Sigrid Maurer, Klubchefin der Grünen: "Es war schon die letzten drei Jahre extrem schwierig mit der Volkspartei."
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Sigrid Maurer gilt heute – anders als früher – als relativ gelassen. Vieles perlt an der grünen Klubchefin ab. Die Rede von Bundeskanzler Karl Nehammer hat sie aber sehr wohl ein wenig verärgert. Was die grüne Führungsspitze jedoch recht verlässlich auf die Palme bringt: wenn sie mit Esoterik in Verbindung gebracht wird.

STANDARD: Die Grünen haben ein neues Wort erfunden, das jetzt alle Ministerinnen und auch Sie ständig verwenden: "Klimaglück". Klingt nach dem etwas bemühten Versuch, ein negatives Thema positiv zu framen, vielleicht sogar einen Hauch esoterisch. Was soll "Klimaglück" bedeuten?

Maurer: Also Esoterik kann ich da null erkennen! Die Klimakrise ist wissenschaftlich dokumentiert. Das Klimaglück beschränkt sich aber nicht nur aufs Klima an sich, es ist auch eine soziale Frage. Wer hat in der Stadt die Wohnungen, neben denen es einen Park gibt? Mit Klimaanlage? Wir sind in der Politik, um positive Veränderungen zu erreichen, natürlich braucht es eine positive Vision. Das versuchen wir mit dem Begriff spürbar zu machen.

STANDARD: Die Koalition schwelgt derzeit nicht im Klimaglück. Haben Sie sich die ganze Rede von Karl Nehammer angehört?

Maurer: Nicht ganz, sie war sehr lang, ich habe eine Abschrift gelesen.

STANDARD: Hat es Sie überrascht, wie sich der Kanzler positioniert, oder kannten Sie seine Ansichten zu Verbrennungsmotoren, Klimaaktivisten und dem Gendern bereits?

Maurer: An sich hat die Rede inhaltlich nicht viel Neues gebracht, leider konnte ich auch nichts Visionäres erkennen. Eingeladen hat er zu seiner Vision "Österreich 2030". Das Ergebnis ist enttäuschend. Die Rede war lang und platt. Was mich aber schon sehr verwundert, ist, dass Karl Nehammer einem halberten Klimaleugner auf den Leim geht, der noch dazu Atomkraft propagiert. Da war er sehr schlecht beraten.

STANDARD: Sie sprechen an, dass sich Nehammer in Klimafragen jetzt auf ein umstrittenes Buch namens "Apokalypse, niemals!" bezieht. Ist das noch legitim, oder ist der Kanzler in Ihren Augen jetzt schon selbst ein "halberter" Klimawandelleugner?

Maurer: So weit würde ich nicht gehen. Gleichzeitig weiß ich nicht, was Nehammers Plan ist. Die ÖVP argumentiert rückwärtsgerichtet.

STANDARD: Die Warnungen vieler Wissenschafter und Aktivisten bezeichnet der Kanzler als "Untergangsapokalypse". Glauben Sie ernsthaft, dass Sie mit dieser Volkspartei noch irgendein relevantes Klimaschutzprojekt umsetzen können?

Maurer: Es war schon die letzten drei Jahre extrem schwierig. Dennoch ist es uns gelungen, Projekte wie das Klimaticket, den Erneuerbaren-Ausbau, das Plastikpfand durchzusetzen. Es wird auch weiterhin das Bohren harter Bretter sein.

STANDARD: Ein besonders hartes Brett ist das ausstehende Klimaschutzgesetz. Dass sich die Koalition darauf noch einigen kann, daran glaubt in der ÖVP niemand, mit dem ich zuletzt gesprochen habe.

Maurer: Selbstverständlich ist es noch möglich, das Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Und auch weitere wichtige Vorhaben.

STANDARD: Nehammers Rede richtete sich auch an ÖVP-Funktionäre – mit dem Subkontext: Von den Grünen lassen wir uns nicht diktieren, was richtig ist. Eine ähnliche Attitüde hat die ÖVP schon bei der Debatte rund um die Mietpreisbremse an den Tag gelegt. Erkennen Sie einen Strategiewechsel?

