Die Corona-Maßnahmen-Demos haben zu einer engeren Vernetzung und neuen Anhängern der rechten Szene geführt.

Foto: Presseservice Wien

Es herrsche ein "immenser Nachholbedarf", und es müsse "rasch gehandelt werden", tönte es im September 2021 aus dem grünen Parlamentsklub. Was so eilte: die Wiedereinführung eines offiziellen Rechtsextremismusberichts, der zwanzig Jahre pausiert hatte. Wolfgang Schüssels schwarz-blaue Regierung hatte die jährliche Übersicht über Entwicklungen in der Szene 2002 auf Eis gelegt, nachfolgende Regierungen sie nie wieder eingeführt.Dass der Bericht wiederbelebt wird, stellten die Grünen als einen der wichtigen Erfolge ihrer Regierungstätigkeit dar.

Keine Spur

Wir schreiben das Jahr 2023, und vom Rechtsextremismusbericht fehlt jede Spur – womöglich könnte in dieser Regierungsperiode, die 2024 abläuft, gar kein Bericht mehr erscheinen. Das Problem dahinter dürfte ein vergaberechtliches sein.

Dabei schien anfangs klar, wer den Bericht schreiben soll: Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) wurde schon im Regierungsprogramm namentlich genannt. Das Institut beschäftigt sich seit 60 Jahren mit der Erforschung der NS-Diktatur, der Nachkriegsjustiz und besonders intensiv mit einem Expertenteam mit aktuellen Strömungen im Rechtsextremismus.

Auch nach dem Ministerratsbeschluss zur Neuauflage des Rechtsextremismusberichts im Herbst 2021 sprachen die Grünen davon, dass Innen- und Justizministerium nun schleunigst das DÖW, dessen Leitung am 1. April der Soziologe und Politologe Andreas Kranebitter vom Historiker Gerhard Baumgartner, der in Pension geht, übernimmt, beauftragen müssten.

Allerdings soll rasch danach die Frage aufgetaucht sein, ob eine direkte Vergabe an das DÖW auch der rechtlich korrekte Weg sei: Sollte man nicht anderen Instituten ebenfalls die Chance geben, ein Konzept zu präsentieren?

Möglicherweise hatte man sich auch nach der im Oktober 2021 publik gewordenen ÖVP-Korruptionsaffäre zu mehr Vorsicht bei Vergaben gemahnt. Gegen eine Ausschreibung soll es allerdings dem Vernehmen nach andere Bedenken gegeben haben: Was, wenn eine nicht besonders seriöse, politisch fragwürdige oder nicht versierte Organisation die Ausschreibung gewinnt?

Bis es zu einer Ausschreibung kam, verstrichen viele Monate. Im Juli 2022 war es dann so weit. Nach der langen Entstehungszeit für die Ausschreibung sollte es dann schnell gehen. Die Einreichfrist war nur einen Monat lang, bis 22. August, der erste Bericht sollte aber schon im Mai 2023 vorliegen. Diesen wird es aber nicht geben, denn laut Innenministerium konnte schließlich "keiner der Bieter die festgelegten Eignungskriterien erfüllen".

"Marktgerecht"

Diese Kriterien waren aber zum Teil nicht nachvollziehbar für die Suche nach einem Institut, das eine umfassende Dokumentation rechtsextremer Aktivitäten im Land erstellen können sollte. Es geht immerhin auch um die Grundlage für eine Gefahreneinschätzung.

Doch gefragt waren in der Ausschreibung etwa Publikationen zum Zeitraum 1938 bis 1945, für die es keinerlei Expertise über die aktuelle rechtsextreme Szene braucht. Zusätzlich wurden unrealistische Anforderungen gestellt, wie drei Projektabschlüsse innerhalb der letzten drei Jahre. Kriterien, die nicht dafürsprechen, dass die Verfasser der Ausschreibung mit wissenschaftlicher Praxis sehr vertraut sind.

Was man mit Sicherheit sagen kann: Die Ausschreibung war nicht pro forma, und sie war sicher nicht auf das DÖW zugeschnitten worden. Die Anforderungen dürften vielmehr von niemandem, der die aktuelle Lage rechts außen im Blick hat, erfüllt worden sein. Wie soll es nun weitergehen?

Aus Gerhard Karners (ÖVP) Innenministerium heißt es, dass nun "eine Evaluierung und marktgerechte Anpassung dieser Anforderungen" erfolge, eine neue Ausschreibung sei in Vorbereitung.

Die Verwirrung um divergierende Zahlen zum NS-Verbotsgesetz, die seit 2017 jährlich von der SPÖ-Abgeordneten Sabine Schatz bei beiden Ministerien abgefragt werden, wie DER STANDARD berichtete, zeigte einmal mehr, dass ein von Profis erstellter Bericht dringend nötig für eine Lageeinschätzung ist.

Und die Lage ist ernst, wie die Pressekonferenz von Omar Haijawi-Pirchner, Chef der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), und Innenminister Karner zur Reform der Landesämter für Verfassungsschutz am Dienstag zeigte. Schatz reagierte auf die Präsentation per Aussendung, in der sie erneut den Rechtsextremismusbericht einmahnte, weil die "steigenden Zahlen und die Einschätzung des DSN-Direktors" ein "Alarmsignal" seien. (Colette M. Schmidt, Fabian Schmid, 15.3.2023)