verschrieben hat.

Begehrte Leber

Wie nun bekannt wurde, haben die beiden Tiere offenbar in einer einzigen Woche im Februar 17 Haie getötet. Angegriffen wurden demnach Breitnasen-Siebenkiemerhaie, und zwar allesamt nach dem gleichen Muster, wie die Meeresbiologin Alison Kock von der University of Cape Town auf Twitter mitteilte.

Demnach hatten es die Orcas, die von den Forschenden Port and Starboard genannt werden, auf die nahrhafte Leber der Haie abgesehen. An den angeschwemmten Kadavern zeigte sich, dass die Wale ihre Beute offenbar gezielt zwischen den Brustflossen attackiert hatten, um an das Stoffwechselorgan zu gelangen. Ansonsten waren die Haikadaver unversehrt.

Die äußerst fettreiche Leber macht bei vielen Haien bis zu ein Viertel des Körpergewichts aus, für Orcas ist das Organ damit eine besonders nahrhafte Spezialität. Die Biologin Alison Kock geht davon aus, dass es die beiden Orcas vor Südafrika ganz gezielt auf diese Delikatesse abgesehen haben: Orcas würden schnell lernen, wie man bei einem neuen Beutetier an besonders lohnenswerte Stücke gelangt. "Sobald sie wissen, wo sich die Leber oder ein anderes Körperteil befindet, an dem sie besonders interessiert sind, werden sie immer effizienter", sagte Kock.

Jagd auf Weiße Haie

Große jagdliche Effizienz stellen Port and Starboard schon seit Jahren unter Beweis – und das nicht nur bei den bis zu drei Meter langen Breitnasen-Siebenkiemerhaien. Innerhalb von fünf Jahren dürften die beiden Schwertwale auch mindestens acht Weiße Haie getötet haben, wie ein Forschungsteam um Alison Towner von der südafrikanischen Rhodes University in Makhanda dokumentierte. Von den großen Raubfischen fraßen die Wale ebenfalls hauptsächlich die Lebern.

Videoaufnahmen zeigen Orcas bei der Jagd auf Weiße Haie.
Sea Search Research & Conservation

Vieles deutet darauf hin, dass die beiden Orcas durch ihr Jagdverhalten sogar für einen anhaltenden Rückzug der Weißen Haie gesorgt haben. Etliche Raubfische sind aus der Meeresregion vor der Stadt Gansbaai in der Provinz Westkap abgewandert, seit die beiden Schwertwale dort 2015 erstmals auftauchten. Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, wie groß die Furcht der Haie vor den Schwertwalen ist. Nähert sich eine Orca-Gruppe, ergreifen die Raubfische nach Möglichkeit sofort die Flucht – und kehren oft lange nicht mehr in die betreffende Region zurück.

Ökosystem unter Druck

Das könnte den Breitnasen-Siebenkiemerhaien zum Verhängnis geworden sein, die mit dem Weißen Hai zwar ihren Hauptkonkurrenten losgeworden sind, dafür aber häufiger Orca-Angriffen ausgesetzt sind. Diese Haiart lebt nur in der kalten Jahreszeit in größeren Tiefen, von etwa November bis März ist sie in flachen Gewässern anzutreffen, um Jagd auf Krebstiere, kleinere Haie oder Südafrikanische Seebären zu machen. Dort ist das Nahrungsangebot zwar reich, aber sie sind auch den Schwertwalen stärker ausgeliefert.

Möglicherweise bleibt die Spezialisierung auf Haie aber auch für Port and Starboard nicht folgenlos. Die beiden Orcas weisen auffällig verbogene Rückenflossen auf, wie sie bei Schwertwalen in freier Wildbahn nur selten vorkommen. Der Meeresbiologe Simon Elwen von der Universität Stellenbosch hält es für möglich, dass fehlende Nährstoffe oder auch Schadstoffe im Haifleisch dafür verantwortlich sein könnten. "Hier ist definitiv noch mehr Forschung nötig", sagte Elwen.

Weshalb sich die Orcas überhaupt auf große Haiarten in der Region spezialisiert haben, die auch für Spitzenjäger nicht unbedingt die leichteste Beute sind, ist ebenfalls nicht geklärt. Möglicherweise hängt das mit einem schwindenden Nahrungsangebot durch Überfischung und Verschmutzung der Meere zusammen, vermuten Fachleute. Für bedrohte Arten wie den Weißen Hai und den als Delikatesse stark bejagten Breitnasen-Siebenkiemerhai sind das jedenfalls keine gute Aussichten. (David Rennert, 16.3.2023)