Ein paar einsame Seelen haben sich am Mittwochvormittag auf das windige Gelände des Wiener Praters verirrt, wo noch die letzten Vorkehrungen für die Eröffnung der Hauptsaison getroffen werden: Beim Megakart – einer Kartbahn – wird etwa an einem rostigen Auto geschweißt. Ansonsten herrscht gespenstige Leere. Die Sitze des 117 Meter hohen Karussells werden in schwindelerregender Höhe vom Wind geschaukelt.

Nähert man sich aber gegen 10.30 Uhr dem Schweizerhaus, hört man die wartende Menge schon, bevor man sie überhaupt sieht. Denn: Heute ist der traditionelle Saisonauftakt des Gasthauses, das viereinhalb Monate geschlossen hatte. Mit der Öffnung kehrt wieder Leben in den Prater ein, denn das Gasthaus ist ein Frequenzbringer. Demnächst werden auch die Neuerungen im Wurstelprater vorgestellt, eine ist schon von weit her sichtbar: die Rotunde. Der 33 Meter hohe Stahlbetonrundbau soll im Sommer fertig werden.

Das Eröffnungsdatum der Rotunde ist noch nicht bekannt.
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Vor allem Männer haben sich vor der heißersehnten Öffnung der grünen Tore inmitten des Wurstelpraters versammelt. In der ersten Reihe wartet ein eingefleischter Fan mit Schweizerhaus-Schal: "Ich komm seit 25 Jahren zur Eröffnung, das is afoch Tradition." Der Mann in Rapid-Jacke und mit Sonnenbrille am Kopf sehnt den Einlass herbei. Das Lokal würde ihm einfach "taugen" und das Bier schmecken.

Viele warten vor verschlossenen Toren auf den traditionellen Saisonauftakt des Schweizerhauses.
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Die Gruppe neben dem Herrn wird vor Vorfreude langsam ungeduldig – immerhin würde sie schon seit mehr als einer Stunde warten. Im Spaß rüttelt die Gruppe an den Toren. "Lasst uns rein, wir haben Durst!" Rundherum pflichtet man ihr bei. "Hier gibt es einfach das beste Bier", sagt eine ältere Dame, die sich selbst als "Golden Girl" bezeichnet. Normalerweise würde sie kein Bier trinken, nur im Schweizerhaus mache sie eine Ausnahme. Dass sie seit 40 Jahren zur Eröffnung kommt, liege an der tollen Atmosphäre und dem guten Essen. "Gezählt werden nur das erste und das letzte Bier, dazwischen ned", erklärt einer ihrer Freunde.

Vorbereitungen laufen

Während vor den Toren gewartet wird, laufen im Gastgarten die letzten Vorbereitungen. Auf jedem Tisch stehen ein Teller mit Besteck und Servietten, Speisekarten, Aschenbecher sowie ein Stapel Bierdeckel. Beim Gästeempfang – einem Schalter neben den Toren – werden konzentriert Listen und andere Dokumente studiert. Die tschechische Gruppe Motovidlo ist auf der Suche nach einem windgeschützten Plätzchen, um die Instrumente zu stimmen. Sie wird die Besucherinnen und Besucher später unterhalten.

Bei der Eröffnung darf musikalische Begleitung nicht fehlen.
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Bald gehen die Tore auf

Rund zehn Minuten bevor die Tore geöffnet werden ist der Platz vor dem Schweizerhaus voll, und die letzten Selfies werden gemacht. Auf die Frage, ob man sie fotografieren soll, antwortet ein Pärchen: "Nein, das geht scho, das is Tradition bei uns." Ein Mann raucht noch hastig seine Zigarette fertig, bevor der Einlass beginnt. Er komme mit Freunden seit über zehn Jahren zu jeder Eröffnung. "Das Flair ist einfach toll hier, und das Bier schmeckt."