Maurer: Wir haben immer sehr gut zusammengearbeitet. Es stimmt mich aber sorgenvoll, wenn der Finanzminister (Magnus Brunner, Anm.) nach monatelanger Diskussion jetzt befindet, dass man eine Mietpreisbremse im Detail analysieren müsse – zwei Wochen bevor die Deadline abläuft. Es sind 2,5 Millionen Menschen betroffen, da müssen wir helfen. Ich bin gespannt, ob die ÖVP noch ihr soziales Gewissen entdeckt. Der Finanzminister will für Luxusimmobilien Steuergeschenke in zigfacher Höhe geben.

STANDARD: Was spricht dagegen, Menschen staatlich dabei zu unterstützen, ein Eigenheim zu schaffen? ÖVP und Grüne haben zuletzt auch ohne Zweckbindung viel Geld an bereits Vermögende ausgeschüttet.

Maurer: Der Großteil der Steuern in Österreich wird von der arbeitenden Bevölkerung erwirtschaftet. Wir haben aber extrem niedrige vermögensbezogene Steuern. Das Steuergeld, das die breite Masse einzahlt, soll auch der breiten Masse zugutekommen und nicht überproportional jenen, die es sich ohnehin leisten können. Es ist gerade eine Umfrage erschienen, die zeigt, dass jene, die im Eigentum leben, wesentlich weniger Probleme haben als jene, die mieten.

STANDARD: Was eigentlich ein Argument dafür ist, Menschen zu unterstützen, Eigentum zu erwerben.

Maurer: Wir haben jetzt eine Akutsituation, in der sich Menschen ab 1. April ihre Mieten nicht mehr leisten können, weil sie um 8,6 Prozent steigen. Über andere Maßnahmen können wir gerne auch reden, aber für die Betroffenen ist die Alternative gerade nicht, dass sie sich ein Haus kaufen. Wir haben der ÖVP hier aber auch schon großzügige Angebote gemacht – weil uns die Mietpreisbremse wirklich wichtig ist.

STANDARD: Eigentlich war meine Frage, ob Sie einen Strategiewechsel innerhalb der ÖVP erkennen.

Maurer: Der ÖVP-Chef hat eine Rede gehalten, auf die Regierungsarbeit hat das keine Auswirkungen.

STANDARD: Die Grünen reden viel übers Klima oder jetzt das Klimaglück, auch über Sozialpolitik, kaum reden sie über Migration. Warum?

Maurer: Es gibt Themen, die sind drängend, andere sind gerade nicht so aktuell, aber selbstverständlich beschäftigen wir uns auch mit diesem Thema.

STANDARD: In Ihren Augen gibt es keine Migrationskrise?

Maurer: Das behaupten doch gerade nicht einmal ÖVP oder Freiheitliche.

STANDARD: Der Kanzler hat Anfang Februar mit einer neuerlichen EU-Blockade gedroht, wenn keine konkreten Schritte zum Schutz der europäischen Außengrenzen gesetzt werden. Die letzte Aussendung der FPÖ zur "Migrationskrise" ist fünf Tage alt.

Maurer: 2023 ist die Zahl der Ankommenden massiv runtergegangen. Aktuell ist das in meiner Wahrnehmung nicht das große Thema für die Bevölkerung.

STANDARD: Nachdem Niederösterreichs SPÖ-Chef eine neue Metapher in die österreichische Innenpolitik eingeführt hat: Welche grüne Forderung ist für Sie in einer künftigen Koalition eine so essenzielle Bedingung, dass Sie sich lieber "eine Hand abhacken" würden, als die fallen zu lassen?

Maurer: Ich glaube, der Ausspruch war von der SPÖ keine besonders smarte Verhandlungstaktik. Es ist eine Frage von gutem politischem Handwerk, solche Forderungen nicht öffentlich auszusprechen.

STANDARD: Es ist aber doch auch eine Frage der Ehrlichkeit, Wählerinnen zu sagen, was man sicher bekommt, wenn man jemanden wählt.

Maurer: Selbstverständlich, dafür gibt es ja ein Wahlprogramm.

STANDARD: Wie viele grüne Parteimitglieder, glauben Sie, haben das der Grünen von vorne bis hinten gelesen?

Maurer: (lacht) Unsere Grünen kennend: extrem viele. (Katharina Mittelstaedt, 14.3.2023)