Beim letzten SPÖ-Parteitag im Juni 2021 gaben sich Hans Peter Doskozil und Pamela Rendi-Wagner sportlich. Nun treten sie gegeneinander an – und müssen um das Wohlwollen der Genossinnen und Genossen kämpfen.

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Die Zeit des Ausweichens und Lavierens läuft nicht nur für die Rivalen im Kampf um die Parteispitze aus. Seit Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil seine Bewerbung um den Vorsitz in der SPÖ kundgetan hat, müssen sich auch Funktionäre und Mitglieder die Köpfe zerbrechen: Wer steht auf wessen Seite? Auf welche Lager können die Kontrahenten hoffen?

VIDEO: "Wir müssen gemeinsam einen Weg finden, wie wir da rauskommen", sagte Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, im Vorfeld der Präsidiumssitzung.
DER STANDARD

Stabil sind die Fronten naturgemäß nicht. Vieles ist im Fluss, es bleibt noch Zeit, Sympathisanten auf die jeweils eigene Seite zu ziehen. Doch eine gewisse Orientierung gibt die Haltung in jener Frage, über die Präsidium und Vorstand der Partei heute, Mittwoch, am Nachmittag entscheiden wollen: Ob die SPÖ den Führungsstreit per Sonderparteitag oder Mitgliederentscheid löst, verspricht entweder Rendi-Wagner oder Doskozil Vorteile.

Hoffen auf Parteitagsdisziplin

Die Titelverteidigerin würde am liebsten rasch einen Sonderparteitag durchziehen. Dem Herausforderer bliebe dann wenig Zeit zum Werben und Schmieden von Allianzen, und womöglich ließe sich eine offene Konfrontation beim Aufmarsch der SPÖ am 1. Mai verhindern, wie sie im Jahr 2016 der damalige SPÖ-Chef und Kanzler Werner Faymann auf dem Wiener Rathausplatz erlebte. Außerdem darf Rendi-Wagner auf eine gewisse Wahldisziplin hoffen. Delegierte Funktionärinnen und Funktionäre könnten – so zumindest die Theorie – eher einer Empfehlung ihres Landesparteichs folgen, als dies die ungebundenen Parteimitglieder tun.

Dabei geht es in erster Linie um die Fürsprache Michael Ludwigs, Chef der einflussreichen Wiener Landespartei. Der Bürgermeister hat Rendi-Wagner öffentlich immer wieder seinen Rückhalt versichert und spricht sich nun ebenfalls für eine sehr rasche Klärung aus. Das kann als Widerwillen gegen einen Mitgliederentscheid interpretiert werden.

Für einen Sonderparteitag plädiert Gabriele Sprickler-Falschlunger, Vorsitzende der (kleinen) Vorarlberger SPÖ; sie hatte sich auch schon vor Doskozils Kandidatenouting klar auf die Seite Rendi-Wagners gestellt. Ein anderer, der sich in der Vergangenheit ebenfalls loyal zur Amtsinhaberin gezeigt hatte, deklarierte sich bis dato hingegen nicht: Der Kärntner Peter Kaiser, dritter roter Landeshauptmann neben Ludwig und Doskozil, wollte vor den Sitzungen am Mittwoch keine Präferenz für den Modus der Kür äußern.

Chefs müssen auf Basis hören

Ohnehin gilt: Selbst noch so unumstrittene Landeschefs können nicht abgehoben von der Basis agieren. Je mehr die allgemeine Unzufriedenheit mit Rendi-Wagner und der Bundespartei steigt, desto schwerer lässt sich bedingungslose Unterstützung vertreten. Und die Zeiten, als Funktionäre und Mitglieder den Vorgaben ihrer Vorsitzenden blind folgten, sind wohl auch in der SPÖ vorbei.

Ähnliches gilt für die Gewerkschaft, die ebenfalls stets als Stütze der Amtsinhaberin galt: Auch in diesen Reihen tummeln sich keinesfalls nur Rendi-Wagner-Fans. Doskozils Lieblingsidee eines gesetzlich verordneten statt sozialpartnerschaftlich ausgehandelten Mindestlohns stößt zwar auf große Vorbehalte. Doch eine härtere Linie in der Migrationspolitik, wie sie die der Burgenländer ebenfalls signalisiert, kommt bei einem Teil der Arbeitnehmervertretung traditionell gut an.

Keine eindeutigen Verhältnisse

Den Ruf als Doskozil-Anhänger hat sich Salzburgs Landesparteichef David Egger erworben – etwa mit der Übernahme der Mindestlohnforderung. In dieses Bild passt, dass sich Egger, der am 23. April eine Landtagswahl zu schlagen hat, offen für das von Doskozil geforderte Mitgliedervotum zeigt. Ähnlich aufgeschlossen äußerten sich die Wortführer in Niederösterreich, die in der SPÖ ebenfalls der Anhängerschaft des Burgenländers zugerechnet werden.

Doskozil-Affinität sagen rote Insider seit längerem auch den Steirern nach. Doch von eindeutigen Verhältnissen kann dort wohl ebenso wenig die Rede sei wie im Fall der Tiroler und Oberösterreicher – wiewohl sich Oberösterreichs Parteichef Michael Lindner in der "ZiB 2" mehr oder minder deutlich für einen Mitgliederentscheid ausgesprochen hat.

Zwei "desaströse Alternativen"

Außerdem stellt sich die Frage, ob es überhaupt bei zwei Kandidaten bleibt. Wer in die SPÖ hineinhört, erfährt: Nachfrage nach einer dritten Person gibt es jedenfalls. Denn so breit die Unzufriedenheit über Rendi-Wagner auch gestreut ist, so viel Misstrauen hat sich Doskozil mit seinem ewigen Zaudern und Quertreiben erworben – und dem linksliberalen, urbanen Flügel ist der Burgenländer ohnehin ideologisch suspekt.

Es gelte einer Wahl zwischen "zwei desaströsen Alternativen" zuvorzukommen, twitterte der Wiener Bezirksfunktionär Nikolaus Kowall stellvertretend für diese Haltung: Es liege an Bürgermeister Ludwig, dem Kärntner Landeshauptmann Kaiser, der einflussreichen Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures sowie an der roten Gewerkschaftsspitze, eine dritte Kandidatin oder einen dritten Kandidaten zu präsentieren.

Doch wer soll das sein? Die als vorübergehende Chefin gehandelte Bures hat bislang konsequent abgewunken. Das Gleiche tat Ludwig – doch manche Genossen bauen darauf, dass sich der Hoffnungsträger noch erweichen lässt. Auch hohe Vertreterinnen der Gewerkschaft werden in der Partei gehandelt, namentlich Barbara Teiber (GPA) und Roman Hebenstreit (Vida).

Die Spekulationen lassen sich fast beliebig erweitern. Es ist nicht auszuschließen, dass die SPÖ angesichts einer drohenden Unversöhnlichkeit einen Kompromiss aus dem Hut zaubert, den niemand auf dem Radar hatte. Denn wer hatte im Jahr 2000, als die Partei in ähnlich misslicher Lage steckte, schon mit Alfred Gusenbauer als Chef gerechnet? (Gerald John, 15.3.2023)