In der Nähe des Tatorts in Rheinland-Pfalz erinnern Kerzen an das Opfer der Tat.

Foto: AFP/INA FASSBENDER

Es war eine Tat, die auch in Österreich Entsetzen hervorruft. Im deutschen Freudenberg ist am Wochenende ein zwölfjähriges Mädchen in der Nähe eines Radweges durch zahlreiche Messerstiche getötet worden – nach Angaben der Polizei durch ihre beiden zwölf- und 13-jährigen Freundinnen. Vieles zur Tat ist unklar und wird wohl auch im Dunkeln bleiben: Weil beide mutmaßlichen Täterinnen noch unter 14 sind, gelten sie als nicht schuldfähig. Daher darf die Polizei sich etwa zu einem Motiv nicht äußern. Und auch die Möglichkeiten zur Bestrafung sind begrenzt: Das Strafrecht ist noch nicht anwendbar. Eine Unterbringung "außerhalb des häuslichen Umfelds" haben die Behörden Montag aber angeordnet.

Nicht schuldfähig

Den Kontakt zu den Eltern will man den beiden aber dennoch nicht versagen. "Der Kontakt zur Familie ist aufgrund des jungen Alters der Mädchen für die Entwicklung einer gelingenden Unterstützung sehr bedeutsam und wird insofern unterstützt", teilen die Behörden mit.

Sehr ähnlich wäre eine solche Tat auch in Österreich zu behandeln. Im Strafrecht gilt auch hierzulande für die Strafbarkeit eine fixe Grenze von 14 Jahren. Kinder, die jünger sind, machen sich generell nicht strafbar, weil der Staat davon ausgeht, dass das Unrechtsbewusstsein in diesem Alter noch nicht ausreichend ausgeprägt ist. Allerdings gibt es durchaus Maßnahmen. So kann etwa eine Unterbringung in einer Wohngemeinschaft verfügt werden – eine ähnliche Maßnahme also, wie sie auch für die beiden Mädchen in Deutschland gesetzt wurde.

Ältere Kinder sind dagegen strafmündig – auch wenn es hier Ausnahmen gibt. Hinkt ein Kind in seiner persönlichen Entwicklung nach, kann es von einem Psychiater oder einer Psychiaterin als nicht einsichtsfähig eingestuft werden.

Kürzere Strafen

Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 21 Jahren gibt es in der Strafprozessordnung Sonderregelungen. Die Strafen fallen kürzer aus als bei Erwachsenen, zudem gibt es im Strafvollzug Erleichterungen.

Wie häufig aber sind solche und ähnliche Fälle überhaupt? Da unter 14-Jährige strafunmündig sind, existieren im Justizministerium naturgemäß keine Statistiken zu Strafrechtsverfahren gegen junge Menschen dieses Alters. Das letzte Tötungsdelikt unter Kindern sei mindestens zehn Jahre her, sagt ein Ministeriumssprecher – "und da hat es sich laut der zuständigen Abteilung um einen Unfall gehandelt".

Ähnliche Erfahrungen hat man auch in der Forschung. Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Belinda Plattner betont, dass Verbrechen von derartiger Schwere außergewöhnlich und entsprechend individuell zu betrachten sind.

Gewalt stärker verpönt

Ferndiagnosen oder Spekulationen seien in diesem konkreten Fall unangebracht. "Es ist aber davon auszugehen, dass die Konstellationen, die zur Tat geführt haben, hochspezifisch waren. Das im Detail zu rekonstruieren, ist eine Arbeit, die für die beteiligten Fachleute Tage und Wochen dauert."

Die Leiterin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am Uniklinikum Salzburg warnt auch davor, gesellschaftspolitische Schlussfolgerungen zu ziehen: "An dem Fall festzumachen, dass Gewalt unter Kindern und Jugendlichen vermehrt auftritt, halte ich für völlig unzulässig."

Die Spezialistin für Kinderforensik, die mit jugendlichen Mördern psychiatrisch gearbeitet hat, sieht sogar eher einen Rückgang solcher Taten im Vergleich etwa zu den 1970er- und 1980er-Jahren. "Die gesetzliche Umsetzung von Gewaltverbot in der Erziehung hat definitiv dazu beigetragen, dass die Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Zielerreichung auch unter Jugendlichen stärker verpönt ist als noch vor Jahrzehnten."

Ihr seien allerdings in den letzten Jahren etwas häufiger als zuvor Gewalttaten von Mädchen gegen Mädchen untergekommen. "Aber das kann auch daran liegen, dass wir auch durch die Präsenz von sozialen Medien vermehrt auf diese Form von Gewalt aufmerksam wurden", sagt Plattner.

Extrem seltene Fälle

Fälle wie jener in Deutschland seien extrem selten, sagt auch Ernst Berger, Kinder- und Jugendpsychiater und jahrelanger Vorstand der Kinder- und Jugendlichenabteilung am Neurologischen Zentrum Rosenhügel. In seiner gesamten beruflichen Laufbahn habe er keinen vergleichbaren Fall erlebt, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD.

Insgesamt gehe er nicht davon aus, dass das Ausmaß von Gewalt unter Kindern gestiegen sei. "Gesteigert hat sich seit den 1990er-Jahren jedoch die Gewaltintensität in besonders eklatanten Einzelfällen." (Irene Brickner, Manuel Escher, Klaus Taschwer, 15.3.2023)