Der Täter hatte am Donnerstagabend sieben Menschen in einer Hamburger Kirche der Zeugen Jehovas getötet.

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Hamburg – Nach dem Amoklauf in einer Hamburger Kirche der Zeugen Jehovas, bei dem ein 35-jähriges ehemaliges Mitglied am Donnerstag sieben Menschen und sich selbst erschoss, suchen die Ermittler weiter nach dem Tatmotiv. Zugleich wies die Hamburger Polizeiführung am Dienstag erneut Vorwürfe im Zusammenhang mit der Bearbeitung eines im Jänner bei der Waffenbehörde eingegangenen anonymen Hinweises auf den späteren Täter zurück. Dieser hatte die Tatwaffe als Sportschütze legal besessen.

Eine ergebnislose Onlinerecherche der Hamburger Waffenbehörde zur Zuverlässigkeit des späteren Amokläufers sorgt fünf Tage nach der Bluttat für Diskussionen. Hintergrund ist ein Buch des späteren Täters, in dem dieser wirre religiöse Thesen auch im Zusammenhang mit dem Holocaust äußert. Ein anonymer Hinweisgeber hatte zwei Monate vor der Tat auf eine mögliche psychische Erkrankung und Gefährlichkeit des 35-Jährigen aufmerksam gemacht und das Buch als Beleg angeführt.

Traktat: Adolf Hitler als Werkzeug Jesu Christi

Zwei Beamte der Waffenbehörde seien den Hinweisen nachgegangen, hätten bei dem Sportschützen aber keine Auffälligkeiten festgestellt, sagte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am Dienstag. Unter anderem hatten sie eine unangekündigte Kontrolle in der Wohnung des späteren Täters vorgenommen und dabei die ordnungsgemäße Aufbewahrung von Waffe und Munition überprüft.

Laut Medienberichten breitete der Mann in dem auf Englisch verfassten und rund 300 Seiten langen Buch eigene quasireligiöse Thesen aus. Eine zentrale Rolle spielt demnach der Glaube an eine Wiederkehr von Jesus Christus und ein "tausendjähriges Reich". Der "Zeit" zufolge soll das inzwischen nicht mehr zugängliche Traktat neben zahlreichen antisemitischen Passagen auch die Aussage enthalten, Adolf Hitler sei ein Werkzeug Jesu Christi gewesen.

Eine Google-Suche, bei der sie lediglich den Namen des späteren Täters und den Suchbegriff "Buch" eingegeben hätten, habe aber zu keinem Ergebnis geführt. Laut Polizei wurde das Buch seit Dezember 2022 über die Handelsplattform Amazon vertrieben.

Tat aus "Hass"

Die Beamten hätten bei der Überprüfung den rechtlich möglichen Rahmen ausgeschöpft, sagte Meyer. Insofern könne er ihnen "keine Vorwürfe machen". Er räumte aber ein, dass der Inhalt des Buchs, wäre es ausgewertet worden, möglicherweise Anlass für weitere Maßnahmen der Waffenbehörde gegeben hätte.

Nach Ermittlerangaben war der Mann bis vor eineinhalb Jahren selbst Mitglied der Kirchengemeinde im Hamburger Stadtteil Groß Borstel, verließ diese dann allerdings unter bisher nicht abschließend geklärten Umständen. Er war zudem Sportschütze und als solcher legal im Besitz der späteren Tatwaffe. Es sei nicht auszuschließen, dass der 35-Jährige bei der Tat aus "Hass" gegen die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gehandelt habe, sagte der für die Ermittlungen zuständige leitende Oberstaatsanwalt Arnold Keller vor Journalisten. Es könne derzeit aber nicht abschließend gesagt werden, ob darin das Motiv zu suchen sei. Es gebe zudem keine Anhaltspunkte für seine Einbindung in Täterstrukturen oder rechtsextremistische Netzwerke, hieß es vom Staatsschutz.

Nach Angaben des stellvertretenden Leiters der Staatsschutzabteilung des Hamburger Landeskriminalamts, Uwe Stockmann, rekonstruieren die Ermittler derzeit das Leben des Täters und befragen dazu zahlreiche Zeugen. Es gebe auch Hinweise auf "psychische Auffälligkeiten", eine fachmedizinische Einschätzung liege jedoch noch nicht vor, betonte Stockmann.

Gedenken an Opfer in Gottesdienst

Der Täter hatte am Donnerstagabend sieben Menschen getötet, vier Männer, zwei Frauen und ein ungeborenes Mädchen. Bei einem der Verletzten – sechs sind noch im Spital – bestehe akute Lebensgefahr, sagte der stellvertretende Leiter des Hamburger Staatsschutzes, Uwe Stockmann, am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Insgesamt neun Menschen seien körperlich verletzt worden, sieben von ihnen erlitten Schusswunden. Ein Verletzter schwebt noch immer in Lebensgefahr, wie die Behörden am Dienstag mitteilten.

Unterdessen soll am Sonntagabend bei einem ökumenischen Gottesdienst der Opfer gedacht werden. Ein Vertreter der Zeugen Jehovas zeigte sich empört, dass weder die Glaubensgemeinschaft noch die Angehörigen der Todesopfer in die Planungen einbezogen worden seien. (APA, red, 14.3.2023)