Nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2020 brachen zahlreiche Proteste in Belarus aus. Lukaschenko ließ diese gewaltsam niederschlagen.

Foto: REUTERS/TUT.BY

Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki, Gründer der Menschenrechtsorganisation Wjasna, wurde mit drei weiteren Mitgliedern zu einer mehrjährigen Haft verurteilt. Im Februar hat Polen als Reaktion auf die Verurteilung eines polnischen Journalisten einen wichtigen Grenzübergang zu Belarus geschlossen. Nach Bekanntgabe seiner Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2020 wurde Sergej Tichanowski festgenommen. Seine Frau Swetlana Tichanowskaja trat an seiner Stelle bei den Wahlen an. Sie wurde vor kurzem wegen "Verschwörung zur Machtergreifung" zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Liste der Gefangenen aus politischen Gründen in Belarus könnte noch ewig weitergehen – und es reihen sich ihr täglich mehr Menschen an.

Machthaber Alexander "Lukaschenko möchte seine Macht erhalten und bringt jede kritische Stimme zum Schweigen", berichtet Konstantin Staradubets von Wjasna im Gespräch mit dem STANDARD.

Die Präsidentschaftswahl 2020, aus der Lukaschenko – zumindest offiziell – als Gewinner hervorging, wurde vom Westen aufgrund von nachgewiesener Wahlmanipulation nicht anerkannt. Es folgten Massenproteste der belarussischen Bevölkerung, welche vom Regime brutal niedergeschlagen wurden. Die Folge: Tausende Menschen wurden verhaftet oder flüchteten ins Exil. So auch die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja.

Haltlose Anklagepunkte

Vergangenes Jahr lag die Zahl der politischen Gefangenen in Belarus noch bei rund tausend. Die Menschenrechtsorganisation Wjasna berichtet derzeit von knapp 1.500 Personen: "Wir wissen von mindestens 1.460 Menschen, die aufgrund von politischen Gründen oder Gewissensgründen in Haft sind. Unzählige mehr sind jedoch noch in Untersuchungshaft oder befinden sich noch inmitten ihrer Gerichtsverfahren." Bei den verhafteten Personen handelt es sich um Demonstrierende, Journalisten, Aktivisten und Oppositionsangehörige, heißt es in einem Bericht von Wjasna. Die Organisation unterstützt seit 1996 politische Gefangene und ihre Angehörigen mit finanziellem und juristischem Beistand.

Grund für die Inhaftierungen ist oft die Teilnahme an den Protesten von 2020. Aber auch Menschen, die im Nachhinein öffentlich oder im Internet Lukaschenko und sein Regime kritisiert haben, sind von belarussischen Behörden verhaftet worden. "Das sind alles Verletzungen der Meinungsäußerungsfreiheit", sagt Staradubets. Den Angeklagten wird meist Verschwörung oder Extremismus vorgeworfen. Dies seien jedoch laut Wjasna haltlose Anklagepunkte.

"Das ist Folter"

Bei einer einzelnen Verletzung der Menschenrechte bleibt es allerdings nicht. Auch die Verhältnisse in den Haftanstalten sind prekär. "Die Menschen werden in Zellen ohne Tageslicht und ohne frische Luft gesperrt. Es gibt wenig zu essen und keine medizinische Versorgung", berichtet der Pressesprecher von Wjasna. Am schlimmsten sei es aber für Menschen in "Strafzellen": "Wir sprechen von kalten, kleinen Räumen mit Betonwänden. Man kann dort nicht einmal sitzen. Die Gefangenen müssen die ganze Zeit stehen, auch beim Schlafen. Das ist Folter", sagt Staradubets.

Viele der Beschuldigten landen im Okrestina-Gefängnis. Die Haftanstalt in der Hauptstadt Minsk ist berüchtigt für die Anwendung von Foltermethoden. Berichten von Amnesty International zufolge wurden dort Menschen verprügelt, und es wurde ihnen mit Vergewaltigung gedroht.

Angeklagte in Käfigen

Bilder von öffentlichen Gerichtsverhandlungen wie jener des Friedensnobelpreisträgers Bjaljazki zeigen angeklagte Personen eingesperrt in Käfigen. Ihre Hände sind trotz der Gitterstäbe gefesselt. "Das ist wahnsinnig, warum sollte man so etwas tun, wenn man noch nicht einmal schuldig gesprochen wurde?", beschreibt Staradubets das Verfahren. Meistens finden die Gerichtsprozesse jedoch hinter verschlossenen Türen statt. "Wir kennen nie die Details der Verhandlungen in den Gerichtssälen." Die Einsprüche der Verteidiger werden vorwiegend abgelehnt. Laut Staradubets würden alle "Grundsätze eines fairen Gerichts" verletzt werden.

"Die meisten arbeiten aus dem Ausland. Diejenigen von uns, die in Belarus arbeiten, sind einem konstanten Risiko ausgesetzt, eingesperrt zu werden", berichtet der in Litauen lebende Mitarbeiter von Wjasna. "Unsere Hauptangelegenheit ist es, den Angehörigen von politischen Gefangenen rechtlichen und finanziellen Beistand zu leisten, und das geht schon irgendwie auch aus dem Ausland."

Durch die Proteste nach den international nicht anerkannten Wahlergebnissen wurde die Unzufriedenheit mit der Herrschaft Lukaschenkos demonstriert. Auch wenn der autoritäre Führer versucht, die belarussische Bevölkerung weitgehend zu unterdrücken, gebe es in dem Land fortwährenden Widerstand: "Viele Menschen sind in ihren Köpfen immer noch gegen Lukaschenko. Sie haben ihre Meinung nicht geändert." (Tabea Hahn, 17.3.2023)