Der gebürtige Schweizer Johannes Frasnelli macht komplexe Vorgänge beim Riechen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

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Gerüche beeinflussen unser Handeln stärker, als uns oft bewusst ist. Was genau wir riechen, können wir anderen aber nur schwer mitteilen. Zu eingeschränkt ist der Wortschatz, den wir für diese Sinneswahrnehmung parat haben. Einer, dem diesbezüglich eine hervorragende Übersetzungsleistung gelingt, ist der Neurowissenschafter und Geruchsforscher Johannes Frasnelli. In seinem Bestseller Wir riechen besser, als wir denken erklärt er die komplexe Welt des Riechens leicht nachvollziehbar. Wir haben den an der kanadischen Université du Québec tätigen Professor für Anatomie bei einer Auszeit in Südtirol erreicht, wo er aufgewachsen ist.

Fakt 1: Menschen haben keine Pheromone, die immer eine bestimmte Reaktion hervorrufen.

STANDARD: Herr Frasnelli, wie riecht der Frühling bei Ihnen in Südtirol?

Johannes Frasnelli: Der Frühling beginnt in Südtirol viel früher als in Kanada, wo ich meistens lebe. In Nordamerika geht er erst Mitte Mai los und innerhalb weniger Wochen schon in den Sommer über. In Südtirol dagegen fängt der Frühling mitten im Winter an, die ersten Blüten öffnen sich früh, Blüten, die sehr stark duften. Im April beginnt die Apfelblüte in Meran, und das ganze Tal duftet danach. Es ist immer eine ganz spezielle Woche, wenn es so weit ist.

STANDARD: Ist das Geruchsspektrum anders als in Kanada?

Frasnelli: Definitiv anders. In Kanada lachen die Menschen darüber, dass sie den Duft des Frühlings mit dem Auftauen der Hundstrümmerln im Schnee verbinden und weniger mit einem wohlriechenden Aufblühen.

Fakt 2: Unser Körpergeruch ist so individuell und unverwechselbar wie unser Fingerabdruck.

STANDARD: Demnach ist Wien geruchstechnisch mehr Kanada als Südtirol.

Frasnelli: Vermutlich. Nur ist es so, dass in Kanada der Winter länger dauert. Das heißt, es sammelt sich mehr an, und alles taut dann schlagartig auf. Das stinkt fürchterlich!

STANDARD: Beim Riechen reden wir immer in Metaphern. Etwas riecht zum Beispiel wie eine Blüte, wie ein Material oder eine Substanz. Warum haben wir ein so begrenztes Vokabular für Gerüche?

Frasnelli: Das stimmt, unsere Sprache ist für diese Sinneswahrnehmung sehr limitiert. Beim Sehen verwenden wir ganz spezifische Begriffe. Mit den Begriffen für das Riechen ist es eher so, als würden wir mit einem Blinden, der von Geburt an blind war, über ganz spezifische Farben wie Blau oder Rot sprechen wollen. Das heißt, wir bleiben unspezifisch, wenn es ums Riechen geht, klassifizieren Gerüche als gut, schlecht, angenehm, unangenehm, stark oder schwach – oder als Umschreibung. Das riecht nach Urin, das nach Erdbeeren, das nach Schnitzel und so weiter.

STANDARD: Aber warum ist das so?

Frasnelli: Eine Theorie besagt, dass die Verbindung zwischen Sprachzentrum und Riechzentrum im Gehirn nur sehr indirekt ist. Aber das ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt. Wenn man sich Geruchsspezialisten anschaut, Sommeliers oder Parfümeure, dann müssen die in der Regel erst eine gemeinsame Sprache zu Gerüchen entwickeln. Sie sprechen dann über Wein, der Noten von Tabak oder Brombeeren hat, damit der eine sofort weiß, was der andere damit meint. Wenn das Amateure tun, ist das aber eher freie Assoziation.

STANDARD: Riechen ist also etwas, das man erst entwickeln muss?

