Masken gehören auch in der Pariser Metro der Vergangenheit an. Derzeit regen die Streiks gegen die Pensionsreform mehr auf.

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War da was? Wer heute die Pariser Metro benützt, sieht kaum mehr Masken vor den Gesichtern der Passagiere. In den Krankenhäusern herrscht wieder Platz, und am 26. Februar gab es in Frankreich erstmals keinen einzigen Covid-bedingten Todesfall mehr im ganzen Land. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Krise waren täglich 418 Angesteckte gestorben, in der "Hölle von Mulhouse", wie die Medien den Sonderfall der Stadt im Elsass nannten, starben einmal an einem Tag 81 Menschen an Covid-19.

Man erinnert sich wie an einen skurrilen Traum: Von März bis Mai 2020 herrschte in Frankreich nach 18 Uhr Ausgangssperre. Man durfte sich gerade einmal einen Kilometer weit um seinen Wohnort bewegen; auch wer seinen Hund ausführte, brauchte einen Ausweis. Präsident Emmanuel Macron griff in seiner unterirdischen Kommandozentrale durch und ließ impfwillige Krankenschwestern vor die Tür setzen. Gewohnt an die paternalistische Autorität ihres Staatschefs, spielten die Französinnen und Franzosen mehrheitlich mit, auch wenn ihnen die Krisenzeit lang wurde. Erst im Sommer 2022 hob das französische Parlament den Ausnahmezustand auf. Heute bewirkt das Thema Covid nur noch Schulterzucken. Inflation und Krieg in der Ukraine haben die Pandemie verdrängt.

Gesundheitspolitische Debatte

Wohl auch deshalb findet eine rückblickende gesundheitspolitische Debatte kaum statt. Die Impfgegner schimpfen zwar, die Staatsführung habe dem Volk monatelang Sand in die Augen gestreut. Viele "Antivax" sind aber schon weitergezogen und haben zu Putin-Verstehern oder chronischen Verschwörungstheoretikern mutiert. Ihre momentan bekannteste Stimme, "Elpis R", stellt heute im Schutz seiner Anonymität die Klimaerwärmung infrage. Der umstrittene Marseiller Professor Didier Raoult, der Covid-19 mit Hydroxychloroquin-Tabletten behandeln wollte, wurde gefeuert und von der Justiz verfolgt.

Allerdings stellen in Paris auch seriöse Ärzte wie Gérald Kierzek die Frage: "Haben wir die Covid-Drohung überschätzt?" Seine Antwort: "Wahrscheinlich." Was er anders gemacht hätte, vermag er aber auch nicht zu sagen. Die Zahlen sprechen weiterhin für sich: Bis zu 500.000 Neuansteckungen an einem einzigen Tag hatte es gegeben; 165.000 Tote verursachte Covid-19 in Frankreich. Ohne Impfung lägen die Zahl wohl um ein Mehrfaches höher. Jean-Claude Manuguerra, Interventionsleiter am Institut Pasteur, hält das restriktive Vorgehen jedenfalls auch im Nachhinein für gerechtfertigt: "Gegenüber einer neuen Pandemie kann man nicht vorsichtig genug sein."

Vorgehen in Altersheimen

Jean-François Delfraissy, der allmächtige Chef des französischen Covid-Rats, räumt einzig ein, die Altersheime seien wohl zu radikal unter Quarantäne gestellt worden: Viele alte Leute hätten mehr unter Einsamkeit als unter Covid-Symptomen gelitten.

Heute stecken sich in Frankreich noch täglich 3.000 Menschen mit Covid an. Das ist weniger als ein Prozent der 500.000 Fälle, die sich in Spitzenzeiten pro Tag ansteckten. Der Covid-Rat empfiehlt den Risikogruppen, darunter allen über 65-Jährigen, weiterhin eine neue Impfung. Die Übrigen warnt der Epidemiologe Yves Buisson vor einer kompletten Sturmentwarnung: "Das Virus wird nicht einfach so verschwinden." (Stefan Brändle, 15.3.2023)