Irische Musik wird als eine der wenigen Volksmusik-Ausnahmen so wie der St. Patrick's Day auch außerhalb Irlands gefeiert und gepflegt.
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Irische Folk Music ist nicht nur auf der Grünen Insel beliebt, sondern auch ein weltweiter Exportschlager: Sie wird viel und gern gehört und häufig auch nachgespielt. So auch in Österreich. Felix Morgenstern vom Institut für Ethnomusikologie der Kunstuniversität Graz beschäftigt sich seit 2021 mit der Faszination, die irische Musik auf das Publikum, aber auch Musikerinnen und Musiker ausübt.

"Ich versuche zu ergründen, warum Leute hierzulande irische Musik machen. Was motiviert sie dazu, sich mit dieser Musik auseinanderzusetzen? Und breiter gefasst: Wie hängt das mit der Produktion von Volksmusik im Rahmen der europäischen Kulturgeschichte zusammen?" Neben Interviews mit Musizierenden hat der Musikwissenschafter dabei auch einen unmittelbaren Weg der Forschung gewählt. Denn im Sinne der soziologischen Methode der "teilnehmenden Beobachtung" musiziert er auch selbst auf deren Konzerten mit: Morgenstern beherrscht den Dudelsack und die irische Rahmentrommel — die Bodhrán.

Transnationaler Erfolg

Morgenstern zufolge steht Volksmusik meist in engem Zusammenhang mit der Frage des Nationalismus: Volksmusik sei historisch sehr oft instrumentalisiert und politisch vereinnahmt worden, um nationale Identität zu verdeutlichen und zu stärken. Das gelte auch für die irische Musik. Bloß gebe es einen Unterschied zu vielen Ländern: "Sie hat in der europäischen Geschichte eine sehr interessante Position, weil sie transnational sehr schnell zugänglich geworden ist."

Felix Morgenstern nähert sich dem Thema irische Folkmusic nicht nur rein akademisch. Er spielt auch selbst bei Konzerten Dudelsack und die hier zu sehende irische Rahmentrommel Bodhrán.
Foto: Marianne Mangan

Besonders in der Nachkriegszeit und den folgenden Jahrzehnten waren viele Bands in Europa auf Tournee. Sie machten die Musik auf dem Kontinent bekannt und motivierten viele Musiker, die eben keinen direkten nationalen Identitätsbezug zu Irland hatten, sich mit der Musik zu befassen. Sie nimmt Morgenstern in den Fokus, da bislang die meisten Forschungen auf den Diasporakontext fokussiert waren und sich eher mit der zweiten oder dritten Generation irischer Einwanderer in Amerika oder Großbritannien beschäftigten. "Hier in Österreich ist es oft der Fall, dass die Leute eher den Bezug zu der Musik selbst haben. Es gibt keinen direkten Zugang über Familienverhältnisse oder das eigene kulturelle Erbe."

St. Patrick's Day auf Österreichisch

Das Projekt untersucht deshalb, wie irische Musik in Österreich etwa im Rahmen von musikalischen Stammtischen praktiziert wird. Der Blick auf die kulturelle Rückkoppelung bleibt dabei aber natürlich nicht aus: "Nichtsdestotrotz ist es für mich interessant, inwiefern die Auseinandersetzung sich wirklich nur mit der Musik selbst befasst, also mit den technischen Aspekten der Aufführungspraxis, oder ob andere Faktoren noch eine Rolle spielen." Eine der Fragen lautet: Was heißt irische Identität im europäischen Kontext? Dabei spielen politische Fragen wie die Rebellion gegen die britische Herrschaft eine Rolle. Aber auch kommerzialisierte Aspekte – etwa der mittlerweile auch bei uns eher aus Jux denn aus Volksfest-Tradition zelebrierte St. Patrick’s Day oder irische Tanzshows im Boulevardmusiktheater à la Riverdance.

Der zweite Schwerpunkt der Forschung gilt damit dem Publikum: "Ich möchte ergründen, aus welchen Gründen sich das Publikum mit dieser Musik befasst. Welche Affinitäten spielen da eine Rolle? Und was lässt sich daraus ableiten über die Rolle von Volksmusik im traditionellen transnationalen Raum in Europa?" Morgenstern will etwa herausfinden, welche Überschneidungen es zwischen den einzelnen Volksmusikszenen gibt.

Moderne Brauchtumspflege

Seiner Meinung nach kommen diese in Österreich weitaus häufiger vor als im Nachbarland, das er zuvor untersucht hat: "In Deutschland trennt es sich sehr stark nach Leuten, die entweder deutsche oder irische Volksmusik spielen." In Wien zum Beispiel wiederum habe er Musiker kennengelernt, die irische Geige spielen, aber eben auch österreichische Volkslieder im Dialekt aufführen." Morgenstern erklärt das durch die unterschiedliche Auseinandersetzung mit der Volksmusikkultur in beiden Staaten.

In Deutschland habe die irische Musik in den 1960er- und 1970er-Jahren vielen Leuten einen attraktiven Ersatz zu einer sehr stark durch die Zeit des Nationalsozialismus okkupierten Volksmusiktradition geboten. Zwar habe es auch in Österreich ähnliche Prozesse der kulturellen Identitätsfrage und Diskussionen darüber gegeben, inwiefern man Volksmusik in welcher Form noch spielen könne. Die Pflege des zwischenzeitlich in Verruf geratenen musikalischen Brauchtums geschah aber offenbar deutlich unverkrampfter und weniger reflektiert: "Das Phänomen ist, dass es anscheinend seit der Nachkriegszeit eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit Volkskultur gegeben hat."

Unpolitische Musik

Damit gehe auch einher, dass die politischen Aspekte und historischen Diskurse, die in der irischen Musik eine wesentliche Rolle spielen, wie der Widerstand gegen die englische Krone, eher ausgeblendet werden. "Das Publikum wird damit oftmals konfrontiert, aber setzt sich nicht unbedingt kritisch auseinander. Vielmehr singt es einfach mit, ohne genau zu überlegen, was in der Musik präsentiert wird."

Inwiefern das Publikum diese extramusikalischen Aspekte aber eventuell doch wahrnimmt, will Morgenstern in diesem Jahr untersuchen — auch wenn er es eher nicht vermutet: Bis jetzt sei es ihm selten begegnet, dass es eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem politischen Aspekt der Musik gebe. "Es geht eher darum, dass man ein schönes Musikerlebnis haben möchte, wodurch sich irische Musik immer mehr vom Konzept des Irischen oder von Irland selbst abkapselt." (Johannes Lau, 17.3.2023)