Frasnelli: Zum einen hat nicht jeder die Fertigkeit, zum anderen ist es grundsätzlich schwierig für uns, Gerüche zu benennen. Dagegen ist es ganz einfach, Objekte zu sehen. Wenn ich Ihnen einen Baum zeige, werden Sie sagen: "Das ist ein Baum." Wenn ich ihn meiner eineinhalbjährigen Tochter zeige, wird sie auch sagen: "Das ist ein Baum." Aber wie riecht er? Wir können uns nicht unbedingt mit einem gemeinsamen Vokabular darüber verständigen. Bei Gerüchen fällt es uns viel schwerer, diese zu benennen – auch wenn wir sie eigentlich gut kennen. Man ist zum Beispiel eingeladen zum Essen und fragt den Gastgeber, die Gastgeberin: "Was ist das denn?" Wenn man dann erklärt bekommt, es sei Koriander, sagt man sich sofort: "Ah ja, eh logisch." Wir kennen also Gerüche ganz gut, sie sind aber sehr schwer konkret zu erinnern und beim Namen zu nennen – ja sie haben gar keine eindeutigen Namen.

Fakt 3: Riechen ist wie Bodybuilding für das Gehirn – daher sollten wir den Geruchssinn trainieren.

STANDARD: Kann jeder sein Geruchsgedächtnis und ein gewisses Riechrepertoire trainieren?

Frasnelli: Jeder kann es trainieren, man muss aber relativ viel Aufwand betreiben. So kann der Geruchssinn an sich trainiert werden. Das macht man mit Trainings bei Leuten, die ihn mit Corona verloren haben. Das bringt diese Menschen wieder zurück auf eine normale Geruchsspur. Aber dadurch ist man noch lange keine Supernase. Sommelier oder Parfümeur wird man nicht über Nacht.

STANDARD: Bleiben wir mal bei Corona und Geruchsverlust. Wie ist da der Zusammenhang?

Frasnelli: Man hat mit diesem Virus viel gelernt über den Geruchssinn. Wir wissen, dass das Sars-CoV-2-Virus, das Corona auslöst, in den Körper eindringt und Zellen infiziert. In der Riechschleimhaut sind es sogenannte Stützzellen, die verletzlich sind. Wenn diese Stützzellen nicht mehr funktionieren, gehen irgendwann auch die Riechzellen unter. Und wenn die Riechzellen untergegangen sind, wird kein Reiz mehr von der Nase ins Gehirn weitergeleitet. Dann riecht man nichts mehr.

Fakt 4: Wir haben hundertmal mehr Riech- als Sehrezeptoren, aber wenige Begriffe für Gerüche.

STANDARD: Haben wir während der langen Zeit der Pandemie mit all ihren Lockdowns das Riechen auch verlernt aufgrund mangelnder äußerer Einflüsse?

Frasnelli: Das ist eine interessante Hypothese. Man kann das allerdings auch anders sehen: Weil durch die Lockdowns mehr Menschen dazu gezwungen waren, zu Hause zu kochen, haben sich einige häufiger auseinandergesetzt mit Lebensmitteln und deren Gerüchen. Was sich aber wahrscheinlich schon verändert hat, ist die Wahrnehmung von Körpergerüchen anderer Menschen. Die Maske hat ja auch vor Gerüchen geschützt, mitunter vor unangenehmen. Ich glaube aber nicht, dass es Studien gibt, die zeigen, dass der Geruchssinn in der Pandemie generell nachgelassen hätte.

STANDARD: Das heißt, wir müssen nicht komplett neu lernen, den Frühling zu riechen. Aber vergessen wir nicht auch bestimmte Gerüche?

Frasnelli: Interessante Frage, denn normalerweise ziehen wir die Sache von der anderen Seite auf: Wir sagen gerne, dass Gerüche tolle Erinnerung, starke Bindung und Assoziationen auslösen. Aber natürlich vergessen wir das allermeiste, auch Gerüche. Bei jedem Atemzug kommen Duftstoffe in unsere Nase. Während wir reden in diesen Minuten, riechen wir andauernd etwas. Aber ich kann mich jetzt nicht erinnern, was genau ich in diesen Minuten gerochen hätte. Das heißt, das allermeiste, was in unsere Nase reinkommt, dessen sind wir uns gar nicht bewusst. Nur gewisse Düfte, die eine hohe Konzentration oder einen Kontext haben, nehmen wir wahr. Düfte, die mit starken Emotionen verbunden sind, halten dann sogar ins Langzeitgedächtnis Einzug.

STANDARD: Das heißt, es ist ähnlich wie bei anderen Sinneseindrücken: Den überwiegenden Teil davon vergessen wir gleich wieder.

