Eine Botschaft an Netanjahu am Ben-Gurion-Flughafen bei Tel Aviv.

Foto: AFP_/_Ahmad Gharabli

Wenn der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Donnerstag den deutschen Kanzler Olaf Scholz trifft, wird das nicht so reibungslos vonstattengehen, wie der 73-Jährige es von Reisen gewohnt ist.

Eine israelische Protestinitiative hatte am Mittwoch vor Abflug des Premiers die Autobahnabfahrt Richtung Flughafen Tel Aviv blockiert, auch in Berlin werden Demonstrationen gegen die geplante Entmachtung der israelischen Justiz erwartet. Am Dienstag haben zudem rund 1.000 prominente israelische Autoren und Kulturschaffende, darunter der preisgekrönte Schriftsteller David Grossman, Berlin aufgerufen, den Empfang Netanjahus abzusagen.

Man dürfe Israels Regierungsspitze nicht so behandeln, wie man es getan hatte, bevor er eine Koalition mit Rechtsextremen eingegangen war, meinen sie. Diese Koalition sei entschlossen, "eine blühende Demokratie in eine theokratische Diktatur zu verwandeln", heißt es in dem gemeinsamen Brief an die Botschafter Deutschlands und Großbritanniens – der nächsten Station auf Netanjahus Europa-Besuchstour.

Vorwurf auch an Österreich

Zu den schärfsten Kritikern Deutschlands zählt der israelische Intellektuelle und langjährige Politiker Avraham Burg, der einst Vorsitzender der Knesset war. Burg ist der Sohn eines der Gründungsväter des israelischen Staates, Yosef Burg, ein aus Deutschland geflüchteter Jude und späterer Minister in mehreren Regierungen. Burg wirft Deutschland, aber auch Österreich vor, "in den Fängen der Dämonen seiner Vergangenheit" zu stecken.

Anstatt sich ehrlich mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen, gehe man den einfachen Weg: "Man sagt: Verbünden wir uns mit dem Opfer, also den Juden. Und ganz egal, was das Opfer tut – wir rechtfertigen es." Dieser Grundsatz präge die heutige Israelpolitik in Deutschland und Österreich, sagt Burg im STANDARD-Gespräch. Das sei der falsche Weg. Verstärkt werde diese Politik noch durch jene konservativen Stimmen der jüdischen Gemeinden, die "Antisemitismusvorwürfe als Waffe einsetzen". Es müsse aber legitim sein, Israel für jene Untaten zu kritisieren, die man auch bei anderen anprangert. "Was ist das Problem, wenn man Israel dafür kritisiert, dass es Millionen von Palästinensern ihre demokratischen Rechte verweigert?", fragt Burg.

"Wahrer Freund Israels"

Wenn ein deutscher oder österreichischer Kanzler sich tatsächlich als "wahrer Freund Israels" zeigen wolle, dann müsse er sich klar gegen die Entmachtung der Justiz und die Wiedereinführung der Todesstrafe aussprechen, sagt Burg.

Zwar gesteht der Intellektuelle, dass Europa durchaus seine eigenen Probleme habe. Erst müsse sich die EU gänzlich von russischem Gas befreien. Danach sei aber die Zeit reif, um sich ernsthaft zu fragen, wie die Union mit Russland, mit der Türkei und mit illiberalen Demokratien innerhalb der EU umgehen soll, meint Burg. "Was auch immer die Antworten auf diese Fragen sein werden: Dieselben Kriterien müssen dann auch für Israel gelten."

Kritik auch aus Österreich

Auch aus Österreich kommt prominente Kritik an den geplanten demokratischen Einschnitten in Israel. In einem offenen Brief, der von zehn Schriftstellern, darunter Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, Eva Menasse, Robert Menasse und Doron Rabinovici, unterzeichnet wurde, äußern die Autoren und Autorinnen ihre Betroffenheit. Als Österreicher und Österreicherinnen wüssten sie nur zu gut, was es bedeute, wenn eine Mehrheit gegen eine Minderheit mobilisiere, heißt es in dem Brief, der in Auszügen auch auf der israelischen Nachrichtenplattform Walla! publiziert wurde. Am Donnerstag wird auch in Wien protestiert. Die Jüdische Hochschülerschaft ruft um 16.30 auf dem Theodor-Herzl-Platz zur Solidaritätskundgebung auf. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 16.3.2023)