Um 10.55 Uhr zücken die Mitarbeiterinnen und Kellner die Handys, um den Ansturm festzuhalten. "Wahnsinn, so vü Leit", sagt eine Angestellte, die sich auf einen Sessel gestellt hat, um das Ende der wartenden Menschenmenge zu sehen. Auch das Küchenpersonal will sich den Einlass nicht entgehen lassen und hat sich am Küchengebäude entlang aufgestellt.

Pünktlich um 11 Uhr gehen die Tore auf. Zielgerichtet drängen die Menschenmengen Richtung Bartresen, während sie vom Personal beklatscht werden. Bis zu 1.400 Plätze bietet der Garten, rund 750 stehen im Gasthaus selbst zur Verfügung.

Bei Sonnenschein genossen die Besucherinnen und Besucher das erste Krügerl in dieser Saison.
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Heißersehntes Krügerl

Noch bevor alle einen Platz gefunden haben, servieren die Kellner schon die ersten Krügerln. Und ja, es gibt nur männliche Kellner. Der Grund dafür sei die "körperliche Anstrengung", wie das Schweizerhaus mitteilt. Am Oktoberfest in München, wo auch Frauen im Einsatz sind, will man sich offenbar nicht orientieren. Eine Servicekraft würde hier jedenfalls bis zu 20 Kilometer am Tag zurücklegen und Tablette mit rund 20 Krügerln tragen.

Der Zapfvorgang dauert bis zu sechs Minuten.
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Am langen Tresen der Bar stellen sich die Kellner mit ihren aufgenommenen Bestellungen an. "Das ist unsere Verschnaufpause", erklärt Kellner Martin, der nach 15 Jahren Unterbrechung seinen ersten Arbeitstag im Schweizerhaus hat. Bis ein Krügerl fertig ist, dauert es. Die dreistufige Zapfmethode nimmt zwischen drei und sechs Minuten in Anspruch. Wer sein volles Tablett bekommen hat, bahnt sich mit Warnrufen seinen Weg durch die Menschenmassen: "Achtung!"

Das Warten auf die Getränke sei ihre Verschnaufpause, erklärt Kellner Martin.
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Besondere Mittagspause

Eine vorgezogene, vermutlich etwas längere Mittagspause verbringen viele an diesem besonderen Tag im Schweizerhaus. "Ein, vielleicht auch zwei Bierchen gehen schon, dann fahr ich wieder in die Arbeit", erklärt Roman, der sich mit seinen Freunden um einen Stehtisch versammelt hat. Auch der Sport muss sich hinter dem Schweizerhaus anstellen: Ein Mann lässt dafür ausnahmsweise sein Boxtraining aus. "Das ist Wien, das ist Kult", sagt er.

Den ganzen Tag freigenommen hat sich ein Pärchen, das vor Jahren sogar seinen besonderen Tag im Gastgarten des Schweizerhauses verbracht hat. "Wir haben hier unser Hochzeitsessen veranstaltet, mit Bier und Stelze", sagt der Mann. Sein langer Bart ist zu einem Zopf gedreht.

Genuss, der ins Geld geht

Dass die Preise im Gasthaus gestiegen sind, kann das Pärchen nachvollziehen. "Wir arbeiten selbst in der Gastronomie und wissen, was abgeht", erklärt es. Ein Krügerl Bier kostet 5,60 Euro, das sind 40 Cent mehr als noch im Vorjahr. Auch der Preis der beliebten Stelze ist gestiegen: Von 21,70 Euro pro Kilo auf 22,90 Euro. Auch die anderen Gäste haben Verständnis dafür. "Was ist denn nicht teurer geworden?", fragt sich der Mann mit Fanschal, der in der ersten Reihe auf den Einlass gewartet hat. Das selbsternannte "Golden Girl" wird nach wie vor jeden Mittwoch mit ihren Freundinnen herkommen. Die Männer, die müssen dann aber zu Hause bleiben. (Sophie Mooseder, 15.3.2023)