Frasnelli: Genau, denn wir haben nicht so viel Speicherplatz und müssen wieder vergessen. Wir sind dann häufig überrascht davon, wie vergessen geglaubte Gerüche auf einmal zurückkommen. Wir wissen dann oft gar nicht, an welche Geschichte sie uns erinnern und warum sie so starke Assoziationen auslösen.

Fakt 5: Wir können auch negativ empfundene Gerüche aktiv positiv besetzen.

STANDARD: Zurück zum Frühling oder besser den Frühlingsgefühlen. Welche Rolle spielt der Geruchssinn beim Verlieben?

Frasnelli: Man kann sich zunächst einmal auch ohne Gerüche verlieben. Etwa übers Internet oder wie früher in Brieffreundschaften. Der Geruch des anderen ist dafür nicht notwendig, aber er hilft natürlich. Wir nehmen andere Menschen ja mit allen unseren Sinnen wahr. Körpergerüche sind aber erst dann wahrnehmbar, wenn wir einander schon sehr nahe sind. Es ist also auch in dem Fall schwierig zu sagen, was war zuerst da: die Henne oder das Ei?

STANDARD: Es ist nicht so, dass uns gewisse Duftstoffe anlocken?

Frasnelli: Nein, bei Menschen gibt es keine Pheromone, die zwangsläufig immer eine bestimmte Reaktion hervorrufen. Es ist bei unserer Spezies nämlich nicht so, dass auf Knopfdruck durch irgendwelche Chemikalien oder Duftstoffe zwangsläufig etwas ausgelöst wird. Jeder einzelne Mensch gibt einen Cocktail von Duftstoffen ab, die einen ganz charakteristischen Körpergeruch verursachen. Dieser wird dann von anderen als angenehm, aufreizend oder erregend oder als unangenehm, störend oder abtörnend wahrgenommen.

STANDARD: Heißt das, man kann dennoch mit einem Partner, mit einer Partnerin zusammen sein, obwohl der Körpergeruch eigentlich nicht perfekt passt?

Frasnelli: In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass wir uns irgendwann an den Geruch entweder gewöhnen oder diesen Geruch sogar als angenehm wahrnehmen. Wenn jemand richtig unangenehm riecht und das bleibt für den anderen unangenehm, glaube ich aber, dass die Beziehung nicht lange halten wird.

STANDARD: Kann der Partner, die Partnerin auch etwas auf Geruchsbasis unternehmen, damit die Beziehung besser wird?

Frasnelli: Grundsätzlich ist es so, dass der Geruch, den wir von einem anderen Menschen wahrnehmen, geformt wird durch Schweißdrüsen in der Achsel und in der Genitalregion. Die geben einen Cocktail von Duftstoffen ab, der wiederum bedingt ist durch genetische Information. Aber das ist noch nicht alles. Unser Körpergeruch verändert sich durch Ernährung, durch Hygiene, er verändert sich dadurch, was wir auf die Haut auftragen. Er hängt davon ab, ob es warm oder kalt ist, und vom Waschmittel, das wir verwenden. Wenn wir eine andere Person wahrnehmen, ist es die Gesamtheit dieser Düfte. Dieses Konstrukt kann demnach auch mehrfach verändert werden. Und ich glaube, es ist wichtig, dass man mit dem Partner darüber spricht.

STANDARD: Sie denken demnach nicht, dass Körpergerüche im zwischenmenschlichen Bereich immer etwas Schicksalhaftes haben. Dennoch haben Sie einmal gesagt, Sie wären wahrscheinlich ein besserer Klavierspieler, wenn Ihre Klavierlehrerin nicht so unangenehm nach Zwiebeln gerochen hätte.

Frasnelli: Es ist tatsächlich schwierig, diese Aussage wissenschaftlich zu stützen oder zu verwerfen. Das ist vermutlich grundsätzlich der Fall bei Fragen à la "Was wäre gewesen, wenn ...". Aber wenn wir gerade dieses Beispiel hernehmen, spielen natürlich nicht nur der Körper- und der Mundgeruch eine Rolle, sondern auch andere Aspekte. Dass wir andere Menschen sympathisch oder unsympathisch finden und dieses Gefühl fast immer mit dem Körpergeruch zusammengeht, ist aber sicher so. (RONDO Exklusiv, Sascha Aumüller, 23.3.2023)

Der Artikel stammt aus dem neuen RONDO exklusiv zum Thema Gerüche, das am 24.3.2023 erscheint.