Im Gewölbekeller unter der Grünangergasse reifen hunderte Käse zur Hochform.
Foto: Heribert Corn

Sobald die Glastür zur Kellernische aufgeht, haut einen der erste Schwall Käsegeruch fast um. Kräftig streng, leicht süßlich, ein Hauch Säure ist dabei. Wie beim Öffnen einer Kühlschranktür: Das Licht strahlt aus dem Inneren, von einer Duftwatschn überrascht, wird man daran erinnert, dass man vor Tagen ein Stückerl stark riechenden Käse gekauft hat. "Wenn du den Käse in ein Glas gibst, dann kann man das verhindern", sagt Anton Sutterlüty witzelnd. Der Vorarlberger hat hier unten in einem Keller, sechs Meter unter der Wiener Innenstadt, seine Käsereifestätte. Hier wird kein Gouda gelagert, das ist vom Geruch her schon mal sicher. Nein, hier reift Bergkäse über Monate, gar Jahre heran. Oder wie der Käsemacher sagt, hier "pflegt" er seine Laibe. Mit väterlichem Stolz erzählt er von den Rundlingen, die er in Vorarlberg herstellt und in der Hauptstadt zur vollkommenen Reifung bringt.

Käser seit mehr als 40 Jahren

Zwei ganze Monate im Sommer verbringt Sutterlüty jedes Jahr auf seiner Alpe im Bregenzer Wald. Seit mehr als 40 Jahren macht er Käse. Das war bereits als Teenager sein Traum: "Mit 14, 15 hab ich immer gesagt, ich will Senner werden. Das klang damals schon komisch." Zunächst ging er nur hobbymäßig seiner Käseleidenschaft nach. Er arbeitete als Kunstvermittler, 2001 gewann er als erster Österreicher die Millionenshow. Sein Job und sein Gewinn ermöglichten dem 56-Jährigen, die Sommer in Xiberg zu verbringen und Käse herzustellen. Seit ein paar Jahren macht er das hauptberuflich. Jährlich produziert Sutterlüty fast 200 Laibe. "Das sind 5000 Kilo, damit komm ich schon ein Stück weit." Ein Käselaib ist je nach Gewicht zwischen 700 und 900 Euro wert.

Für eine Geruchs- und Geschmacksprobe schneidet der Vorarlberger einen Achtel-Keil herunter.
Foto: Heribert Corn

Das Besondere an seinem Käse ist die althergebrachte Herstellung. Noch kuhwarm füllt Sutterlüty die Milch in sogenannten Gebsen ab, flache Holzgefäße, in denen der Käse heranreift. Über Nacht, erklärt der Käseschöpfer, können sich in der Milch bereits die ersten Bakterien bilden. Weil er jahrzehntealte Käseformen verwendet, in deren Holz sich eine große Kultur an Mikroorganismen befindet, braucht er keine Starterkultur zur Käsereifung beifügen. Das alles kommt von der Milch und den Gebsen selbst.

Schwüle Sommertage

Die Milch aber nur reifen lassen, damit ist es nicht getan. Mit seiner Nase muss Sutterlüty erkennen, wie weit die Reifung im Anfangsstadium fortgeschritten ist. Ist der Geruch zu süß, zu sauer? Dann greift Sutterlüty ein. Das heißt, weiter reifen lassen oder schneller verarbeiten. "Ich lasse mich viel vom Geruch leiten", sagt er. Schwüle Sommertage beschleunigen den Reifeprozess, bei kühlerem Wetter muss die Milch länger ziehen. In der gesamten Herstellung setzt Sutterlüty keine Testmethoden ein, er macht alles mit einem geschulten Auge und seiner trainierten Nase.

Seine Laibe wäscht Sutterlüty dreimal die Woche. "Viele sagen, ich sei wahnsinnig." Gewöhnlich ist einmal wöchentlich.
Foto: Heribert Corn

Mit einem Ziehgerät holt er die bis zu 30 Kilogramm schweren Laibe aus den Regalen. Einen Achtel-Keil schneidet er herunter. Eine Geruchs- und Geschmacksprobe zeigt: Im Inneren duftet der Bergkäse weit weniger streng, als das Riechen an der Rinde vermuten lässt. Er schmeckt angenehm würzig, erinnert an Parmesan. Ein Jahr reifte dieser Laib im Wiener Untergrund. Geschmack und Geruch gehen aber nicht immer Hand in Hand. Das wird bei ganz jungem Käse deutlich. "Es gibt eine Phase, wo er zwei bis drei Monate alt ist, da dünstet der Käse Ammoniak aus. Da riecht er am intensivsten", erklärt Sutterlüty. Am spannendsten findet der Käsespezialisten, dass jeder Reifegrad den Käse zu etwas Neuem macht. Am Anfang mild und gummig, wandelt er sich dann zu einer cremigeren Konsistenz, bevor er langsam trockener wird. Mit zwölf bis 16 Monaten schmeckt man eine Säure, die sich am Gaumen scharf anfühlen kann. Sobald dieser Reifegrad überschritten ist, gehe dies verloren, sagt er, dafür werde der Geschmack aber viel, viel breiter.

"Beim Käse gibt es nur zu mild"

Die ältesten Käselaibe sind vier Jahre alt, sondern konstant ihren penetranten Geruch an den Keller ab. "Wie ich angefangen habe, hier Käse zu lagern, waren hier drinnen Gerüche vom Keller, die nicht zum Käse gehörten – und das hat man geschmeckt", sagt Sutterlüty. Das Ziegelgewölbe nimmt und gibt Luftfeuchtigkeit ab, was wichtig für die Reifung des Käses ist. Es sorgt auch für ein ausgeglichenes Raumklima. Über zwei Jahre hat es gedauert, bis die Ziegel von den Bakterien und vom Geruch des Käses durchsetzt waren und nun den Laiben bei der optimalen Geschmacksentwicklung auf die Sprünge helfen. "Der Käse hat den Raum übernommen."

Sutterlüty: "Ich lasse mich viel vom Geruch leiten."
Foto: Heribert Corn

Sein ältester Käse ist derzeit ausverkauft, "der ging im Herbst so gut". Dass intensive Käsesorten gefragter werden, ist ihm aufgefallen. Er verkauft seinen Käse zum Beispiel am Karmelitermarkt im zweiten Bezirk. Aber: "Das sind keine einfachen Käse". Davon könne man nicht viel essen, sagt er. Die jungen und milden Käsesorten verkaufen sich besser, weil sie zugänglicher und billiger sind. Bei ihm selbst kommen milde Käsesorten wie Gouda aber nicht auf den Tisch. "Zu oarg gibt es beim Käse nicht, es gibt nur zu mild", sagt Sutterlüty. Bereits zum Frühstück tischt er sich sieben verschiedene Käse auf. "Käseessen ist für mich wie ein Parcours". Er beschreibt, wie er von dem einen Käsehappen zum nächsten springt. Er brauche, sagt Sutterlüty, immer eine kleine Geschmacksüberraschung. Und wenn man zu viel von einem Käse isst, dann gehe das einfach verloren.

An den strengen Käsegeruch hat sich Anton Sutterlüty schon lange gewöhnt. Wenn er in seinen Keller geht, und die Glastür öffnet, die den eindringlichen Duft in seine Schranken weist, dann atmet er zuerst einmal ganz tief ein. Denn schon allein am Geruch kann er erkennen, ob es seinem Käse gutgeht. (RONDO Exklusiv, Kevin Recher, 25.3.2023)